Experimental/Industrial September 2004 (Kurzkritiken) Stalaggh :Project Terrror: (Total Holoc./New Era 2004) 1 Track Ein Opus Infernale: Was hier als Ambient-Black-Metal bezeichnet wird, klingt tatsächlich nach einer Mischung aus John Zorns Projekt Painkiller und der russischen Ritualband Lucisferrato. Gitarrennoise und klagender Gesang erschaffen eine absolut nihilistische Atmosphäre der Gewalt und Zerstörung. In zerfetzten Akkorden wird das Leid der Welt herausgeschrien, ohne je in die ausgetretenen Pfade des Blackmetal abzurutschen. Es endet so abrupt wie es begann - Noiseterror: diesmal nicht der industriellen sondern der metallischen Herkunft. Aber kaum weniger effektiv. A.Dvorak Objekt/Urian +Tonfragmente II+ (Zone de Confusion / Nuit et Bruillard 2004) 11 Tracks Das Darmstädter Duo Objekt/Urian, das in den letzten Jahren auf allen namhaften Indsutrialfestivals anzutreffen war, sicherte sich auf dem Deadly-Action-Festival in Lille einen Vertrag mit dem französischen Nuit et Bruillard-Label, der nun in dieser schön gestalteten CD erfüllt wird. Elf Stücke aus den Jahren 1999 bis 2001 bieten meist analog produzierten Old-School-Industrial, der die Nähe zu modischen Rhythm'n'Noize ebenso scheut wie zu harten Power-Electronics (wobei die neuen Demos der Band eine andere Sprache sprechen). Von atmosphärischen Darkambientpassagen über aggressiven Noise bis hin zu trägemaschinellen Beats finden wir hier eine umfassende Variationsbreite industrieller Sounds als akustische Untermalung zivilisatorischer Krankheit. Themen sind Information-War ("Useless informations"), Urbanität ("metropolis"), Krieg ("nightwar", "fight") usw. Nun, das ist natürlich nicht originell, aber immerhin überzeugend umgesetzt. Und auch wenn die früheren Performances von Objekt/Urian manchmal etwas verspielt erschienen - hier sprechen sie eine deutliche Sprache. Spätestens mit der nächsten geplanten CD-Single dürften sich die Postindustrialisten ihren festen Platz in der Szene gesichert haben... MaNic
Sedaye Marg Frashogard (Coup d'état Communications 2004) CD 14 Tracks Leider liegt zu dieser aus Franreich kommenden Post-Industrial/Ritual-CD keine Produktionsinfo vor, aus Artwork und Titeln sowie der Instrumentierung lässt sich jedoch vermuten, dass es sich hier um ein Musikprojekt aus dem Nahen Osten handelt, vormutlich aus Israel, dessen Experimentalmusikszene in den letzten Jahren präsenter geworden ist. An orientalischen Instrumenten kommt die Tabla vor, das Cover ziert ein Fresko aus dem alten Babylon, innen finden wir Fotos eines ausgebrannten Kinos (Track "Cinema Rex is burning"), daneben einen typischen Wüstenkriegsschauplatz. Weitere Titel sprechen eine deutliche Sprache: "As Ctesiphon fell again", "Summer of 1953", "Governed by Fear", "Operation Karbala Five" usw. Musikalisch spiegeln sich die beschriebenen Ereignisse in noisigen, meist rituell-ryhthmischen Strukturen mit einer Menge Feedback und Reverb. Vocals kommen keine vor, außer einigen wenigen Samples, es steht also das bruitistische Inferno im Mittelpunkt. Da die metallischen Rhythmen und Samples meist auf repetitiver Basis entwickelt werden, stellt sich ein durchaus zugängliches Hörerlebnis ein. Sdaye Marg ist somit ein neues Post-Industrial/Power Electronics/Ritual-Projekt, das man sich gut auf dem Tesco-Label vorstellen könnte. A.Dvorak Ginger Leigh If I Should Die Tomorrow (Masuno 2004) CD 18 Tracks Neue CD erste CD Einen sehr ungewöhnlichen Weg setzt die amerikanische Avantgardeformation Ginger Leigh fort: Sie mischen unzähliuge Musikstile zu einem komplexen Zustandsbericht über die USA. Diese Musik ist mehr als vieles andere Geprägt vom politisch