Katarina Nikiforos

Pfad der Freiheit

Notizen zu einer Philosophie der Schwere bei Friedrich Nietzsche, Georges Bataille und Michel Foucault

Was ist das Schwerste, ihr Helden? So fragt der tragsame Geist, dass ich es auf mich nehme und meiner Stärke froh werde.
Friedrich Nietzsche

Vorbemerkung
Hier finden sich Anmerkungen zu einem Lebensstil, der in bewußter Abgrenzung zu passiver Konsumhaltung eine zeitgemäße Form der Individualität und der damit verbundenen Verantwortung entwickeln möchte. Die gewählten Stichworte verkörpern Schlüsselbegriffe des bewußten Denkens und Handelns und lassen sich weniger lexikalisch als komplex verflochten verstehen. Die kurzen Essays ergeben ein sich gegenseitig bedingendes Geflecht – wenn man so will eine Philosophie der Schwere –, das den Pfad der Freiheit in all seinen Konsequenzen und seinem Nutzen verdeutlicht.

Respekt
Respekt vor allem Leben – menschlichem und anderem – ist die wesentliche Basis des Zusammenlebens. Respekt ist das Resultat einer tiefen Einsicht in die potentielle Einzigartigkeit eines anderen Wesens. Er bedingt, nicht den Lebensraum eines anderen Wesens unnötig zu stören, seine Lebensform anzuerkennen und keinen mutwilligen Schaden anzurichten. So haben sich zahlreiche – heute größtenteils überkommene – Rituale etabliert, die Respekt erweisen: etwa die Begrüßung mit Körperkontakt, die auf eine gutartige Gesinnung schließen lässt, ebenso das Dankesritual eines Jägers beim Erlegen seiner Beute. Mit der Anonymität der Massengesellschaft sowie der Automatisierung von Tierschlachtung zum Konsum – sowie Massentierhaltung – sind diese Riten des Respekts scheinbar unwichtig geworden. Mitmenschen sind zu konsumierbaren Medien der Zerstreuung geworden, jederzeit austauschbar, Nahrungstiere wurden zu bequem konsumierbarem Fleisch, das im Verlauf seines Produktionsprozesses selbstverständlich getötet werden muß. Die Achtung vor der Existenz ist in beiden Fällen verschwunden. Mit der prinzipiellen Überwindung jeglicher Naivität wird die rein konsumierende Lebenshaltung zur Qual. Der Weg der Schwere hält sich die Grenzen des parallel existierenden Lebens permanent vor Augen, wägt ab und entscheidet sich. Blinder Konsum ist keine Entscheidung sondern eine Ausblendung der Realität sowie eine verachtenswerte Form unreflektierter menschlicher Egozentrik.

Konsumgesellschaft
Die materialistische Konsumgesellschaft hat nach eigenen Begriffen das konkrete Bedürfnis nach Krieg überwunden und empfindet sich selbst als friedfertig. Tatsächlich wird der nach außen projizierte Konflikt früherer Gesellschaften, die Krisenzeiten oft im Krieg überwinden und verdrängen wollten, umgewandelt in einen umfassenden, latenten Kriegszustand. Was als ein funktionierendes System heterogener Koexistenz gedeutet wird, entspricht dabei einem Geflecht stiller Kämpfe, motiviert durch berufliche Konkurrenz, Sexismus und unterschwelligen Rassismus. Die Selbsterhöhung bestimmter Klassen fungiert als geheime Richtgröße, die nur eine systematische Gegenwehr der Übervorteilten erzeugt und das Vorurteil zum destruktiven Leitsatz erhebt. Unbedingter Konkurrenzkampf beginnt mit dem Eintritt des Kindes ins öffentliche Leben (Kindergarten, Schule) und wird in Ausbildung, Studium und Beruf besiegelt. Einen selbstbestimmten, wachen Menschen kann diese Gesellschaft nicht gebrauchen, vielmehr fördert sie alle Prozesse, die ihn zu einem funktionierende, konformen Teil des Systems machen. Der lächerliche Lohn des Wettbewerbs fungiert als Anreiz, sich auszuliefern, Reflexion, Werte und Hinterfragung bleiben auf der Strecke. Selbstbestimmt zu Denken und zu Handeln ist der größtmögliche Widerstand gegen die Konsumgesellschaft und zugleich deren geheimes Feinbild. Nicht umsonst werden auch geisteswissenschaftliche Studiengänge immer berufsbezogener gestaltet: Sie dienen nicht mehr der Ausbildung verantwortungsbewußter Vordenker einer Gesellschaft, sie produzieren schlicht Arbeiter auf intellektueller Ebene.

