Industrial / Experimental Mai 2004

Blod

My Beloved Daughters

(Segerhuva 2004) CD

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Diese CD ist einfach wunderbar: Ein authentisches 70er-Bubblegum-Pop-Cover, leuchtend pink und - mit dem dezenten Geruch eines Erdbeerbonbons! Nur der Name der Band erweckt Irritationen: Blod heißt Blut - auf Schwedisch, und er wer sich etwas in der Schwedischen Musikszene auskennt, wird bereits vermuten, dass die ABBA-Connection auf die falsche Fährte geführt hat. Was uns das Label Segerhuva hier in liebevoller Aufmachung präsentiert, ist waschechter "Sexnoise", sprich: brutale Klangkunst zwischen Whitehouse und Masonna. Testhören ist dabei unnötig: Die Stücke steigen heftig ein, weisen wenig Entwicklung auf und brechen irgendwann ab. Zu genießen als 'Headcleaner' über Kofhörer oder auf hohem Pegel! Die nackte Wahrheit, schonungslos und ehrlich. Nur für Spezialisten... dann aber empfhelenswert. cd

CM von Hausswolff

Three overpopulated cities built by short-sighted planners. An unbalanced and quite dangerous airport and an abondoned church

(Sub Rosa 2004) CD 4 Tracks

Mit dieser neuen Konzept-CD schließt der schwedische Elektroakustiker CM von Hausswolff an frühere Werke an ("Rays of Beauty", "A Lecture On Disturbances in Architecture") und verarbeitet Erfahrungen, die er auf zahlreichen Reisen durch weltweite Großstädte gesammelt hat. Die Titel spiegeln die Orte: Mexico City, Tokyo, Bankok, Chicago, der Sound reflektiert jene Mischung aus geblendeter Faszination und beklemmender Unruhe, die den Zeugen des urbanen Geschehens erfasst. Städte und Klänge wie unberechenbare Lawinen schichten sich ineinander, ufern in alle Richtungen, wuchern im Gehörgang: latentes, kaum wahrnehmbares Dröhnen, dichtes Rauschen und immer wieder schneidende Hochfrequenzen verdichten die urabene Grenzerfahrung in experimentellen Miniaturen. Das ist nicht angenehm - aber hat das jemand angesichts der Thematik erwartet? KatNik

Jasch

Shimmer

(dOc 2004) CD 8 Tracks

Der schweizer Klangkünstler Jasch, im Freejazz und der Elektroakustik beheimatet, bestreitet die erste Veröffentlichung des dOc-Labels, die ohne Beteiligung des Labelchefs Pure auskommt. Die vorliegende - optisch sehr düster gestaltete - CD "Shimmer" schließt auf ungewöhnliche Weise an die atmophärisch-flirrenden Streicherkompositionen Gjörgy Ligetis an, die man aus dem Film 2001 kennen dürfte, wobei er diese Geste der Neuen Musik konfrontiert mit konsequentem Postindustrialismus: sägenden Störfrequenzen, Klicken und Metallklirren, die sich über die Flächen legen. Hier werden keine bekannten Formen reproduziert, sondern als Arbeitsgrundlage für einen erstaunlich zeitgenössischen Soundtrack verarbeitet. Dekonstruktivistische Ausbrüche und Exzesse erwartet man indes vergebens: am Stück gehört, baut diese CD eine Spannung auf, die sich nicht löst - und somit weiter beschäftigt bis zum nächsten Hören. :ms:

Jason Kahn / Jon Mueller

Papercuts

(Crouton 2004) MCD 1 Track

Ein kleines Gesamtkunstwerk präsentiert das amerikanische Label Crouton: Verpackt in dickem Strukturkarton, bestempelt und limitiert auf 500 Stück, ist hier das Erscheinen Programm: Die beiden Perkussionisten haben eine geraume Zeit mit dem Klang unterschiedlicher Papiersorten experimentiert und präsentieren auf dieser Mini-CD nun eine hochfrequente musique concrete, die sich ganz der samtigen Materialität der "Instrumente" verschrieben hat. Das vorliegende Werk erschließt sich ohne Vorwissen nicht leicht, da sich die andeutungsweise rhythmisierten Klänge leicht entziehen, doch man sollte diese Veröffentlichung als Konzeptkunstwerk verstehen: eine Tascheninstallation... Charmant. :ms:

 

