Lutz Dammbeck

Das Netz

– die Konstruktion des Unabombers

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Nautilus 2005, ISBN 3-89401-453-9, 185 Seiten

Wo ist die Realität? Wo haben Sie die?
Heinz von Foerster in DAS NETZ

Zweifellos: wie leben in einem NETZ. Unser kulturelles Leben ist bestimmt von einer schwer durchschaubaren Verflechtung sozialer, wirtschaftlicher, politischer und kultureller Aspekte, die sich mitunter zu absonderlichen Phänomenen verdichten – ganz davon abhängig, an welcher Stelle man ansetzt. Das NETZ ist auch ein Phänomen, dem sich die künstlerisch-essayistischen Bemühungen des gebürtigen Leizigers Lutz Dammbeck nähern, sei es in seinem groß angelegten Collageprojekt „Herakles-Konzept“, in seinen essayistischen Dokumentarfilmen ZEIT DER GÖTTER, DAS MEISTERSPIEL und DAS NETZ, oder auch in dem nun vorliegenden Buch Das Netz – die Konstruktion des Unabombers. All diese Werke stehen in einem engen Zusammenhang, methodisch und inhaltlich. Und so sind die Collagen und 'Skulpturen’ Dammbecks nicht denkbar ohne seine Tagebucheinträge, Recherchematerialien, Filme und Buchveröffentlichungen. Das heißt: natürlich kann jede dieser kreativen Ausdrucksformen für sich bestehen und assoziative Wirkung auslösen, doch im Kontext gesehen differenziert sich das Bild zusehends – bis wir uns als 'Leser’ selbst im NETZ wiederfinden.

Lutz Dammbeck, geboren 1948, absolvierte ein Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In der ehemaligen DDR noch legte er den Grundstein für sein groß angelegtes Kunstprojekt 'Herakles-Konzept’, zu dem auch die nun vorliegenden Filme und Publikationen zählen. Noch vor dem Mauerfall übersiedelte er mit seiner Lebensgefährtin Karin Plessing und dem gemeinsamen Kind nach Hamburg, wo er seine eigene Filmproduktion gründete. Dort lebt und arbeitet er als Maler und Filmemacher, und unterrichtet seit 1999 eine Medienklasse an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Thema seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit Gegenwart und Vergangenheit sind die Zusammenhänge zwischen Kunst, Macht, Wissenschaft und Philosophie, denen er sich mittels Bildern, Installationen und experimentellen Filmen nähert. Während er in seinem frühen Film ZEIT DER GÖTTER den NS-Bildhauer Arno Breker thematisierte, untersuchte er in DAS MEISTERSPIEL ein Kunstattentat auf die Bilder Arnulf Reiners an der Wiener Kunstakademie, was ihn tief in die neurechte Szene Österreichs führte. Im Mittelpunkt von Buch und Film DAS NETZ steht nun der ehemalige Mathematiker Ted Kaczynski, der als sogenannter „Unabomber“ seit 1996 in den USA in Haft sitzt.

Ausgehend von zahlreichen Attentaten auf amerikanische Wissenschaftler und Institutionen recherchiert Dammbeck in diesem Kontext Ereignisse, die zurück führen in die Drogen- und Bewusstseinsexperimente des amerikanischen Militärs an Universitäten in den 1960er Jahren (MK Ultra etc.). Der Mathematikstudent Kaczynski war einst Teilnehmer an solchen LSD-Experimenten. Später wandte er sich kategorisch von der Wissenschaft ab, zog sich in die Abgeschiedenheit der Berge zurück, wo er selbstversorgt lebte, und an seinem Manifest „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“ schrieb, das er von der New York Post veröffentlichen ließ. Als Gegenleistung dafür versprach er ein Ende der Briefbombenattentate, was den Verdacht nahe legte, dass es sich bei ihm selbst um den „UNiversity&Airport-Bomber“ handelte. Er hat bis heute jedoch seine Schuld bestritten. Briefwechsel und Aussagen Kaczynskis strukturieren Film und Buch, unterbrechen die Reihe von Gesprächen, die Dammbeck in den USA mit zahlreichen direkten und indirekten Betroffenen der Attentate geführt hat. Was sich aus den Aussagen dieser Pioniere des frühen Internets, des 'personal computers’ und der Kybernetik ergibt, fügt sich zu einem fatalen NETZwerk, in dem Verschwörungsparanoiker, Wissenschaftler, Politiker, Künstler und Terroristen in Interaktion treten.