forcierten Zerfall der amerikanischen Demokratie (Tribe of Circle nennen das "Demokratur") und der offen geschürten Terroristen-Paranoia. Titel wie "Unquestionable truths" - vermutlich bezogen auf die Lügen zum Irakkrieg - oder die Katarstophensirene aus Track 15 sprechen hierbei ein deutlich Sprache. Was bereits auf der ersten CD (Bild rechts) durchklang, war ein massiver orientalischer Einfluss - das mag in der gewärtigen Situation für manchen fast 'ketzerisch' anmuten - sowie ekstatische Drum-Kaskaden. Track 16 etwa erinnert an die japanischen Dissecting Table bzw. den Soundtrack zu den japanischen TETSUO-Filmen. Die vorliegende CD "If I Should Die Tomorrow" entzieht sich einer eindeutigen definition ist gerade deshalb so wichtig und begrüßenswert innerhalb der häufig klischierten Industrialszene. MaNic Vitor Joaquim A Rose is a Rose (dOc 2004) CD 8 Tracks Das österreichische Label dOc, geführt von den Experimentalelektronikern Pure, wartet mit einem neuen Glanzstück auf: Verpackt in einer lilafarbenen Klapphülle aus Pappe offenbart sich auf dieser CD tatsächlich (so will es die Presseinformation) ein 'hermetisch Welt', aus der uns schwer definierbare Collagen, eigenwillige Sounds und Rhythmus-Strukturen entgegenströmen. Der Portugiesische Musiker Joaquim ist Direktor des jährlichen EME Festivals und bietet hier improvisierte Elemente, die nachträglich im Studio verarbeitet wurden. Dabei wirkt diese Mischung aus Stimmfetzen, hochfrequenten Noisescheifen, geheimnisvollem Dröhnen usw. fast wie die Direktübertragung aus einem fremden Gehirn (man denke auch an entsprechende Momente aus David Cronenbergs Film SCANNERS, die erstaunlich ähnlich gestaltet sind). Ein kleines Meisterwerk düster-rätselhafter Ambientmusik fernab der kalten Beliebigkeit vielen Click'n'Cut-Spielereien. :ms: Moljebka Pvlse Tamon (Segerhuva 2004) CD 5 Tracks Nach dem Harsh-Noise-Projekt Blod und der eher darkambienten CD von Jarl bringt das Schwedische Label Segerhuva nun mit "Tamon" von Moljebka Pvlse eine sehr ungewöhnliche aber konsequente Kombination beider Stile heraus. Der Musiker Mathias Josefson beginnt mit ruhigen, meditativen Drones, die jedoch ohne Vorwarnung in aggressive Whitenoise-Sounds übergehen. Doch statt dieses Rauschen als iritierenden Akzent stehen zu lassen, dehnt Josefson diese Passagen immer weiter aus. Schien das ästhetisch reizvolle, fast harmonische Landschaftscover zu Beginn noch der Musik zu entsprechen, finden wir uns nun in den Stahlmühlen des Industrialbetriebes wieder. Diese radikale Stilmixtur weicht weit von Josefsons anderen Veröffentlichungen auf Cold Meat Industry ab und wird am ehesten beinharte Distortion-Fetischisten begeistern. Entfremdung spricht aus diesen sägenden, zerrenden Flächen. Erst mit dem fünften Track kehrt etwas Ruhe ein. Sogar Stimme und Piano tauchen auf. Dieser gelungene Ausklang ist zugleich der Soundtrack des Films A BIRD IS NOT AN ANIMAL. :ms: Halo manash Syoma (Aural Hypnox 2004) CD 8 Tracks Aeoga Coav (Aural Hypnox 2004) CD 13 Tracks Nach einem äußerst vielsversprechenden Auftakt zu beginn des Jahres mit der schamanistischen Ritual-CD von Halo Manash hat das Finnische Label Aural Hypnox nun gleich zwei Scheiben nachgelegt: Die Nachfolge-CD von Halo Manash namens "Syoma" und das Debüt der stilistisch ähnlich orientierten Landsleute Aeoga Coav. Beide CDs warten mit sorgsam geschichteten, hypnotischen Sounds auf, die tief aus der Heidenseele des Polarkreises schürfen: "To exhaust mind and body in order to obtain a condition of non-consciousness and thus receive, realize and create material based on the concept of both primal and absent vision." So definieren