Para-Nous Ein Interview mit dem multimedialen Konzeptkünstler Lutz Dammbeck Das Gespräch führte Oliver Mayer
Herakles Konzept_Materiallager", 1979/2006, Installation in der Ausstellung "40 Jahre Videokunst" im Museum der Bildenden Künste Leipzig. Fotos: Bertram Kober/Punctum · Herr Dammbeck, in allen Ihren Filmen verweigern Sie dem Zuschauer eine explizite Stellungnahme zum jeweils Gefilmten. Diese Ambivalenz hat Ihnen bei „Zeit der Götter“, „Das Meisterspiel“ und auch „Das Netz“ teilweise den Vorwurf eingebracht, dem Nazi-Bildhauer Arno Breker, der rechtsradikalen Szene in Österreich oder dem Una-Bomber zu unkritisch gegenüberzustehen. Ist diese Ambivalenz ästhetisches Kalkül? Ambivalenz? Ich teile Ihre Bewertung nicht. Meine Haltung
zu den Sujets, Personen oder reflektierten Philosophien oder Weltbildern
ist für mich klar erkennbar. Und für andere anscheinend auch.
Sonst hätten die Filme bisher nicht so viele Reizungen, Nickeligkeiten
und, neben vielen positiven und übereinstimmenden wie zustimmenden
Rückmeldungen, auch bösartige Angriffe provoziert, Prädikate
wie „und entblödet sich nicht....“ oder “talibanistische
Technikkritik...,eine paranoide Darstellung der Geschichte der Kybernetik
mehr oder weniger aus der Sicht des Unabombers Ted Kaczinsky....die Auferstehung
des guten alten DDR-Propagandafilms aus den Zeiten des Kalten Krieges...fehlte
eigentlich nur noch der Verweis auf die juedische Weltverschwoerung...
" über meinen letzten Film „Das Netz“ verdient man
sich nicht mit Ambivalenz. Diese Injektivien freuen mich natürlich,
weil sie echten Ärger und Agressionen ausdrücken und mir signalisieren,
dass ich sensible Bereiche berührt habe. Und genau darum geht es,
im Fußball heisst das „dahin gehen wo es weh tut.“ · Eine weitere Ambivalenz Ihrer Filme liegt im Unterlaufen der etablierten Differenzen zwischen linken und rechten Positionen. „Dürers Erben“ parallelisiert ja etwa die radikale Ablehnung avantgardistischer Kunst sowohl im Nationalsozialismus als auch in der DDR. Gehen Sie mit dieser Gleichsetzung von Drittem Reich und DDR nicht etwas zu weit? Beide Systeme konnten und wollten mit der sogenannten „avantgardistischen
Kunst“ nichts anfangen, mit dem Begriff der „Avantgarde“
schon. Im Fall des Nationalsozialismus gab es ja eine verwirrende Gleichzeitigkeit
und ein eigentlich unbegreifliches Nebeneinander von modernen und anti-modernen
Elementen: Swingbewegung und Rosenberg-Propaganda, Faulkner-Lektüre
und Massenaufmärschen, Walmdach und Futurismus.
· Haben Sie eigentlich Reaktionen von Ihren Interviewpartnern Werner Tübke oder Bernhard Heisig auf „Dürers Erben“ bekommen? Erfreut dürften die über den Film wohl kaum gewesen sein... Mit Werner Tübke und Eduard Beaucamp, der ja seit Jahren
in der FAZ ein unbeirrbarer Propagandist der ehemaligen DDR-Großmaler
war und auch nach seiner Verrentung ist, gab es nach der Premiere in Leipzig
1997 eine Podiumsdiskussion. Das kam nicht viel dabei raus, außer
dass die beiden den Film hinnehmen mussten, und sich in der Diskussion
mühten, über die Runden und danach heil aus dem Saal zu kommen.