Jede Ausbildung eines reflektierten Geistes, der den Weg der Schwere auf sich nimmt, um sich dem Konkurrenzkampf der materialistischen Konsumgesellschaft zu entziehen, ist deshalb wertvoll. Der Ansatz für eine Veränderung der Basis wäre also, wie eh und je, in der schulischen Sozialisation der Menschen zu suchen. Bewußtes Denken und Handeln ist konstruktiver Widerstand. Voraussetzung für die Ausbildung ist der unbeschränkte Zugang zu jeder gewünschten Information. Es geht jedoch nicht um Ausprägung der sogenannten „Informationsgesellschaft“, die den Medienrezipienten mit eine kaum zu bewältigenden Anzahl ungewünschter Informationen überfüttert; vielmehr sollte es möglich sein, Informationen zu einen bestimmten Thema zu selektieren. „Der totale Krieg ist zu einem Krieg um Informationen geworden, und wir befinden uns in Mitten dieser Entwicklung... Information ist der Schlüssel zur Veränderung, der Schlüssel zur Erkenntnis, überhaupt der Schlüssel zur Entfaltung auf allen Ebenen. Die Macht über diese Welt liegt im Grunde in den Händen derjenigen, die Zugang zu größtmöglichen Informationen haben und diese Informationen kontrollieren,“ schreibt Genesis P. Orridge in seinem Essay Einsturz des Kontrollsystems. Informationsbeschaffung und -auswertung darf jedoch in keinem Fall zur Denunziation eines bestimmten Individuums mißbraucht werden.

Angriffe ad personam sind ein übliches Mittel totalitärer Systeme, die die Freiheit des Gedankens nicht tolerieren können. „Die Kritik durch Richtspruch langweilt mich,“ sagte Michel Foucault dazu 1980, „ich möchte eine Kritik mit Funken der Phantasie. Sie wäre nicht souverän, noch in roter Robe. Sie wäre geladen mit Blitzen aller Gewitter des Denkbaren.“ Diskutieren läßt sich lediglich über Resultate und Taten, nicht über Träume und Emotionen. Der „Richtspruch“ ist der Komplexität der Existenz niemals angemessen. „Frei verdient ein Geist genannt zu werden, der sich fern hält von Richtern und Henkern,“ sagte Georges Bataille in seinem Aufsatz Nietzsche und die Moral.

Erwachen
„Nie entschläft, wer einmal wach gelebt“ ist eine Spruchweisheit, die das Dilemma des Erkenntnisprozesses schonungslos formuliert. Wach zu leben bedeutet nicht, angenehm zu leben, sondern ehrlich – zu sich selbst und der eigenen Umwelt gegenüber. Die Bemühung zur Wachheit trachtet nach einer radikalen Eindämmung jeglicher Verdrängung – die nur in Krisensituationen sinnvoll sein kann; vielmehr geht es um eine geistesgegenwärtige, umfassend informierte Wahrnehmung des alltäglichen und außeralltäglichen Geschehens.

Nie wird man als wacher Betrachter seiner Umwelt die Kontrolle auf- oder abgeben, wie es der unreflektierte Drogenkonsument oder uninformierte Zeitgenosse vorzieht. Die Kontrolle auf- oder abzugeben ist bequem und deshalb naheliegend für den unreflektierten Charakter. Wach zu leben erfordert äußerste Disziplin und zugleich innere Festigkeit, da die Einsicht in die Schattenseiten des Geschehens bei labilen Charakteren Depressionen und Verunsicherung schüren kann.

