Para-Nous

Ein Interview mit dem multimedialen Konzeptkünstler Lutz Dammbeck

Das Gespräch führte Oliver Mayer

 

Herakles Konzept_Materiallager", 1979/2006, Installation in der Ausstellung "40 Jahre Videokunst" im Museum der Bildenden Künste Leipzig. Fotos: Bertram Kober/Punctum

· Herr Dammbeck, in allen Ihren Filmen verweigern Sie dem Zuschauer eine explizite Stellungnahme zum jeweils Gefilmten. Diese Ambivalenz hat Ihnen bei „Zeit der Götter“, „Das Meisterspiel“ und auch „Das Netz“ teilweise den Vorwurf eingebracht, dem Nazi-Bildhauer Arno Breker, der rechtsradikalen Szene in Österreich oder dem Una-Bomber zu unkritisch gegenüberzustehen. Ist diese Ambivalenz ästhetisches Kalkül?

Ambivalenz? Ich teile Ihre Bewertung nicht. Meine Haltung zu den Sujets, Personen oder reflektierten Philosophien oder Weltbildern ist für mich klar erkennbar. Und für andere anscheinend auch. Sonst hätten die Filme bisher nicht so viele Reizungen, Nickeligkeiten und, neben vielen positiven und übereinstimmenden wie zustimmenden Rückmeldungen, auch bösartige Angriffe provoziert, Prädikate wie „und entblödet sich nicht....“ oder “talibanistische Technikkritik...,eine paranoide Darstellung der Geschichte der Kybernetik mehr oder weniger aus der Sicht des Unabombers Ted Kaczinsky....die Auferstehung des guten alten DDR-Propagandafilms aus den Zeiten des Kalten Krieges...fehlte eigentlich nur noch der Verweis auf die juedische Weltverschwoerung... " über meinen letzten Film „Das Netz“ verdient man sich nicht mit Ambivalenz. Diese Injektivien freuen mich natürlich, weil sie echten Ärger und Agressionen ausdrücken und mir signalisieren, dass ich sensible Bereiche berührt habe. Und genau darum geht es, im Fußball heisst das „dahin gehen wo es weh tut.“
Natürlich ist die Frage erlaubt, ob es nicht hätte kritischer sein können, ob Personen oder Ideen „zu gut“ weg kommen. Aber wenn Sie übergreifend fragen würden, ob der Film die genannten Personen oder Ideen attraktiver oder „schneller“ gemacht hat, würde ich sagen: die Filme wirken eher als „Bremsmasse“, im Sinne von „Heh, warte mal, nicht so schnell, da müssen wir noch mal darüber reden“. Was dabei dann raus kommt, ist der eigentliche Ertrag der Filme. Das hat bei „Das Netz“ bis jetzt sehr gut funktioniert. Der Film hat Wirkung hinterlassen, und sich in den Diskurs in bestimmten Kreisen durchaus folgenreich eingemischt.

· Eine weitere Ambivalenz Ihrer Filme liegt im Unterlaufen der etablierten Differenzen zwischen linken und rechten Positionen. „Dürers Erben“ parallelisiert ja etwa die radikale Ablehnung avantgardistischer Kunst sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR. Gehen Sie mit dieser Gleichsetzung von Drittem Reich und DDR nicht etwas zu weit?