letztere ihren Standpunkt. Wie bei der ersten CD werden auch diese beiden Werke in reizvoller Verpackung angeboten: "Syoma" im zweifaltigen schwarzen Strukturkarton, Aeoga Coav im handgeschnittenen schwarzen Karton, der sternförmig ineinendergeschoben wurde und die cremefarbene CD-Hülle enthält. Nachdem vor einigen Jahren eine ganze Reihe Finnischer Power-Electronic-Bands von sich reden machte, haben wir mit diesen interessanten Projekten zeitlose authentisch-okkulte Gebrauchsmusik vor uns, wie sie experimentierfreudige Zeitgenossen zu schätzen wissen. Ein Besuch der Labelhomepage lohnt sich. KatNik John Hudak / Jason Kahn / Bruce Tovsky Fo the Time Being (Cut 2004) CD 2 Tracks Zwei New Yorker Performances der Klangkünstler Hudak, Kahn und Tovsky aus dem Jahr 2003 präsentiert diese liebevoll in der mehrfarbig bedruckten Kartonage verpackte CD. Das erste Stücke arbeitet ausschließlich mit prozessierten Sounds aus dem Laptop und kreiert eine unheimliche und zugleich meditative Klanglandschaft. Track 2 verarbeitet dagegen Akkorde zweier Gitarren, die sich schichtweise überlagern. Auch hier bleibt das Spektrum weitgehend harmonisch und allenfalls ruhig-melancholisch. Beide Stücke entwicklen sich über ihre lange Laufzeit und garantieren eine eingehende Beschäftigung mit ihren Strukturen. Sanft-experimentelles Deep-Listening, das durchaus auch Coil- oder Craniocalst-Fans gefallen könnte, wenn hier auch der reine Sound im Mittelpunkt steht. Das in Zürich ansässige Label Cut wird von dem Musiker Jason Kahn selbst betreut und bietet noch zehn weitere Kleinode der zeitgenössischen Klangkunst auf CD. MaNic Zeena Parkins & Ikue Mori Phantom Orchard (Mego 2004) CD 9 Tracks Das österreichische Avantgarde-Label Mego präsentiert mit diesem faszinierend vielschichten Werk einen weiteren Höhepunkt ihrer verlässlichen Labelpolitik: Zwei amerikanische Musikerinnen aus dem Experimental- und Improvisationsumfeld, Zeena Parkins und Ikue Mori, haben sich zusammengetan, um mit akustischen und elektronischen Tonquellen eine erstaunliche Sinfonie zu kreieren. Während Parkins ihre bereits legendären elektronischen Harfenklänge beisteuert, kümmerte sich Mori um die Rhythmen, die sowohl elektronisch als auch akustisch erzeugt wurden. Das Ergebnis, "Phantom Orchard", kann mit einer immer überraschenden Varianz und teilweise fast meditativen und neoklassischen Passagen voll überzeugen. cd Max Eastley & David Toop Doll Creature (Bip-Hop 2004) 15 Tracks Eastley und Toop, zwei Klangkunstpioniere, haben bereits 1975 auf Brian Enos Obscure-Label ihre erste Zusammenarbeit veröffentlicht. Ein zweites Album folgte 1994, und das nun vorliegende "Doll Creature" ist somit die dritte Zusammenarbeit in 30 Jahren. Die Covergestaltung lässt fast auf eine bodenständige Industrialästhetik schließen, die beiden Soundtüftler bieten hier jedoch eher vertrackte Ambientmusik im ganz ursprünglichen - von Eno hergeleiteten - Sinne. Mit ausgeklügelten elektronischen Strukturen erschaffen sie eine geheimnisvolle Klanglandschaft, die sich in ihren minimalistischen Ausbrüchen fast zu einer Reisegeschichte formiert. Filigrane, gläserne Sounds, digitales Zirpen und akustische Quellen fließen zu einer befremdlichen Musikskulptur zusammen. - Unheimliche Experimentaleletronik, nicht leicht zugänglich, aber ein genaues Hinhören wert. MaNic Alexei Borisov & Anton Nikkilä Typical Human Beings (N&B Research Digest 2004) CD 11 Tracks Eigenwillig und faszinierend: Die erste gemeinsame CD zweier osteuropäischer Klangkünstler, die bereits seit Jahren zusammenarbeiten. Anton Nikkilä aus Helsinki und Alexei Borisov aus Moskau haben jeder auf ihre eigene Weise die