Das Netz 4/5 Sterne Anbieter: absolut
medien 2006 Der Wissenschaftler Ted Kaczynski verschickte in den 80ern Briefbomben an Chefs großer Fluggesellschaften und Professoren verschiedener Eliteuniversitäten, um dadurch die Veröffentlichung seines technikfeindlichen Manifestes zu erzwingen. In dem Essayfilm „Das Netz“ (2005) steht die Frage „Was macht einen Mathematiker zum Terroristen?“ als Ausgangspunkt zu einer komplexen Darstellung des Wissenschafts- und Mentalitätswandels der letzten 50 Jahre. Der Regisseur Lutz Dammbeck legt nämlich sein Hauptaugenmerk nicht auf den Angelpunkt Kaczynski, sondern untersucht das komplexe Gewebe, das sich zwischen den verschiedenen Lösungsansätzen der Fragestellung entspinnt. Seine Gesprächspartner verweigern eine Auseinandersetzung mit den Motiven des Attentäters. Die nagende Leerstelle wird zur Triebfeder für die Jagd nach Erkentniss. Neue Antworten stellen neue Fragen an den vom Wissensdurst getriebenen Dammbeck. Das WorldWideWeb dient ihm dabei als Leitgedanke, Recherchewerkzeug und Metapher für das eigentliche Thema des Films: offene Strukturen. Die diskursive Auseinandersetzung damit liefert auch die theoretische Unterfütterung seiner eigenen interdisziplinären Vorgehensweise. Er verknüpft das Internet mit LSD, koppelt die Mathematik an die Metaphysik und stellt Verbindungen zwischen den augenscheinlichen Antipolen Kunst, Natur und Technik her. Die Kluft zwischen den Gegensätzen muss der Zuschauer überbrücken und durch eigenständige Reflektion vorläufige Schlüsse ziehen, denn der Film liefert keine abgeschlossenen, leichtkonsumierbaren Antworten, sondern erschüttert und hinterfragt gewohnte Erklärungsmodelle. Auch das Auseinanderdrängen von Bild und Off- Kommentar fordert eine geistige Leistung vom Zuschauer. So wird er dazu angehalten eine assoziative und vielseitige Beziehung zwischen grellfarbenen Wackelpuddingwürfeln in einem Fast Food Restaurant mit den bewußtseinskontrollierenden „Brave-New-World“-Phantasien der amerikanischen Wissenschaftselite herzustellen. Doch auch hier entspricht die Methode des Films einem offenem System: Argumentationsketten sind nicht abgeschlossen, sondern münden in neue Verzweigungen, Mehrdeutigkeiten und offene Fragen. Andokstellen stehen für den Zuschauer bereit, um von der geweckten Neugierde angespornt, das Netz weiter zu weben. Ein weiteres Charakteristikum offener Systeme ist, daß sie mit anderen Netzstrukturen verknüpft werden können. Das Interesse des Zuschauers wird dementsprechend auf andere, die thematische Auseinandersetzung fortführende, Netzwerke verwiesen. Das Bonusmaterial der DVD beinhaltet beispielsweise Informationen über die LSD Tests der US- Army, ein zusätzliches Interview mit dem Medienkünstler Paul Garrin und weiterführende Erörterungen von Heinz von Foerster und Steward Brand. Unter der Rubrik Links und DVD- Credits wird auf die weitaus detailiertere Filmwebsite www.t-h-e-n-e-t.com verwiesen. „Das Netz“ ist außerdem nur ein Teilstrang eines größeren Projektes von Lutz Dammbeck, dem „Herakles Konzept“. Das Gesamkunstwerk umfasst Filme, Texte, Bilder, Collagen und Installationen und nährt sich ebenfalls von dem skeptischen Blick auf die Entwicklungen der Technik und den damit verbundenen Sozialstrukturen. Viola Löffler absolut MEDIEN GmbH |
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