Der Film geht ja mit Heisig, Tübke oder, nicht zu vergessen, den
ehemaligen „Vorgesetzten“ der Maler, etwa der ehemalige SED-Funktionär
und heutige PDS-Bundestagsabgeordnet Hans Lauter, sehr nobel und zurückhaltend
um. Das war vielleicht, angesichts der aktuellen Entwicklung hin zur „Umschreibung“
von DDR-Kunst- wie Zeitgeschichte, die sich teilweise an der Grenze zur
Geschichtsfälschung bewegt, ein Fehler. · Es ist ja fast unheimlich, wie sich die Vorgänge in „Das Meisterspiel“ und „Das Netz“ gleichen. Beide Male Briefbombenattentate auf einflussreiche Persönlichkeiten, beide Male ein antimodernes Manifest, offenbar von einem hochintelligenten Kopf verfasst. Warum interessiert Sie diese makabre Konstellation so stark? Während ich einen Film beende, stellt sich naturgemäß
die Frage: was machst Du eigentlich danach? Als mir der österreichische
Filmemacher Herbert Brödl eine Kopie des in der Arnulf Rainer–Causa
aufgetauchten Manifests in den Schneideraum mitbrachte, wo ich an der
Endfassung von „Dürers Erben“ arbeitete, geschah das
mit der Bitte: „Schau Dir das doch mal genauer an. Du hast doch
einen Film über Breker und rechte Ideologie gemacht. Wir denken,
das Manifest und die Attentäter kommen von rechts. Vielleicht findest
Du im Text Hinweise auf die Verfasser und die Kunstattentäter.“
Brödl war mit Arnulf Rainer befreundet, dessen Bilder von einem bis
heute unbekannten Attentäter schwarz übermalt worden waren –
eine Übermalung des Über-Malers.
· Im „Meisterspiel“ spricht ein Interviewpartner von den Briefbomben als „kleine Kunstwerke“ [das genaue Zitat weiß ich nicht mehr, verbessern Sie mich bitte, wenn ich mich irren sollte]. Ist das nicht ein vollkommen pervertiertes Verständnis vom Gesamtkunstwerk, das die gesellschaftliche Trennung von Kunst und Leben überwinden soll, und dem auch die Attentäter selbst verfallen sind? Der erwähnte Gesprächspartner war der „Briefbombenspezialist“
der Wiener Zeitschrift „Falter“, der wiederum einen der Ermittler
zitiert, der, das kann unterstellt werden, nicht so sattelfest in der
Kausa „Gesamtkunstwerk“ gewesen sein dürfte. · Sowohl in „Das Meisterspiel“ als auch in „Das Netz“ sind Recherche und Suchbewegung des Filmemachers integraler Bestandteil des Films selbst. Der Zuschauer wird nicht mit fertigen Ergebnissen konfrontiert, sondern erlebt die allmähliche Entstehung einer Hypothese selbst in statu nascendi mit. Muss ein Dokumentarfilmer heutzutage dem Publikum den eigenen Rechercheprozess sowie die dabei verwendeten Medien offenlegen? Kann er, muss er aber nicht. Aber er ist darauf angewiesen,
glaubhaft zu sein. Wie „wirkt“ man heute glaubhaft? Das Publikum
ist ja durch das Gerede von der Künstlichkeit aller Erscheinungen,
wo es angeblich keine Realität, Wirklichkeit oder Materie mehr gibt,
und alles quasi im Gehirn des Betrachters zusammengebraut und konstruiert
wird und somit keine Beweisbarkeit für irgendetwas existiert, extrem
verwirrt und verunsichert. Man kann (und soll) nichts glauben, weil ohnehin
alles manipuliert oder gefakt ist (zumindest wird das den Leuten jeden
Tag mit gewaltigem Werbeeinsatz eingehämmert) – dann ist es
doch ohnehin egal? „Scheiss drauf“, ist doch nur alles Fotoshop
oder Trick, Simulation. Mach doch, was D u willst. Natürlich geht
das mit der alten Natur nicht so einfach, dafür braucht es schon
eine neue Natur, die technisch beherrschbar ist. Die Filme von Monika
Treut und anderen erzählen traurige Dinge von dieser Zukunft.
· Wie beeinflusst dabei das Internet als Medium den Recherchevorgang? Und würden Sie sagen, dass sich das Internet als Medium mittlerweile auch auf die Dokumentarfilm-Dramaturgie auswirkt? Zu allererst bildet „Das Netz“ eine Reise ab.