Beide Systeme konnten und wollten mit der sogenannten „avantgardistischen Kunst“ nichts anfangen, mit dem Begriff der „Avantgarde“ schon. Im Fall des Nationalsozialismus gab es ja eine verwirrende Gleichzeitigkeit und ein eigentlich unbegreifliches Nebeneinander von modernen und anti-modernen Elementen: Swingbewegung und Rosenberg-Propaganda, Faulkner-Lektüre und Massenaufmärschen, Walmdach und Futurismus.
Der Film greift zudem etwas auf, was ich schon bei den Recherechen für „Zeit der Götter“ mit großem Interesse verfolgt habe, das Motiv und die Bedeutung der deutschen-freideutschen Jugendbewegung, etwa im „Wandervogel“. Breker kam aus diesem Umfeld, Jünger auch, aber ebenso Friedrich Wolf (der Vater von Markus und Konrad Wolf), Walter Benjamin oder Alfred Kurella, Stichwort ist der „Freideutsche Jugendtag“ auf dem Hohen Meißner bei Kassel.
Stellen Sie sich doch diese Szenerie mal vor, wer und was da alles beieinander stand, und der Rede Ludwig Klages mit dem programmatischen Titel „Mensch und Erde“ zuhörte, einer frühen Version des „Unabomber-Manifests“. Und dieses Energiefeld teilt sich dann, in extreme linke und rechte Positionen. Mich interessieren die gemeinsamen Wurzeln der verschiedenen Totalitarismen oder „Weltheilungs-Phantasien“ sehr, deren Ausläufer ja bis zu den Konzepten der Macy-Gruppe in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts reichen.
Natürlich ist diesen Theorien oder Modellen von der „neu zu erschaffenden Welt“ immer auch ein „Bildbegriff“ oder „Kunstbegriff“ zugeordnet. Das ist bei den rechten Positionen nicht zwangsläufig „anti-modern“, denken Sie an Sironi in der Malerei, die Futuristen oder die Revitalisierungsversuche im Österreich Haiders bei Mölzers junger Garde mit dem versuchten Mix aus Jünger, Mishima, Techno, Death in June und Debord´scher „Gesellschaft des Spektakels“.
Freilich kommt man mit dem Einsatz der von Ihnen erwähnten „etablierten Differenzen zwischen linken und rechten Positionen“ weder bei der Beschreibung von heutiger Wirklichkeit aus, noch bei der Annäherung an etwa die Kunst und Kultur im Dritten Reich oder der DDR.
Aber das ist doch schon lange klar. Interessant ist eher, warum das so lange funktioniert hat bzw. man sich an diesen viele Fakten und verstörenden Zusammenhänge ausblendenden Konsens gehalten hat.

 

· Haben Sie eigentlich Reaktionen von Ihren Interviewpartnern Werner Tübke oder Bernhard Heisig auf „Dürers Erben“ bekommen? Erfreut dürften die über den Film wohl kaum gewesen sein...

Mit Werner Tübke und Eduard Beaucamp, der ja seit Jahren in der FAZ ein unbeirrbarer Propagandist der ehemaligen DDR-Großmaler war und auch nach seiner Verrentung ist, gab es nach der Premiere in Leipzig 1997 eine Podiumsdiskussion. Das kam nicht viel dabei raus, außer dass die beiden den Film hinnehmen mussten, und sich in der Diskussion mühten, über die Runden und danach heil aus dem Saal zu kommen. Der Film geht ja mit Heisig, Tübke oder, nicht zu vergessen, den ehemaligen „Vorgesetzten“ der Maler, etwa der ehemalige SED-Funktionär und heutige PDS-Bundestagsabgeordnet Hans Lauter, sehr nobel und zurückhaltend um. Das war vielleicht, angesichts der aktuellen Entwicklung hin zur „Umschreibung“ von DDR-Kunst- wie Zeitgeschichte, die sich teilweise an der Grenze zur Geschichtsfälschung bewegt, ein Fehler.
Die zurückhaltende Art des Films hat mir übrigens aus dem Lager der ehemaligen „DDR-Dissidenten“ zum Teil harsche Kritik eingetragen. Ich denke aber, dass diese Machart dem Film eher die Chance eröffnet, als Dokument zu überleben, und ev. auch noch in zehn Jahren „überzeitlich“ und deshalb gut vorführbar zu sein.

· Es ist ja fast unheimlich, wie sich die Vorgänge in „Das Meisterspiel“ und „Das Netz“ gleichen. Beide Male Briefbombenattentate auf einflussreiche Persönlichkeiten, beide Male ein antimodernes Manifest, offenbar von einem hochintelligenten Kopf verfasst. Warum interessiert Sie diese makabre Konstellation so stark?