Disziplin ist wichtig, um das Maß und die Balance des Handelns zu bewahren. Jede Bemühung um Selbstausdruck gleitet unweigerlich ins Lächerliche ab, wenn dieser nicht mit der notwendigen Ausgewogenheit von Körperbewegungen und verbaler Artikulation erfolgt. Die Grenze zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen ist hier besonders labil. Unreflektierter Drogenkonsum (speziell von Alkohol) verurteilt jede Bemühung um Stil und wache Erhabenheit zum Scheitern.
Innere Festigkeit basiert zunächst auf dem permanenten Bemühen um Selbsterkenntnis.

Auch der minimalste Fortschritt in diesem Feld fördert diese Festigkeit. Zudem ist umfassende Ehrlichkeit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen – im Konstruktiven wie im Destruktiven – notwendig, um die innere Festigkeit zu begünstigen. Die Auflösung dieses mentalen Gefüges gefährdet die Individualität eines Charakters und erzeugt augenblicklich Depression bzw. Verzweiflung. Hilfe besteht nur in der offenen und bewußten Begegnung mit sich selbst, eine Begegnung, die nur aufgrund unserer gesellschaftlichen Sozialisation als beängstigend empfunden wird. Tatsächlich sind Talente ebenso wie Abgründe gleichberechtigter Teil der gesuchten Individualität.

Erst wenn Disziplin und innere Festigkeit des Charakters gewährleistet sind, kann das Individuum an eine Transgression, an die bewußt praktizierte, temporäre Selbstauflösung, denken. Um bis zum letzten Moment die Grenze, die es zu überschreiten gilt, überhaupt zu erkennen, bedarf es umfassender Wachheit, die erst im Moment der Transgression aufgegeben wird. Die temporäre Selbstauflösung kann nur aus sich selbst heraus erfolgen (durch physische Manipulation, in der Sexualität, im Sport, durch rituelle Übungen), um an dieser absoluten Aufgabe der Kontrolle nicht auf unbestimmte Zeit ausgeliefert zu sein. Drogen sind für diesen Zweck eher ungeeignet, da sie nur als einfaches Einwegticket funktionieren, ein bewußtes Erleben bzw. Umkehren schwer möglich machen.

Ein bewußtes Arbeiten mit bewußtseinserweiternden bzw. –fokussierenden Substanzen kann u.U. sinnvoll sein – abhängig von der individuellen Veranlagung bzw. Reaktion auf diese Substanzen –, erfordert jedoch ebenfalls Disziplin und Konzentration. Drogen würden in einem solchen Fall nicht zur Verdrängung oder Betäubung eingesetzt. Folgt man hier jedoch Georges Bataille, stößt man in dessen philosophischem Hauptwerk Die Innere Erfahrung (1943) auf die These, das wahre Erleben, eben jene „Innere Erfahrung“, lasse sich nur jenseits eines drogenbeeinflußten Geistes, nämlich durch „Fieber“ und „Angst“ machen. Erst mit der Annäherung an die 'absoluten Grenzen‘, die mit diesen beiden Symptomen einher geht, können auch Religion, Philosophie und natürlich Politik überwunden werden.

„Wer durch die Naivität beschränkt wird, steht im Gegensatz zum wachen Bewußtsein,“ schreibt Georges Bataille über Jean Genet. Wach zu leben, bedeutet den Weg der Schwere zu beschreiten. Die Leichtigkeit des Lebens wird nur noch für Momente aufscheinen, charakterliche Unbeschwertheit wäre nur noch durch absolute Verdrängung erreichbar. Doch der Weg der Schwere belohnt den Wachen mit den Früchten einer tiefen Einsicht in Prozesse, die das eigentliche Geheimnis der Existenz ausbreiten – nicht unmittelbar, aber beständig. Der Weg der Schwere ist der Weg der Selbsterkenntnis und somit der Schlüssel zur Balance und inneren Festigkeit.

