Marsen Jules

Nostalgia

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(oktaf 2011) CD 8 Tracks

Die internationale Ambient-Musiklandschaft ist ein merkwürdiges Gebilde: Hier existieren die verschiedenen Spielarten von Ambient Pop über Neoklassik und Organical Ambient bis hin zum apokalyptischen Dark Ambient (oder gar dem satanistischen Black Ambient) völlig unabhängig voneinander, werden über die Grenzen bestimmter Labels hinweg kaum wahrgenommen. Das führt zu einer ökonomisch durchaus schädlichen Monokultur, denn zahlreiche Perlen, die für das jeweils andere Publikum durchaus spannend sein könnten, bleiben so unentdeckt.

Marsen Jules hatte mit seiner Debüt-CD "Herbstlaub" (2005) bei dem City Centre Offices-Label einiges Aufsehen erregt. Jules' Variationen und Manipulationen klassisch-akustischer Fragmente zu elegischen Gesamtkompositionen wurden von den einen als originell und singulär wahrgenommen, während sie an Fans der Gothic-orientierten neoklassischen Ambientmusik von Raison d'etre über In the Nursery bis The Protagonist ungehört vorbeiging. Das Label konnte bei seinem Publikum also auf andere Voraussetzungen bauen. Bereits Hörer von Max Richter und Hildur Gudnadottir dürften hier eher Vertrautes entdecken.

"Nostalgia", die an Andrej Tarkowskijs gleichnamigen Film erinnernde neue CD von Jules, fällt nun auf möglicherweise erheblich fruchtbareren Boden, denn durch die genannten KünstlerInnen ist die neoklassik auch beim großen Publikum angekommen. Und Jules' Kompositionen zeichnen sich weniger durch schräge Experimentierfreude denn durch soundtrackartige und durchaus melodiöse Strukturen aus. So verbreiten die acht versiert arrangierten Tracks eine elegische Melancholie, die ein breites Publikum verführen könnte.

Vom programmatisch betitelten Opener "A Moment of Grace" bis zum berückend schönen "Sleep my brother, sleep" entfalten sich Streicher-, Piano und andere akustisch basierte Sounds zu einem vielschichtigen Kaleidoskop nuancierter Stimmungen, aus denen vor allem das dynamischere Titelstück "Nostalgia" herausragt. Mit "Kundera's Dream" wird auch eine weitere der möglichen Inspirationsquellen (der Autor Milan Kundera) bekannt gegeben.

In jedem Fall bietet Marsen Jules mit "Nostalgia" eine ästhetisch ansprechend präsentierte melancholische Ambienmusik, die unterschiedlichste Erwartungen erfüllt: von Brian Eno bis Dead Can Dance kann man hier hemmungslos projizieren oder einen ganz persönlichen Zugang entdecken. Ein wirklich schönes Album.

Marcus Stiglegger