Während ich einen Film beende, stellt sich naturgemäß die Frage: was machst Du eigentlich danach? Als mir der österreichische Filmemacher Herbert Brödl eine Kopie des in der Arnulf Rainer–Causa aufgetauchten Manifests in den Schneideraum mitbrachte, wo ich an der Endfassung von „Dürers Erben“ arbeitete, geschah das mit der Bitte: „Schau Dir das doch mal genauer an. Du hast doch einen Film über Breker und rechte Ideologie gemacht. Wir denken, das Manifest und die Attentäter kommen von rechts. Vielleicht findest Du im Text Hinweise auf die Verfasser und die Kunstattentäter.“ Brödl war mit Arnulf Rainer befreundet, dessen Bilder von einem bis heute unbekannten Attentäter schwarz übermalt worden waren – eine Übermalung des Über-Malers.
Den Text fand ich auf Anhieb interessant, gespickt mit Zitaten und Verweisen von Raimundus Lullus bis hin zur „Büchse der Pandora-Linken“, also das musste man erstmal schreiben, und zusammentragen. Und interessanterweise war es nicht wirklich ein „anti-modernes Manifest“, sondern eher eine vom Gestus des „Halt ein, kehr um, bessere Dich!“ getragene Kritik einer als „verludert, korrumpiert und zahnlos gewordenen“ Moderne – möglicherweise von einem „Modernen“ selbst. Wie auch immer, den Text wollte ich spontan sofort verfilmen. Dass daraus eine Reise wurde, die mich bis an die slowenische Grenze, zum Kärntner Abwehrkampf, in Ortsgruppenversammlungen der FPÖ, auf den Ullrichs-Berg, in international rennomierte Museen und zu Kunstsammlern und letztlich zu den Trümmern einer Moderne führte, die sich selbst nicht mehr ernst nahm (oder besser, vielleicht nie ernst genommen hatte!), und sich verspielt hatte – das konnte ich anfangs noch nicht ahnen.
Und dieses „Endspiel“ von Künstlern und Ideologen im Verein mit Kuratoren, Galeristen, Polizisten und Kripobeamten, habe ich dann versucht, nachzuzeichnen.
Dabei gab es Überschneidungen zu einem anderen, gleichzeitig ablaufenden Spiel, dem der sogenannten „BBA“, als deren Initiator und Realisator dann der sogenannte Briefbomber Ernst Fuchs von den Ermittlern präsentiert wurde.
Die Legitimation zum gemeinsamen Betrachten und Prüfen der Überschneidungsräume beider Spiele erhielt ich letztlich von Arnulf Rainer und seiner Entourage selbst, die aus markttechnischen Gründen den Verdacht kräftig schürten, Rainer und seine Bilder seien Opfer einer versuchten rechtsradikal-konservativen „Zeitenwende“ in Europa, die sich vornehmlich auch gegen einen der prominentesten Vertreter der österreichischen Kunstavantgarde richten würde. Das wurde ernst genommen, zumindest von einem Teil der Presse.
Bis hierher ist, finde ich, nichts „Makaberes“ zu entdecken, Betrübliches, oder traurig Machendes aber zuhauf! Denken Sie an den Auftritt Reinhold Oberlerchers im Film – so viel vergeudete Intelligenz, und fehlgeleitete intellektuelle Masse! Was die beiden angesprochenen Fälle, den des Briefbombers der BBA und den des „Unabombers“ miteinander verzahnte und verschaltete, war zunächst ein Fahndungsansatz der österreichischen Profiler, die eine Verbindung via Internet zwischen beiden Attentätern vermuteten, und beide im radikal-ökologischen Umfeld vermuteten . Diese Nachricht verschwand aber zunächst, weil mir völlig hirnrissig erscheinend, in meinen Archivkartons.
Aber die durch diese wirre These der Profiler provozierte und sich anschließende Beschäftigung mit Person und Ideen von Viktor Schauberger, Tesla oder war mir später sehr nützlich, und liess sich interessant mit meinen Recherchen zu Beuys, Steiner, Ephesos und der ganzen Verquickung von Esoterik, Ökologie und auch rechtem Gedankengut verknüpfen, so dass ich mich dann im Fall von Ted Kaczynski bei„EarthFirst!“, Edward Abbey (The Monkey Wrench Gang) oder Thoreau gut zurechtfinden konnte.
Also, eins folgt logisch oder zufällig, das ist egal, aus dem anderen. Man muss nur zuhören, wie das Material „spricht“, oder im rechten Moment den Impuls folgen, und einfach losfahren. Dann findet man auch das, was zusammengehört. Wie Parzival eben, der tumbe Tor.