Stil
In seinem Credo zum Imagismus fordert Ezra Pound bereits 1913 eine Entwicklung bedingungslosen Stils in der Kunst, die sich jedoch direkt auch auf jene des persönlichen Stils übertragen liesse: „Ich glaube an den Stil als Bewährungsprobe für die Aufrichtigkeit eines Menschen; an Regeln, wenn diese ermittelbar sind; an das Umstoßen jeder Konvention, die sich der Ermittlung von Regeln oder der präzisen Übersetzung der Eingebung entgegenstellt.“ Für ihn ist bereits das Kultivieren von Stil ein Akt des Querdenkens.

Persönlicher Stil ist das Ergebnis eines permanenten Selbsterkennungsprozesses. Er zeigt sich sowohl im kreativen Werk als auch in der physischen Erscheinung eines Individuums. Deshalb kann die äußere Erscheinung, die vermeintliche Oberfläche eines Menschen, letztlich nur zweierlei sein: ein offenes Buch, in dem der aufmerksame Betrachter die Feinheiten des Charakters gespiegelt findet, oder eine Maske, die in ihrer spezifischen Beschaffenheit ebenfalls Rückschlüsse auf den Charakter zuläßt und nicht selten ein noch verzweifelterer Versuch ist, die eigene Individualität zu behaupten.

Stil ist also ein zutiefst persönliches Phänomen und zugleich unabdingbar für Selbstbehauptung eines Menschen. Er kann insofern nicht erkauft werden – und schon gar nicht von anderen Menschen geschaffen oder ersetzt werden (etwa durch Imageberater). In der gegenwärtigen Gesellschaft werden Marken als Surrogat für Stil benutzt, was in dieser Vereinfachung einer Kapitulation vor sich selbst gleichkommt. Welche Marke bin ich? Keine. Es ist unmöglich, den Stil einer anderen Person zu imitieren. Diese Orientierung kann höchstens in Form einer vorsichtigen Adaption als Akt des Experimentierens, des Suchens, erfolgen. Im Vordergrund muß Nietzsches Forderung „zu werden, was man ist“ stehen.

Die größte Herausforderung besteht dann in der Balance zwischen dem „Erhabenen“ und dem „Lächerlichen“. Ein sich selbst als extrem und notwendigerweise nonkonform definierender Charakter wird nach einer möglichst auffälligen Form für sich selbst suchen. Da diese Form unmittelbar von den Mitmenschen wahrgenommen und – bewußt oder instinktiv – gelesen wird, ist unbedingte Ehrlichkeit bei der Re-Konstruktion der äußeren Form (sowohl seiner selbst als auch eines Werkes) erforderlich, denn zu oft kommt es zu Miß- oder Unverständnis. Für den unreflektierten Betrachter ist die Grenze zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen kaum zu differenzieren, da dieser seinen Blick nie an sich oder seiner Umwelt geschult hat. Eine unreflektierte Betrachtung ist damit weitgehend irrelevant. Jegliches laut und ungefragt geäußerte Urteil ist überflüssig und kann als hilfloses Zeichen für einen völlig ungefestigten Charakter gedeutet werden, der von sich weg deutet, um als Umkehr völlig unangemessene Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auf diese Weise verbündet sich allenfalls das gleichartig Undifferenzierte.

Selbsterkenntnis und Stilfindung ist ein permanenter, oft mühsamer Prozeß, der nicht selten nach Revision und Korrektur verlangt. Schon dieses mühsame Element macht ihn für den unreflektierten und trägen Charakter unattraktiv. Zumal er jene Ehrlichkeit erfordert, die mitunter in der beängstigenden Begegnung mit dem eigenen Schatten gipfelt. Um „zu werden, was man ist“, ist diese Konfrontation mit den eigenen Abgründen essentiell, ebenso wie das Erkennen der eigenen Wünsche, Utopien und Bedürfnisse. Stil kann also nie auf Verdrängung basieren. Eine Verdrängungskultur hat keinen Stil, keine Selbsterkenntnis und keinen Charakter.

