Georges Bataille Die Freundschaft München 2002: Matthes & Seitz, Nichts gleicht mehr einem Aufschwung
Kennzeichen des modernen Denkens ist für den französischen Kulturphilosophen Georges Bataille zunächst einmal die Souveränität. Diese radikale Eigenständigkeit und Unabhängigkeit korrespondiert mit Sartres „Wegen der Freiheit“, mit der Qual der Entscheidung zwischen dem „Sein und dem Nichts“, und ist doch verschieden davon: Bataille fordert ein Denken und Handeln außerhalb der Normen bürgerlicher Sicherheit. Sein Denken transzendiert die Philosophie, da er sich außerstande sieht, diese Idee der Souveränität zu fassen -– vielmehr muss er sie umkreisen, ständig neu formieren und wieder zerstören, um in ständigem Fluss eine Ahnung jener Meta-Religion zu vermitteln, die er selbst als eine „Religion der Weltimmanenz“ bezeichnet. „Die 'Atheologische Summe‘ wird die einzige Möglichkeit anzeigen, einem paradoxen Gegenstand nahezukommen, ohne ihn zu ergreifen,“ so Bataille in Die Freundschaft, S. 224. Seine Texte nähern sich einer Erfahrung des Heiligen, das die Welt durchdringt, ohne banale Gestalt anzunehmen. „Warum habe ich Bataille gemocht?“ fragt Undine Gruenter. „Weil er sich dem System, dem systematischen Denken verweigert. Weil er, nach innen fortschreitend, immer wieder dieselben Themen neu umschreibt, umkreist.“ Was für Bataille diese „innere Erfahrung“ des Heiligen ausmacht, das manifestiert sich in zutiefst persönlichen Seinserfahrungen, die er in seiner Theorie des „èrotisme“, der Transgression und der „allgemeinen Ökonomie“ formuliert: Die Erotik wird bei ihm in ihrer metaphysischen Qualität nur im Rahmen einer „Grenzüberschreitung“ lebbar, in der überschüssige Energien in einer orgiastischen Form „verschwendet“ werden sollen. Nur in diesen Akten der Überschreitung und der Verausgabung des „verfemten Teiles“ kann sich die Souveränität des Menschen wirklich entfalten. So sind Batailles Theorien etwa von Wert für die Interpretation jener Kunstwerke, die sich im Irrationalen bewegen, etwa die Werke William Blakes, Jean Genets oder Emily Brontés. „Die Welt lässt sich ja nicht auf die Dinge reduzieren, die uns zugleich fremd und von uns unterjocht sind,“ schreibt er über Blake. „Sie ist nicht die profane, prosaische, reizlose Welt der Arbeit [...]: Die Poesie allein, die die Grenzen der Dinge negiert und zerstört, vermag uns die Grenzenlosigkeit der Welt zu vermitteln; mit einem Wort, die Welt wird uns erst dann zuteil, wenn die Anschauung, die wir von ihr haben, heilig ist, denn alles Heilige ist poetisch und alles Poetische heilig.“ Obwohl sich Bataille vor allem mit seinen Werken Die Erotik (auch: Der heilige Eros), Die Literatur und das Böse und Die allgemeine Ökonomie (alle bei Matthes & Seitz in liebevollen Editionen erhältlich) etablierte, kann die bis in die jüngste Gegenwart noch nicht auf deutsch übersetzte „Atheologische Summe“ als sein philosophisches Hauptwerk betrachtet werden. Auch hier leistet Matthes & Seitz Pionierarbeit: Nach Die Innere Erfahrung erschien 2002 nun der zweite von drei Bänden: Die Freundschaft. Über Bataille wird oft geklagt, er erschöpfe sich in einer hermetisch-poetischen Verklausulierung undurchsichtiger Ideen, deutlich beeinflusst von Friedrich Nietzsche, doch diese poetische Firnis ist seine Methode: Was man systematisch nicht fassen kann, muss 'spürbar‘ gemacht werden, muss poetisch vermittelt werden („alles Poetische ist heilig“), um zumindest eine Ahnung im Leser zu erzeugen, mit der dieser für sich arbeiten kann: „Ich betrete eine Sackgasse. Da erschöpft sich alle Möglichkeit, das Mögliche entzieht sich und das Unmögliche tritt die Herrschaft an. Im Angesicht des Unmöglichen stehen – des maßlosen, unbezweifelbaren –, wenn nichts mehr möglich ist, das heißt in meinen Augen eine Erfahrung des Göttlichen machen: es ist das Analogon der Marter.“ (Die Innere Erfahrung) Insofern sind die vorliegenden zwei Bände zutiefst persönliche Erfahrungsberichte, sehr konkret etwa im Tagebuch seiner Yogaexperimente. In gewisser Weise gleicht dieses ekstatische Tagebuch der Kriegsjahre, in dem es nie wirklich um den Krieg geht, einer anderen Variante der 'inneren Emigration‘, wobei sich der Autor bewusst ist, wie „unmöglich“ sein Vorhaben eigentlich ist: das Heilige der Ekstase verbal zu vermitteln. „In Wahrheit könnte die Sprache, die ich führe, nur durch meinen Tod vollendet werden.“ Stellenweise erreichen diese Bekenntnistexte die Explizitheit von Batailles Prosa, dem Obszönen Werk (Rowolth Verlag), mit dem Unterschied jedoch, dass er hier seine philosophische Auslegung direkt beifügt. Wer Bataille bis dahin für einen bürgerlichen Theoretiker hielt, wird eines Besseren belehrt. Ein grandioser Text, der sich in den Beilagen findet, ist „Das Hallelujah“, eine Hymne auf die grenzüberschreitende Sexualität, die von Bataille an eine Geliebte gerichtet wurde. Gerade an dieser emotionalen Konsequenz und Konkretheit liegt auch die Stärke des sehr assoziativ formulierten Abschnitts. Georges Batailles „Religion der Weltimmanenz“ ist speziell für unsere Gegenwart des Umbruchs und des Zusammenbruchs der Systeme von enormem Wert. Die fast verzweifelte Unbedingtheit des Lebens, dieser Überanspruch an das Sein, den Bataille formuliert, steht dem heutigen Weltempfinden zunächst konträr gegenüber, doch vielleicht wäre etwas von dem, was Gerd Bergfleth in seinem Nachwort die „Resakralisierung der Welt“ nennt, wünschenswert für eine skelettierte Welt, in der „Gott“ nur ein weiterer Name für das Kapital geworden ist. „In ihrer Intimität sind alle Menschen eins.“ (Bataille) Marcus Stiglegger
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