 

· Im „Meisterspiel“ spricht ein Interviewpartner von den Briefbomben als „kleine Kunstwerke“ [das genaue Zitat weiß ich nicht mehr, verbessern Sie mich bitte, wenn ich mich irren sollte]. Ist das nicht ein vollkommen pervertiertes Verständnis vom Gesamtkunstwerk, das die gesellschaftliche Trennung von Kunst und Leben überwinden soll, und dem auch die Attentäter selbst verfallen sind?

Der erwähnte Gesprächspartner war der „Briefbombenspezialist“ der Wiener Zeitschrift „Falter“, der wiederum einen der Ermittler zitiert, der, das kann unterstellt werden, nicht so sattelfest in der Kausa „Gesamtkunstwerk“ gewesen sein dürfte.
Kunst und Gewalt sind aber nun ein klassischer Plot der Moderne, und von Anfang „lüstern“ miteinander verbandelt. Ebenso alt ist das Kokettieren des Künstlers mit „der wirklichen Tat“, die „Ernst macht“ und ihm damit ein Entkommen aus Kunst- und Gedankenräumen ins „wirkliche Leben“ ermöglicht,
In „Das Meisterspiel“ erleben wir das Vortragen und Zitieren dieser Wünsche und Träume als Farce, als verrutsches Possenspiel. Das, was Haiders ehemaliger Adlatus Mölzer zu Fake und politischem Terrorismus im Film sagt, wird nicht falsch, weil es von ihm kommt. Was mich im nachhinein beim Anschauen des Films anweht, ist die große Müdigkeit und Kraftlosigkeit auf allen Seiten, in allen politischen Lagern. Ein Endspiel wie in Erwartung einer nahenden „Auslöschung“: durch das digitale Zeitalter vielleicht, mit der erschreckenden Erfindung/Entdeckung der kybernetischen Endlosschleife als der effektivsten und modernsten Form des Lagers.
Die wirklichen, oder besser: heraufziehenden Kräfteverhältnisse lassen sich, ansatzweise, in „Das Netz“ besichtigen. Oder besser, erahnen.

· Sowohl in „Das Meisterspiel“ als auch in „Das Netz“ sind Recherche und Suchbewegung des Filmemachers integraler Bestandteil des Films selbst. Der Zuschauer wird nicht mit fertigen Ergebnissen konfrontiert, sondern erlebt die allmähliche Entstehung einer Hypothese selbst in statu nascendi mit. Muss ein Dokumentarfilmer heutzutage dem Publikum den eigenen Rechercheprozess sowie die dabei verwendeten Medien offenlegen?

Kann er, muss er aber nicht. Aber er ist darauf angewiesen, glaubhaft zu sein. Wie „wirkt“ man heute glaubhaft? Das Publikum ist ja durch das Gerede von der Künstlichkeit aller Erscheinungen, wo es angeblich keine Realität, Wirklichkeit oder Materie mehr gibt, und alles quasi im Gehirn des Betrachters zusammengebraut und konstruiert wird und somit keine Beweisbarkeit für irgendetwas existiert, extrem verwirrt und verunsichert. Man kann (und soll) nichts glauben, weil ohnehin alles manipuliert oder gefakt ist (zumindest wird das den Leuten jeden Tag mit gewaltigem Werbeeinsatz eingehämmert) – dann ist es doch ohnehin egal? „Scheiss drauf“, ist doch nur alles Fotoshop oder Trick, Simulation. Mach doch, was D u willst. Natürlich geht das mit der alten Natur nicht so einfach, dafür braucht es schon eine neue Natur, die technisch beherrschbar ist. Die Filme von Monika Treut und anderen erzählen traurige Dinge von dieser Zukunft.
Das Publikum hat also nur die Chance, das zu g l a u b e n, was ich ihm vorzeige. Natürlich sind wir da bei religiösen Dingen, zwangsläufig. Der Zuschauer muss mir g l a u b e n. Ob es dafür hilfreich ist, die Konstruktion und Arbeitsvorgänge offenzulegen, weiss ich nicht.
Im Fall von „Das Netz“ war mein Ansatz Zweifel: daran, dass es in Zukunft unsichtbare, virtuelle oder imaterielle Dinge sein werden, die unser Leben in einem „Cyberspace“ bestimmen. Das wollte ich mir ansehen, und versuchen, dafür Bilder zu finden: von Orten, Personen und Dingen, die es „wirklich“ gibt.