Disziplin
Diszipliniertes Verhalten setzt die Kontrolle der eigenen Bedürfnisse voraus. Die Einsicht in die eigenen Bedürfnisse ist demnach der Beginn jedes öffentlichen (interagierenden) Handelns. Durch die selbst gesteuerte Disziplinierung des eigenen Verhaltens werden die Momente der bewußten Entscheidung erst möglich, die auf ein funktionierendes Zusammenleben ausgerichtet sind. Disziplin ist jedoch kein Automatismus, vielmehr muß sie in langen Prozessen geübt werden, um eine individuell entsprechende Annäherung den spezifischen eigenen Charakter zu ermöglichen. Unreflektiertes Handeln, das die selbstdisziplinierende Instanz umgeht, schwebt in der Freiheit der Naivität. Es gilt, für sich diesen Zustand so weit möglich auszuschließen, statt dessen nach der Freiheit des Bewußtseins zu streben. Naivität ist ein gefährlicher, leicht auszubeutender Zustand, zumal in der materialistischen Gesellschaft.

Disziplin bedeutet jedoch keinesfalls der unbedingte Gehorsam gegenüber einem konkreten oder abstrakten Anderen, sei es ein Mitmensch oder eine Institution, es sei denn, diese Unterordnung wird als die dem Charakter entsprechende gewünscht. Diese Form selbst bestimmter Disziplin jedoch muß aus einem eigenen Erkenntnisprozeß erwachsen und ist am Ende die freie Entscheidung zur Unterordnung. Keinesfalls darf sie als Ergebnis einer passiven gesellschaftlichen Sozialisation von Kindheit an entstehen, wie das in totalitären bzw. militaristischen Systemen der Fall ist. Dort ist die Freiheit individueller Entscheidung zunächst umgangen, um schließlich ganz eliminiert zu werden.
Disziplin als Form des freien, selbst bestimmten Handelns entspricht dem Weg der Schwere, da sie einen hedonistischen Lebensstil ausschließt; zu deutlich treten im reflektierten Abwägen die verheerenden Auswirkungen der Egozentrik vor Augen.

Das Absehen von destruktiven Lastern, also einer Maßlosigkeit, die jede Form von Umwelt in Mitleidenschaft zieht, kostet oft Mühe, ist aber das Gebot eines funktionierenden Lebens- und Gesellschaftssystems. Insofern muß die menschliche Gesellschaft unbedingt als Biotop im ökologischen Sinne betrachtet werden, selbst wenn sie sich in ihrer momentanen Form weit davon entfernt haben mag. Wer die Balance des Systems stört, schädigt die Gemeinschaft; doch so weit ist das Bewußtsein dieser Balance schon geschwunden, daß derartiges nicht einmal bemerkt – geschweige denn geahndet – wird. Statt dessen bilden sich auf der Grundlage selbst erzeugter Katastrophen unreflektierte und völlig nutzlose mystische Verklärungen, die lediglich einen weiteren Schritt der Verdrängung tätigen.

Treue
Die Treue setzt zu allererst ein Gefühl für Verantwortung voraus, das Bewußtsein, mitunter Konsequenzen und Einschränkungen tragen zu müssen, die vornehmlich das eigene Leben, die eigene Entfaltung betreffen. Treue bedeutet mitunter also bewußten Verzicht, die Entscheidung für das Eine und gegen das Andere.
Romantisch behaftet ist die Treue zu einer geliebten Person. So sollte sie tatsächlich dem subjektiv Besonderen vorbehalten sein, dem nächsten Menschen der Wahl, ohne Rücksicht auf die Gegenseitigkeit dieses Treueverhältnisses. Das schließt nicht nur emotional/sexuelle Treue ein, sondern auch das rückhaltlose Bekenntnis zu der Individualität der Partnerin oder des Partners. So ist auch die Treue im Zusammenhang mit der Freundschaft der partnerschaftlichen Treue ähnlich. Was als Loyalität bekannt ist, bedeutet in der Tat Zur-Seite-Stehen, Verteidigen und niemals Bloßstellen. Liebesbindung, Partnerschaft und Freundschaft sind bedingungslose, oft hermetische Kosmen, Schutzwelten gegen ein parallel-existentes Außen. Sich zu Öffnen nach diesem Außen hin oder die Gesetze der Treue zu transformieren bleibt der instinktiven Prüfung überlassen.