Dass da Telefone, Fernseher oder Laptops mit Internetanschluss stehen,
hat zunächst erstmal nicht mehr Bedeutung wie die Bäume, Tische
oder Kaffeekannen im Bild. Sie machen in allen Ihren Filmen ausgiebig Gebrauch von Archivmaterialien. Wie würden Sie Ihren Umgang mit diesen Materialien charakterisieren? Ich sitze gern in Archiven, und schau mir dort tagelang
die Filme an. Ich mag die Athmosphäre, das leicht vergilbte, verwahrloste,
abgestandene. Leider ist das sehr teuer, und ich kann es meist nur im
Schnellgang machen. Aber das hat auch seinen speziellen Reiz. Ich bemerke
sofort, wo etwas ist, was ich brauchen kann. Den Schneidetisch hab ich
dabei immer im Kopf, zumindest während des Produktionsprozesses.
Sehen Sie auch eine aktuelle Verschiebung im Dokumentarfilm hin zu einem verstärkten Einsatz von Archivmaterial im Rahmen einer immer stärker visuell basierten Erinnerungskultur? Ja, das wird wohl kommen. Es wird eine Zeit der freien Erfindungen und Montagen werden. Völlig neue Geschichtsbilder sind dann möglich, können montiert und verbreitet zu werden. Was dann zählt ist, Besitzer von Bandbreiten und lizensierbaren Inhalten zu sein. Bei Filmen, die sich, wie teilweise auch die Ihren, mit der Rekonstruktion von vergangenen Ereignissen befassen, ist mittlerweile das sogenannte Reenactment, also das Nachstellen von Szenen mit Schauspielern, eine gängige Praktik. Errol Morris´ „The Thin Blue Line“, Stones „JFK“ oder Breloers Doku-Dramen sind dafür nur die prominentesten Beispiele. Was halten Sie davon, und könnten Sie sich derartige Elemente in einem Ihrer nächsten Filme vorstellen? Nichts, ich finde das eine Unterwerfung unter ein vorgegebenes
Diktat in formaler wie inhaltlicher Hinsicht, dass Teil eines Verblödungsfeldzugs
ist, wo mit den dubiosen Zahlen der Medien- und Meinungsforscher „wissenschaftlich“
untermauert und durch mediales Trommelfeuer mit Unsummen von Geld den
Leuten als Meinung eingeblasen wird. Dabei wird der Dokumentarfilm Teil
von „Unterhaltung“, von Fiction, Non-fiction und Fiction werden
eins. Da muss man nicht lange suchen, um die Bastelanleitung und Theorie
dafür zu finden. Letztlich geht es um Ruhigstellen und Kontrolle.
Das klingt den genannten Beispielen gegenüber sicher zunächst
ungerecht, oder unziemlich vergröbernd. Aber wenn sie den Bodensatz
mit dazunehmen und das andere Ende der Qualitätsskala, und die Quantitäten
noch mit dazunehmen, stimmt es sicherlich. · Wie stehen Sie zum „klassischen“ Essayfilm à la Godard, Marker, Farocki, Kluge oder Bitomsky? Das Interesse für die Arbeit Kluges stand ganz am Anfang
meiner Arbeit mit Film. Das hat sich dann später ausgedünnt,
Ich fand seine letzten Filme fürs Kino zu schwach, z u essayistisch,
und was er seit Jahren für das Fernsehen macht, hat mich schnell
ermüdet. Das schien mir letztlich doch nur eine politisch eingefädelte
Platzhalter-Geschichte, und das Mitlaufen mit dem Privatfernsehen kontraproduktiv.
Und es verkam schnell zum „Grand Guignol“, mit Kroko, Liesl,
Oma, Kasper und dem Polizisten, also ein Typentheater, das sich immer
öfter und schneller wiederholte, und sich letztlich zur „Selbstauflösung
hinbewegte. Godards „Deutschland Stunde Zero“ fand ich gut.
„Hotel Terminus“ von Ophüls würde ich dem noch vorziehen.
Wesentlich und viel früher beeinflusst wurde ich aber durch einen
Dokumentarfilm, den ich so um 1979 herum zufällig in Babelsberg an
der Filmhochschule sah. Der war von Ferenc Kosa, und hiess „Tausend
Sonnen“. Ein Gespräch von Kosa mit dem ungarischen Zehn- oder
Fünfkämpfer Janos Balco. Immer eine Rolle, ungeschnitten, schwarz-weiss.