 

· Wie beeinflusst dabei das Internet als Medium den Recherchevorgang? Und würden Sie sagen, dass sich das Internet als Medium mittlerweile auch auf die Dokumentarfilm-Dramaturgie auswirkt?

Zu allererst bildet „Das Netz“ eine Reise ab. Dass da Telefone, Fernseher oder Laptops mit Internetanschluss stehen, hat zunächst erstmal nicht mehr Bedeutung wie die Bäume, Tische oder Kaffeekannen im Bild.
Das Internet ist für die Recherche nur sehr bedingt brauchbar, und für den Produktionsleiter sicher effektiver wie für den Autor. Die Informationen aus dem Netz sind doch sehr vage, höchstens für eine Ausgangsorientierung nützlich. Vieles ist falsch, gefakt oder sogar bewusst gestreuter Unsinn bis hin zu psychologischer Kriegführung.
Im entscheidenden Moment muss man hinfahren, und Face to Face mit Menschen sprechen, Räume und Landschaften begehen, durchfahren, rieche und hören, um sich „ein Bild“ zu machen. Die Theorie dass es Dinge gibt, die virtuell sind oder gar nur in imaginären und gerechneten Welten existieren, ist doch mittlerweile vom Tisch. oder?
Was kommen wird, ist der Terror und die Perversion von Handy-Tv, Streaming aller Arten, und dem Verschwinden z.B. des Kinos in der uns bekannten Form, mithin einer Deformation oder „Hinabzüchtung“ des Sehens,. Hörens und natürlich Begreifens/Verstehens. Warum das so sein wird, und wer daran Interesse hat, das es so kommt, das sind interessante Themen. Was mich melancholisch stimmt dabei:
Diese Entwicklung geht gegen meine eigenen, persönlichen wie künstlerischen, Interessen, und ich kann sie nicht aufhalten. Denn natürlich wird auch die Art und Weise, in der ich gern weiter Filme machen würde, verschwinden.

Sie machen in allen Ihren Filmen ausgiebig Gebrauch von Archivmaterialien. Wie würden Sie Ihren Umgang mit diesen Materialien charakterisieren?