Die individuelle Position durch die Treue zu einer Idee zu festigen bleibt dem persönlichen Lebensstil überlassen. Immer jedoch sollte die Leitidee eigenen Überlegungen entsprechen, mit dem Risiko individueller Schwächen oder Fehler, nie sollte eine fremdgedachte Idee übernommen werden – obwohl diese Übernahme im Rahmen der subjektiven Transformation natürlich einen persönlichen Akt darstellt. Fremde Leitideen können allenfalls der Maßstab eigener Konzepte sein.

Treue zu Organisationen ist dagegen äußerst risikobehaftet und strebt nach einer Form von Verallgemeinerbarkeit, die man permanent neu durchdenken sollte. Treue gegenüber übergeordneten Organisationen ist schon deshalb abzulehnen, da sie den Transformationen eines Geflechts unterworfen ist, das sich gegen das Individuum richten kann – und vermutlich früher oder später richten wird.

Maske
Die soziale bzw. die physische Maske sind zunächst Medien der Transformation: Sie verwandeln den Träger in eine gewünschte, durch die Maske beschworene andere Daseinsform. Sie kann den Menschen zum Tier, den Zivilisten zum Militaristen machen.

Mit dem Ritual des An- bzw. Ablegens der Maske erfolgt die Beschwörung und entsprechend die Auflösung der gewünschten Daseinsform, d.h. die Maske entfaltet ihre Kraft und Wirkung nur, in dem sie 'getragen‘ wird. Im Rahmen des sexuellen Spiels kann durch die Maske sowohl ein animalisches als auch ein anonymes Element eingeführt werden, im gesellschaftlichen Kontext kann der Träger einer sozialen Maske sowohl seriöser und konformer wie auch provokativ wirken. In jedem Fall jedoch ist der Akt der Maskierung ein Form des uneigentlichen Handelns: Ein Teil der Verantwortung für spezielle Handlungen wird bewußt aufgegeben.

Die Maskierung als gesellschaftliches Ritual drückt sich z.B. in den sog. Maskenzeiten, also Karneval etc., aus, wo das Tragen einer Maske Handlungen ermöglicht, die dem Maskenträger in seiner alltäglichen Gestalt nicht gestattet wären. Insofern bedeutet die Maske ursprünglich ein Element der Freiheit, das in der gesellschaftlichen Realität jedoch leider völlig banalisiert wird. Auch hier ist die reflektierte Verwendung der Maske Voraussetzung für die Verwirklichung der individuellen Vorstellung. Angetrunkene Karnevalsnarren widersprechen dem Konzept fundamental.

Speziell die soziale Maske eignet sich – fast im Gegenteil dazu – auch als Mittel zur gesellschaftlichen Subversion, da sie von der eigentlichen Person ablenkt und den Anschein des Konformen – oder 'Uniformen‘ – suggeriert. Die soziale Maske fungiert hier als Tarnung und somit Schutz vor restriktiven Übergriffen der Gesellschaft, die sich erwartungsgemäß vor Subversion fürchtet. Deshalb ist die 'Entlarvung‘, die Aufdeckung der Maskierung, eine bedeutende Gefahr. Die offensichtliche Täuschung ist ein Element der massiven Verunsicherung: Nichts ist, was es scheint. Für den wachen Geist ist es sowohl wichtig, soziale Masken zu durchschauen, um nicht einer Täuschung zum Opfer zu fallen, als auch, sich deren um so geschickter selbst zu bedienen, um in Kreise der Konsumgesellschaft vordringen zu können, die seinem wahren Wesen sonst verschlossen wären. Dabei gilt es, stets persönlichen Stil zu bewahren: Die soziale Maske birgt das Risiko der Untreue gegenüber eigenen Prinzipien, sie ist insofern eine Gratwanderung, unabdingbar jedoch für sozial relevante Handlungen.