Experimental- und Industrialszene ihrer Heimat geprägt und bieten auf "Typical Human Beings" eine ganz eigene Variante von (Anti)Rocksongs, deren russische Texte im Booklet auf englisch abgedruckt sind. Zerstörte Rhythmen, Backward-Sounds, Digitalnoise und fatalistische Vocals bestimmen das Gesamtbild. Keine leichte Kost. Weitere Infos: N&B Research Digest. MaNic The Konki Duet Il Fait Tout Gris (Active Suspension 2004) CD Aufs erste Hören Verwirrung: Japan/Francopop in der Experimentalabteilung?! Die unbefriedigende Antwort: Warum, nicht? Erinnert sich noch jemand an die herzerreißende CD der japanischen Gruppe Grim (Drag & Drop): Die gewagte Mixtur aus rituellen Powerelektroniks, Non-PC-Samples und süßlichem Folkpop? An die ruhigen Passagen dieses Werkes erinnert das Konki Duet zweifellos. Es kommt einfach darauf an, von woher man diese CD hört: Nebenbei im Radio würde The Konki Duet direkt als süßliche 80er Revival-Band durchgehen. Immerhin finden wir hier auch ein Remake des Visage-Hits "We fade to grey" - auf Französisch... Um es kurz zu machen: Dieses Kleinod wird ziemlich viele Interessenten friedlich vereinen: einschmeichelnde Frauenstimmen Marke Rose McDowell/Strawberry Switchblade, elegische Streicher, sachte Folkgitarre, Mamas & Papas und immer wieder trauriger Japanpop mit leicht schrägen Querschlägern. Der SUICIDE CIRCLE from within. Großartig! MaNic Heimir Björgulfsson, Pimmon and Helgi Thorsson Still Important Somekind Not Normally Seen (Always Not Unfinished) (Crónica 2004) CD Das portugiesische Label Crónica bleibt seiner Veröffentlichungspolitik visuell und musikalisch treu. Die Zusammenarbeit der Digital- und Akustiktüftler Björgúlfsson aus Island, Pimmon aus Australien und Thorsson, ebenfalls aus Island. Letzterer mag einigen von seiner Gründung der kultigen Band Stilluppsteypa ein begriff sein. Zusammen haben sie eine abwechslungsreiche Klangskulptur erarbeitet, voller Überraschungen und eigenwilliger Kreationen. Ein Soundtrack für unsere Welt, "strange and wild at heart" - "always not unfinished". Vielleicht sogar optimistische Ambientsoundscapes zu nennen... A.Dvorak
Allerseelen Heimliche Welt (Ahnst./Steinkl.) DoLP (lim 600) 13 Tracks Mit der schön gestalteten Doppel-LP "Heimliche Welt" liegt ein lange vergriffenes Audiotape der in den letzten Jahren zunehmend weltanschaulich umstrittenen österreichischen Ritual/Industrialband aus dem Jahre 1989 in remasterter Form vor. Im Gegensatz zu den durchaus poppigen Akzenten der letzten Veröffentlichungen kann man diese hypnotischen, repetitiven Klanglandschaften problemlos als schamanistisch inspirierter Ritualmusik beschreiben, die mittels Drums, Violine, Keyboards und Tapeloops durchaus faszinierende Miniaturen kreiert. Ähnlichkeiten zu der ebenfalls gerade neu aufgelegten LP "Archaische Arbeiten" drängen sich auf. Offenbar war das Interesse der Gruppe in jener Zeit noch wesentlich enger an okkulten Konzepten und spirituellen Ebenen der Musik orientiert. Das Cover zieren Fotos einiger Katharerburgen in Südfrankreich, womit sich auch der Titel erklärt. Und tatsächlich hinterlässt die meditative Musik Leerstellen, die zum Reflektieren und Träumen provozieren - sich einzufühlen in die Welt 'hinter den Dingen'. - Wer noch das ähnliche Projekt Somewhere in Europe von Andrea James kennt, wird sich an einigen Stellen (z.B. Track 2) daran erinnert fühlen. Das letzte Stück bietet dann auch den bereits bekannten österreichischen Sprechgesang, der durch einen etwas übertriebenen Echoeffekt geschädigt wird. Aber bis dahin ist man bereist über eine Stunde in den vollen Genuss einer durchaus gelungenen Ritualmusik-LP gekommen. MaNic
|
|