Ich sitze gern in Archiven, und schau mir dort tagelang die Filme an. Ich mag die Athmosphäre, das leicht vergilbte, verwahrloste, abgestandene. Leider ist das sehr teuer, und ich kann es meist nur im Schnellgang machen. Aber das hat auch seinen speziellen Reiz. Ich bemerke sofort, wo etwas ist, was ich brauchen kann. Den Schneidetisch hab ich dabei immer im Kopf, zumindest während des Produktionsprozesses.
Ich hab lange gebraucht, um die Schwierigkeiten und Fallen im Umgang mit dem Archivmaterial zu bemerken. Man kann es eben nicht einfach mal„dazwischenschneiden“. Das ist ein sehr umfangreiches, weitgehendes und vor allem in Zukunft wichtiges Thema.
Denn es naht der Moment, wo alle Zeitzeugen gestorben sein werden. Das ist natürlich der Moment, auf den viele warten, vor allem die Zeit- Kunst- und Filmhistoriker. Denn dann können Sie sich über den Kadaver hermachen, der nun nicht mehr zucken oder nach ihnen greifen kann. (denn davor haben sie eine Heidenangst: angefasst und hineingezogen zu werden, oder gar in den „Brunnen der Erinnerung“ - der natürlich auch eine gefährliche „Schlangegrube“ sein kann - hineinzufallen, über dessen Rand sie sich zu weit gebeugt haben).
Und es wird auch eine gute Zeit für die Geschäftemacher und Ingenieure des „Doku-tainment“ werden. Die können nun nach Belieben schalten und walten, und die Archivstücke nach Belieben frei miteinander komponieren und verschneiden.
Das Dritte Reich z.B. ist für mich eine der verpassten Gelegenheiten, was den Umgang mit Zeitzeugen betrifft. Eigentlich wissen wir nicht viel über diese Zeit, was angesichts der Unmengen von Veröffentlichungen vielleicht kurios klingt. Aber an den „strahlenden Kern“, das idealistische „warum, wofür“ des Anfangs und Selbsteinschätzungen im kritischen Gespräch mit wichtigen Protagonisten, „warum es schief gegangen ist“, ist niemand so richtig herangekommen, oder hat sich heran gewagt. Die letzte Chance dazu hatte m.E. die Generation der 68er in den 70er Jahren. Die „Täter“ waren glaube ich, offen für das Gespräch mit den „Enkeln“, oder besser, hatten die Hoffnung auf Unvoreingenommenheit. Und Neugier. Als ich dann anfing, selbst zu recherchieren, war es eigentlich zu spät. Da waren die Jalousien schon wieder unten, oder die Protagonisten zu alt oder schon gestorben.
Ich hätte z.B. gern mit Werner Best gesprochen, der 1989 starb, just als ich mit den Vorbereitungen zu „Zeit der Götter“ begann.
Best prägte den Begriff "Heroischer Realismus“, der gleichzeitig der Titel eines Aufsatzes in der „Literarischen Welt“ von 1930 war, und den Einfluß von Ernst Jünger und Edgar Jung auf sein Denken widerspiegelt. Best baute später die Gestapo mit auf und wurde ein Technokrat des Judenmordes, der mit der von Jünger am Soldaten und Arbeiter gefeierten Kombination von Sachlichkeit und Heldentum Ernst machte. Für die SS schrieb er später Exerzitien, die sich auch auf den Hlg-. Bernhard von Clairvaux und dessen um 1130/31 erschienenes „Lob der neuen Miliz“ (gemeint waren die Templer) beriefen.
Ich merke natürlich, jetzt, da ich selbst im Zuge der Aufarbeitung von Kunst- und Zeitgeschichte der DDR so etwas wie ein „Zeitzeuge“ geworden bin, wie schwierig die Sache ist. Welche Schwierigkeiten es macht, nach historischen Umbrüchen den „Zeitzeugen“ eine Möglichkeit anzubieten, sich zu öffnen,
Vertrauen zu haben und etwas „abzuliefern“, das für sie ev. auch unangenehme Konsequenzen hat.
Die Schwierigkeit besteht auch darin, den Punkt zu finden, bevor es umkippt in ungewollte Komplizenschaft, oder in bewußte wie unbewusste „Entschuldung“.

 

Sehen Sie auch eine aktuelle Verschiebung im Dokumentarfilm hin zu einem verstärkten Einsatz von Archivmaterial im Rahmen einer immer stärker visuell basierten Erinnerungskultur?

Ja, das wird wohl kommen. Es wird eine Zeit der freien Erfindungen und Montagen werden. Völlig neue Geschichtsbilder sind dann möglich, können montiert und verbreitet zu werden. Was dann zählt ist, Besitzer von Bandbreiten und lizensierbaren Inhalten zu sein.

Bei Filmen, die sich, wie teilweise auch die Ihren, mit der Rekonstruktion von vergangenen Ereignissen befassen, ist mittlerweile das sogenannte Reenactment, also das Nachstellen von Szenen mit Schauspielern, eine gängige Praktik. Errol Morris´ „The Thin Blue Line“, Stones „JFK“ oder Breloers Doku-Dramen sind dafür nur die prominentesten Beispiele. Was halten Sie davon, und könnten Sie sich derartige Elemente in einem Ihrer nächsten Filme vorstellen?