Die physische Maske als Medium der veräußerlichten Persönlichkeitstransformation sollte der Entfaltung persönlicher Bedürfnisse dienen, und den Erfahrungsschatz erweitern: z.B. durch bewußte Konfrontation mit unterbewußten Wünschen und Ängsten, der unmittelbaren Konfrontation mit dem eigenen 'Schatten‘.

Liebe
Liebe im Sinne der „Schwere“ überschreitet die Grenze zur spontan empfundenen Leidenschaft, sprengt gar mitunter die Vorstellung ihrer Limitierung auf das zweisame Universum. Liebe ist ganz umfassend das Gefühl der Immanenz, das durchaus die Heiligkeit, die Erhabenheit dieses Ereignisses bezeugt. Insofern ist die Liebe heilig, bezieht sie sich nun auf einen frei gewählten Partner oder ein anderes Wesen, einen anderen Menschen – in Freundschaft verbunden. Und in dieser Heiligkeit ist die Liebe eng verbunden mit den Begriffen Respekt und Treue sowie Verantwortung.

Liebe ist schließlich die letzte große Utopie – und zugleich die große schwer greifbare Wahrheit neben der einzigen unleugbaren Wahrheit, dem Tod. Als solche Utopie sollte sie gewahrt bleiben und niemals mißbraucht für den alltäglichen Gebrauch vergänglicher Schwärmerei. Liebe existiert jenseits der Banalität alltäglicher Rituale und Gewohnheiten. Sie erfordert eine ungeheure Anstrengung, will geschützt und gepflegt sein. Eine letzte Hoffnung, jeder Mühe wert...

Sexualität
Sexualität ist der wohl schwierigste aber auch fruchtbarste Bereich individueller Selbstentfaltung. Zunächst ist Sexualität in ihrer Ausformung als partnerschaftliche Erotik aus dem biologisch definierten Kontext herauszulösen, der zwar nicht abgelehnt werden sollte, aber auch nicht das Ziel menschlicher Sexualität darstellt. Fortpflanzung sollte selbstkontrolliert, nach eigenen Möglichkeiten und Wünschen erfolgen; verstoßenen, unerwünschten Nachwuchs gibt bereits im Übermaß. Statt dessen ist die Sexualität – oder in diesem Sinne: Erotik – ein Bereich absoluter Freiheit, der mangelnde Balance in anderen Lebensbereichen in gewissem Maße auffangen kann, prinzipiell jedoch als zutiefst persönliche Ausdrucksform gesehen werden muß.

Über Sexualität kann also niemand von außen urteilen, solange dadurch kein unerwünschter Schaden an Mitmenschen entsteht. Zudem ist das sexuelle 'Spiel‘ ein Spiegel der alltäglichen Realität, es ist also so naheliegend wie ratsam, alle eigenen Bedürfnisse sich selbst zu vergegenwärtigen, sie sich in aller Offenheit einzugestehen, um nicht unter selbst auferlegten – damit letztlich gesellschaftlich bedingten – Repressionen zu leiden. Rollenspiele jeder Art können einen wichtigen Teil der Sexualität ausmachen – sie setzen jedoch den permanenten Versuch voraus, den/die Sexualpartner/in in den jeweiligen Bedürfnissen und Bemühungen zu verstehen.