Ultra

Stain

(Stateart / Dom 2004) 26 Tracks

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Das vielköpfige Musikerkollektiv Ultra besteht seit 1987 und ist in Kreisen experimenteller Musik längst zur Legende geworden. "Stain" ("Schmutz") ist das sechste offizielle Album und wurde vom US-Label Dom lizensiert. In 26 äußerst divergenten und stets spannenden Stücken entfaltet sich eine unberechenbare Welt aus Elektroakustik, Folk, Jazz und schräger Neoklassik. Als strukturierendes Grundelement dient die Komposition "Thirteen Pieces for Piano" von Bard Anderson, die über die gesamte Laufzeit der CD widerkehrt. Oft übernehmen spanische SprecherInnen das Wort und tragen verstörende, dekadente Gedichte vor, immer wieder unterbrochen von irritierenden Noisekaskaden. Ein fast surrealistisches Erlebnis, nicht einfach zu hören, aber immer faszinierend und herausfordernd. cd

Rob Mazurek

Sweet & Vicious Like Frankenstein

(Mego 2004) CD

Das bemerkenswerte österreichische Label Mego präsentiert hier eine experimentelle Ambient/musique-concrete-CD aus dem Hause von Jim O'Rourke. Der 'abstraktivistische' Tüftler Mazurek kommt weniger aus dem Industrial denn aus der Avantgarde-Jazz- und Post-Rock-Schule, was seine filigranen Collagen in die Nähe von Gastr del Sol, Stereolab und Godspeed You! Black Emperor rückt. Hier werden alle Techniken, Stile und Register gestreift und zu zwei monumentalen Klangkunstwerken verschmolzen, deren Intensität durchaus mit den besten Werken von Nurse With Wound konkurriert. Ein Werk, das Genregrenzen souverän niederreißt. :ms:

Axon Neuron / Vagwa

Lohe

(Eternal Soul 2004) 10"

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Es ist schon erstaunlich, welch eminenten Einfluss im Nachhinein ein Historical-Ambient-Projekt wie Le Joyaux de la Princesse hat. Auch der hier vorliegende Tonträger schließt mit elegischen Preset-Sounds (String, Chorus, Organ) und historischen Radiosamples an den Versuch an, mittels atmosphärischer Collagen die finsteren Tiefen der Geschichte zu ergründen. "Lohe" präsentiert vier sich langsam entwickelnde Tracks, in denen offenbar die Identiotät des 'Neuen Europa' nach dem zweiten Weltkrieg hinterfragt wird. Das beginnt sehr ambient und wird dann zunehmend martialisch, mit schweren, langsamen Beats gegen Ende. Wer sich für musikalische Zeitreisen begeistert, wird hier zufrieden sein. Anderen könnte das Werk etwas zu minimalistisch ausfallen. - Das recht junge Berliner Label Eternal Soul bringt "Lohe" als 10" Vinyl mit Postkarte und Insert heraus (lim.300) bzw. als streng limitierte (49) Clear Vinyl 10" plus 3"-CDr mit Spezialverpackung und Poster. cd

Operation Cleansweep

Deathcount

(Kaos Kontrol 2003) 7" 4 Tracks

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In den letzten Jahren gelang es der süddeutschen Zweimann-Formation Operation Cleansweep mit nur wenigen Veröffentlichungen zu einem der eindrucksvollsten und konsequentesten Power-Electronic-Projekte zu avancieren. Die vier kurzen aber heftigen Tracks der in Finnland erschienenen Vinyl-Single zeugen von diesem Ruf: kreischende Hochfrequenzen, unterschwellig wummernder Bassrhythmus, gelegentlich verzerrte Vocals. Eine äußerst aggressive Antwort auf die kriegstreibende Stimmung der Gegenwart, von der auch das Coverfoto (eine Exekution) zeugt. Weder stilistisch noch ästhetisch neu, dafür aber hart und kompromisslos. Für Fans und Sammler empfehlenswert. cd

 

Allerseelen

Archaische Arbeiten / Sturmlieder

(Ahnst./Steinkl. 2004) DLP

Die österreichische Industrialband Allerseelen, die in den letzten Jahren gelegentlich durch weltanschaulich umstrittene Äußerungen von sich Reden machte, entstand eigentlich aus einer legendären okkulten Wiener Ritualformation: Zero Kama. Damals noch auf Knochenschlagwerk wurde nach einem zeitgebössischen Schamanensound gesucht, der ein Gefühl für den 'Urklang' beschwören könne... Die nun als Doppel-LP wiederveröffentlichen frühen Tapeaufnahmen des Folgeprojekts Allerseelen führen den bei Zero Kama entwickelten Ritualsound direkt fort und kombinieren geloopte Akustikperkussions mit an- und abschwellender Elektronik. Die Stücke erzeugen so mit einfachsten Mitteln eine dichte, meditative Atmosphäre. Was auf späteren Veröffentlichungen durchaus poppigen Tendenzen wich, ertönt hier in ungebrochener Klarheit: der noch zaghafte Impuls eines musikalischen Modern Primitivism - auf den Spuren von Organum und Zoviet France... KatNik