Nichts, ich finde das eine Unterwerfung unter ein vorgegebenes Diktat in formaler wie inhaltlicher Hinsicht, dass Teil eines Verblödungsfeldzugs ist, wo mit den dubiosen Zahlen der Medien- und Meinungsforscher „wissenschaftlich“ untermauert und durch mediales Trommelfeuer mit Unsummen von Geld den Leuten als Meinung eingeblasen wird. Dabei wird der Dokumentarfilm Teil von „Unterhaltung“, von Fiction, Non-fiction und Fiction werden eins. Da muss man nicht lange suchen, um die Bastelanleitung und Theorie dafür zu finden. Letztlich geht es um Ruhigstellen und Kontrolle. Das klingt den genannten Beispielen gegenüber sicher zunächst ungerecht, oder unziemlich vergröbernd. Aber wenn sie den Bodensatz mit dazunehmen und das andere Ende der Qualitätsskala, und die Quantitäten noch mit dazunehmen, stimmt es sicherlich.
Ich hätte da keine Lust dazu. Die ersten Einstellungen des Trailers zu „Dresden“ im ZDF reichen mir um zu sagen: das schau ich mir garnicht erst an.
Das ist etwas für Technikfreaks und Rechenknechte.

· Wie stehen Sie zum „klassischen“ Essayfilm à la Godard, Marker, Farocki, Kluge oder Bitomsky?

Das Interesse für die Arbeit Kluges stand ganz am Anfang meiner Arbeit mit Film. Das hat sich dann später ausgedünnt, Ich fand seine letzten Filme fürs Kino zu schwach, z u essayistisch, und was er seit Jahren für das Fernsehen macht, hat mich schnell ermüdet. Das schien mir letztlich doch nur eine politisch eingefädelte Platzhalter-Geschichte, und das Mitlaufen mit dem Privatfernsehen kontraproduktiv. Und es verkam schnell zum „Grand Guignol“, mit Kroko, Liesl, Oma, Kasper und dem Polizisten, also ein Typentheater, das sich immer öfter und schneller wiederholte, und sich letztlich zur „Selbstauflösung hinbewegte. Godards „Deutschland Stunde Zero“ fand ich gut. „Hotel Terminus“ von Ophüls würde ich dem noch vorziehen. Wesentlich und viel früher beeinflusst wurde ich aber durch einen Dokumentarfilm, den ich so um 1979 herum zufällig in Babelsberg an der Filmhochschule sah. Der war von Ferenc Kosa, und hiess „Tausend Sonnen“. Ein Gespräch von Kosa mit dem ungarischen Zehn- oder Fünfkämpfer Janos Balco. Immer eine Rolle, ungeschnitten, schwarz-weiss. Bumm!
Und die Filme Zanussis. Das reicht dann eine Weile. Eigentlich geht es ja nur darum, in Gang zu kommen.

· Der Essayfilm ist ja, systemtheoretisch gesprochen, ein merkwürdiges Zwitterwesen zwischen Kunst, Massenmedien und Wissenschaft, eine Mischform, die es laut der orthodoxen Systemtheorie gar nicht geben dürfte. In welchem dieser Systeme würden Sie Ihre Filme am ehesten verorten? Oder spielt diese Frage für Sie gar keine Rolle?

Oh Gott, instinktiv fliehe ich „systtemtheoretische“ Zusammenhänge, vor allem, wenn Sie auch noch „orthodox“ daherkommen. In welchem System verorte ich meine Filme? Bis 1986 entstanden die Filme im System des Sozialismus, seit 1986 im System des Kapitalismus. Ich nenne das Dokumentarfilm oder einfach F i l m , und will damit ins K i n o , solange es das noch gibt. Dafür brauche ich Geld vom Fernsehen, das diese Filme nach Mitternacht dafür senden kann. Nach meiner Schätzung ist diese Konstruktion in ein paar Jahren nicht mehr existent. Danach dann fürs Internetfernsehen zu arbeiten, oder Filme mit HD-DV-Handy zu drehen, hab ich im (noch) keine Lust, Schrecklich auch die Vorstellung (für einige Kollegen anscheind Traumziel) das Museum oder der Kunstmarkt könnten die nun heimatlosen Filmemacher aufnehmen. Das waere wie Bluesgottesdienst in den 70er Jahren. Aber noch ist es nicht soweit, und ich kämpfe dafür, einen neuen F i l m machen zu können. Die Schlupflöcher dafür werden aber immer enger.