Bumm! · Der Essayfilm ist ja, systemtheoretisch gesprochen, ein merkwürdiges Zwitterwesen zwischen Kunst, Massenmedien und Wissenschaft, eine Mischform, die es laut der orthodoxen Systemtheorie gar nicht geben dürfte. In welchem dieser Systeme würden Sie Ihre Filme am ehesten verorten? Oder spielt diese Frage für Sie gar keine Rolle? Oh Gott, instinktiv fliehe ich „systtemtheoretische“ Zusammenhänge, vor allem, wenn Sie auch noch „orthodox“ daherkommen. In welchem System verorte ich meine Filme? Bis 1986 entstanden die Filme im System des Sozialismus, seit 1986 im System des Kapitalismus. Ich nenne das Dokumentarfilm oder einfach F i l m , und will damit ins K i n o , solange es das noch gibt. Dafür brauche ich Geld vom Fernsehen, das diese Filme nach Mitternacht dafür senden kann. Nach meiner Schätzung ist diese Konstruktion in ein paar Jahren nicht mehr existent. Danach dann fürs Internetfernsehen zu arbeiten, oder Filme mit HD-DV-Handy zu drehen, hab ich im (noch) keine Lust, Schrecklich auch die Vorstellung (für einige Kollegen anscheind Traumziel) das Museum oder der Kunstmarkt könnten die nun heimatlosen Filmemacher aufnehmen. Das waere wie Bluesgottesdienst in den 70er Jahren. Aber noch ist es nicht soweit, und ich kämpfe dafür, einen neuen F i l m machen zu können. Die Schlupflöcher dafür werden aber immer enger. · Sie arbeiten in Ihren Filmen oft mit Installationen, in denen die Kamera etwa räumliche Anordnungen von Büsten und auf Karton aufgeklebten Figuren vor einem verdunkelten Hintergrund abfährt. Sind das auch verräumlichte Denk-Bilder, in denen abstrakte Gedanken in sinnlicher Form präsentiert werden? Oder „imaginäre Museen“, wie es André Malraux formuliert hat? Es sind eher Gedankenräume, manchmal schlicht auch
Ersatz für fehlendes Archivmaterial, Zeitzeugen oder fehlende Reisekosten,
das aber erstaunlicherweise dann oft eine eigene Präsenz entwickelt.
Und mehr ist als nur „Ersatz“ und „Kulissenbau“.
Wirklich sehen kann man aber eigentlich nur im Kino, auf einer richtig
großen Leinwand. Da sieht man, dass es sehr detailliert und präzise
gebaute Schichtungen sind, wo jedes Detail „etwas erzählt“,
und dafür von der Kamera „Buchstaben für Buchstaben“
abgefahren wird, bis der Satz vollständig ist.
Die Frage müsste eher lauten: was kann bildende Kunst,
was der Film nicht kann. Ich habe Mitte der 70er Jahre damit begonnen,
den Bildbegriff für mich hin zu räumlichen Medieninszenierungen
zu öffnen. Weil ich dachte, sowohl bildende Kunst wie Film mit ihrem
vorgegebenem Bild-Rahmen seien (mir) zu eng. · Sie bereiten gerade an Installationen für Museen in Hamburg und Leipzig. Worum geht es dort jeweils? In Leipzig ist es ein Beitrag zur Ausstellung „40
Jahre Videokunst“ im Museum der Bildenden Künste. Dort zeige
ich die Installation „Herakles Konzept _Materiallager“, die
Archiv- und Arbeitsmaterialien von 1979 bis heute enthält. · Arbeiten Sie auch bereits an einem neuen Filmprojekt? Ja, der Arbeitstitel ist „Beat the Clock“. Ist seit letztem Sommer schon von drei Sendern und nun auch von Arte abgelehnt worden, Zu kompliziert einerseits, andererseits zu konventionell, wird niemand sehen wollen usw. Also, es geht los wie bei allen anderen Filmen. Das ist auch irgendwie beruhigend. Vielen Dank für Ihre Antworten! |
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