Das begleitende Buch Das Netz – die Konstruktion des Unabombers, das bereits im Titel das Phänomen des 'Unabombers’ als mediale und politische Konstruktion entlarvt, enthält u.a. das vollständige und vom Urheber selbst korrigierte 'Unabomber-Manifest’. Wie sich in den Briefwechseln des Films zeigt, weisen Kaczynskis Gedanken eine stringente und durchaus verführerische innere Logik auf, denen der Leser hier ausgeliefert wird und die erklärt, wie dieses Manifest zu einem Kultbuch der anarchistischen Szene avancieren konnte. In 232 Abschnitten entfaltet der Autor hier seine Gedanken zur Notwendigkeit einer revolutionären Überwindung der technokratischen industriellen Gesellschaft. Er sieht in der zunehmenden Verfeinerung von Wissenschaft und Technik eine fatale Entwicklung, die den Menschen von sich selbst und seinen natürlichen Veranlagungen entferne. Grundsätzlich diagnostiziert er als Grundantrieb des Menschen den „power process“, der zu Handlungen motiviert, in unserer Gesellschaftsform jedoch meist in „Ersatzhandlungen“ resultiere: „Wissenschaft ist eine Ersatzhandlung, weil die Wissenschaftler hauptsächlich um der Erfüllung willen arbeiten, die ihnen diese Arbeit bringt.“ (S.117) Das Manifest fordert ganz explizit ein Ende der technischen Forschung und Entwicklung, eine Ende der Highspeed-Kommunikationskultur und somit auch – das erwähnt er nicht wörtlich – ein Ende der wirtschaftlichen Globalisierung, die den Planeten bis über seine Möglichkeiten hinaus ausbeute. Dabei setzt sich Kaczynski deutlich in Widerspruch zu dem, was er als „Psychologie der modernen Linken“ (S. 80ff.) definiert: „Eines der verbreitetsten Symptome des Wahnwitzes unserer Welt ist die linksgerichtete Ideologie“, schreibt er (S.80). Die beiden Hauptprobleme der linken Ideologie lägen in deren „Minderwertigkeitsgefühl“ und in deren „Überangepasstheit“ (S.81). Ersteres führe laut Kaczynski zu einer übertriebenen Identifikation mit als „schwach“ definierten Bevölkerungsteilen, die jedoch aus dieser Perspektive erst recht diskriminiert würden. Dazu komme ein Hass auf alles Erfolgreiche (S.83). Die Überangepasstheit des linken Denkens, so das Manifest, blende sich selbst, indem sie den Aufstand gegen die Gesellschaft behaupte, aber tatsächliche nur eine Übererfüllung der ethischen Forderungen derselben praktiziere (S.88ff.). Kaczynskis ökologisch-anarchistische Revolution ziele letztlich nicht auf einen Kollektivismus hin, der wiederum den technischen Fortschritt nötig mache (S. 174ff.), sondern erstrebe eher die Autonomisierung und Vereinzelung – Kaczynski selbst lebte das in Ansätzen vor. Daher sei die linksgerichtete Ideologie eher eine Gefahr für seine Revolution, da deren Vertreter von der aufständischen Bewegungen angezogen würden, diese aber letztlich mit ihrer eigenen Ideologie unterwanderten. Als Beleg dient Kaczynski der Verweis auf die Korrumpierung ursprünglich revolutionärer und antitotalitärer linker Bewegungen, die letztlich selbst zu den Mitteln der Zensur, Überwachung und Diktatur griffen (UdSSR, DDR etc.). Da der Linke stets ein Feindbild brauche, so Kaczynski, sei er nie mit einem erreichten Ziel zufrieden, sondern suche immer eine neues Ziel seines Hasses (S.183). Das hier vorliegende Manifest ist zweifellos provokativ, stellt es doch die ethisch-moralischen Werte unserer Gesellschaft auf eine harte Probe, es spricht aber für den politisch engagierten Verlag Nautilus, dass er diesen Text im Grunde unkommentiert zugänglich macht. Aus dem Gesamttext des Buches (also Interviews und Anhang) entsteht schließlich eine dialektische Vernetzung, die durchaus bewusstseinserweiternd genannt werden kann - ähnlicher seiner bildnerischen 'Vernähung' eines Bildes von Gudrun Ensslin mit dem Foto einer Breker-Statue im Rahmen der aktuellen RAF-Ausstellung.

Was man Lutz Dammbeck hoch anrechnen muss, ist seine Methode, zunächst einmal alle verfügbaren Informationen und Materialien vor dem Rezipienten auszubreiten und so eine eigene Positionierung (im NETZ?) möglich zu machen. Dabei kann sein Vorgehen in der gegenwärtigen Kulturlandschaft durchaus als mutig angesehen werden, denn im Sinne von Boris Groys lädt er dabei 'Verdacht’ auf sich: Dammbeck verweist auf Verbindungen zwischen linkem und rechtem Totalitarismus – und folglich auch auf Ähnlichkeiten in deren Ästhetiken (siehe hierzu auch den Text über die NSK in Heft 5); er hat keine Scheu, sich mit tabuisierten Persönlichkeiten auseinander zu setzen (Ernst Jünger, Ted Kaczynski, die RAF etc.), um seinem Erkenntnisinteresse näher zu kommen. Auch geht er dabei undogmatisch vor, schafft keine Atmosphäre vorgefasster Meinungen, sondern lässt sich die entsprechenden Beteiligten selbst Entlarven bzw. De/Konstruieren. Dammbecks Werke sind aufklärerisch im Sinne eines Alexander Kluge, der nicht unähnlich collagenhaft vorgeht bei seinem Streben nach Einsicht und Erkenntnis gesellschaftlicher, ideologischer oder ästhetischer Mechanismen. Das vorliegende Buch Das Netz – die Konstruktion des Unabombers und der Film stehen ganz in diesem bewusstseinserweiternden Konzept, sollten jedoch in Wechselwirkung mit dem Film wahrgenommen werden – und möglicherweise auch mit der Skulptur „Herakles Konzept: cabin“ im Rahmen der Ausstellung "Berlin/Moskau - Moskau/Berlin" 2003 in Martin-Gropius-Bau in Berlin, die einen Nachbau der von Kaczynski gebauten Hütte integrierte. :ms:

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