· Sie arbeiten in Ihren Filmen oft mit Installationen, in denen die Kamera etwa räumliche Anordnungen von Büsten und auf Karton aufgeklebten Figuren vor einem verdunkelten Hintergrund abfährt. Sind das auch verräumlichte Denk-Bilder, in denen abstrakte Gedanken in sinnlicher Form präsentiert werden? Oder „imaginäre Museen“, wie es André Malraux formuliert hat?

Es sind eher Gedankenräume, manchmal schlicht auch Ersatz für fehlendes Archivmaterial, Zeitzeugen oder fehlende Reisekosten, das aber erstaunlicherweise dann oft eine eigene Präsenz entwickelt. Und mehr ist als nur „Ersatz“ und „Kulissenbau“. Wirklich sehen kann man aber eigentlich nur im Kino, auf einer richtig großen Leinwand. Da sieht man, dass es sehr detailliert und präzise gebaute Schichtungen sind, wo jedes Detail „etwas erzählt“, und dafür von der Kamera „Buchstaben für Buchstaben“ abgefahren wird, bis der Satz vollständig ist.
Allerdings muß der Zuschauer das Alphabet kennen.


· Was kann eine Installation leisten, was ein Film nicht kann?

Die Frage müsste eher lauten: was kann bildende Kunst, was der Film nicht kann. Ich habe Mitte der 70er Jahre damit begonnen, den Bildbegriff für mich hin zu räumlichen Medieninszenierungen zu öffnen. Weil ich dachte, sowohl bildende Kunst wie Film mit ihrem vorgegebenem Bild-Rahmen seien (mir) zu eng.
Da war sicher viel naive Freude an projektionistischen und technischen Effekten und auch Lust an Überwältigungsstrategien dabei. Heute denke ich z.B.: Film hat im Theater nichts verloren, auch nicht im Museum. Die klassischen Erzähl- und Vorführformen sind ausreichend. Duchamp und Piscator, danach kam ja nicht mehr viel.
Die gegenwärtige Entwicklung und Überredung hin zu mehr Geräten, Elektronik und Tricks hat bisher zu noch nicht viel Bleibendem geführt, denken Sie etwa an den Elektronik-Kitsch von Paik. Also, da muss man abwarten. Wir müssen nur aufpassen, das es nicht zu einer Diktatur der Technik und der dem vorauseilenden und sekundierenden Theorien und Theoretiker kommt. Jeder kann und sollte sich entscheiden k ö n n e n , ob er den „flow“ in diese oder jene Richtung verstärken und schneller machen, oder ob er bremsen und verlangsamen will.

· Sie bereiten gerade an Installationen für Museen in Hamburg und Leipzig. Worum geht es dort jeweils?

In Leipzig ist es ein Beitrag zur Ausstellung „40 Jahre Videokunst“ im Museum der Bildenden Künste. Dort zeige ich die Installation „Herakles Konzept _Materiallager“, die Archiv- und Arbeitsmaterialien von 1979 bis heute enthält.
In der Hamburger Kunsthalle folgt dann im April die Installation „cabin“ im Rahmen der Ausstellung „SNAFU. Medien, Mythen, Mind Control“, die Materialien von Recherche und Archivsuche von „Das Netz“ verarbeitet, einschließlich einem Nachbau der Hütte von Ted Kaczynski. Und im Herbst gibt es dann in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin eine Einzelausstellung mit dem Titel „PARANOIA“, die u.a. auch ein Modell von Speers „Großer Halle“ einbeziehen wird. Ende November werde ich im Museum von Taipeh eine Arbeit in der Gruppenausstellung „Naked Life“ realisieren.

· Arbeiten Sie auch bereits an einem neuen Filmprojekt?

Ja, der Arbeitstitel ist „Beat the Clock“. Ist seit letztem Sommer schon von drei Sendern und nun auch von Arte abgelehnt worden, Zu kompliziert einerseits, andererseits zu konventionell, wird niemand sehen wollen usw. Also, es geht los wie bei allen anderen Filmen. Das ist auch irgendwie beruhigend.

Vielen Dank für Ihre Antworten!