Eine ausgeprägte, verfeinerte Sexualität, die unbedingt anzustreben ist, setzt also ein tiefgehendes Vertrauen und Einfühlen in das Gegenüber voraus. Nie werden sich zwei individuelle Sexualitäten so sehr entsprechen, daß die Arbeit des Verstehenlernens aufgegeben werden kann. Georges Bataille definiert die Sexualpartner als diskontinuierliche Wesen, die zwar zur relativen Einsamkeit verdammt sind, jedoch nach einem Ideal der gemeinsamen Kontinuität streben (das sie nach Bataille im Tod ohnehin erlangen werden). Mit der Annäherung an diese ersehnte Kontinuität gerät das Paar schließlich in die Diskontinuität zur Gesellschaft, eine Instanz, von der kein Verständnis zu erwarten ist, da gerade die zutiefst persönlichen Vorstellung von der Sexualität zu komplex und damit gefährlich für die Eingliederung in ein gesellschaftliches System sind. Nicht umsonst hat die gesellschaftliche Exekutive komplexe Kontroll- und Zensurinstanzen entworfen, die immer wieder nach einer Limitierung individueller sexueller Freiheit trachten. Michel Foucault weist in diesem Kontext darauf hin, daß gerade im europäischen Gesellschaftssystem keine ars amandi, eine Liebeskunst, sondern tatsächlich eine Sexualwissenschaft entwickelt wurde, die rational faßbar machen möchte, was niemals rational faßbar sein darf und wird.

Wiederum Bataille betont in seinem Modell der sexuellen Transgression, das eine unmittelbare Voraussetzung seines Begriffs vom „heiligen Eros“ ist, wie wesentlich die Präsenz des Todes für die Sexualität ist: „Erotik ist die Zustimmung zum Leben bis in den Tod hinein. Das psychologische Bestreben, das die Erotik ausmacht, ist unabhängig von der Funktion, die mit ihr verbunden ist: ein Bestreben, dem die paradoxe Anziehung, die der Tod auf Lebewesen ausübt, nicht fremd ist,“ stellte er in einem Vortrag 1957 fest. Die Verarbeitung der latenten Präsenz des Todes ist also unterschwellig oder bewußt Teil des erotischen Spiels.

In der Annäherung an die jeweils völlig unterschiedliche Grenze, die dem Individuum oder auch dem Paar die ersehnte Kontinuität bescheren könnte, ist gerade die bewußte Einbeziehung des symbolischen Todes ins 'Fest des Lebens‘ notwendig. Auch hier kann das Rollenspiel, das sexualpsychologische Psychodrama, dienlich sein. Daß dabei Respekt, Stil, Nähe und Distanz berücksichtigt werden müssen, ist selbstverständlich. Doch gilt dieser Respekt nur dem hermetischen Universum der Liebenden, nicht dem der Außenstehenden. Eine Kritik der Außenwelt an der Form des Liebesspiels ist unangebracht. In der Erstrebung der Transgression, der lustvollen Grenzüberschreitung, ist jede Maske legitim, kann jeder Verhaltenskodex überschritten werden. Nur muß eine Rückkehr zum kontrollierten Handeln möglich sein. Es ist also ratsam, sich langsam der Grenze zu näher, zu experimentieren – zu spielen. Sexualität ist das Fest des Lebens angesichts des Todes. Der „heilige Eros“ ist der ritualisierte 'Krieg‘ – nicht der Geschlechter, sondern um die individuelle Freiheit.

Distanz und Ironie
Sowohl körperliche als auch mentale Distanz zum gegenwärtigen Geschehen ist wichtig, um immer Freiraum und Freiheit zur individuellen Entscheidung zu wahren. Es ist also wenig ratsam, die eigene Kontrolle im gesellschaftlichen Alltag aufzugeben und eine Einschätzung der Distanz zu verhindern. Die bewußte Aufgabe der Distanz kann und sollte nur aufgrund von positiver Erfahrung, Experiment und Vertrauen erfolgen. Im sozialen Alltag, also im Kontakt mit meist unbekannten Menschen, ist es dagegen ratsam, auf die Einhaltung der Distanz zu bestehen. In früheren Gesellschaften wurde die körperliche Unterschreitung der Schutzzone (also unter Armeslänge) als Angriff gewertet und geahndet. Dieser Selbstschutzmechanismus hat noch heute – auch auf der abstrakten, mentalen Ebene – seine Funktion: Man liefert sich nicht seinen Mitmenschen aus – weder physisch noch psychisch – und bewahrt stets das Selbst/Bewußtsein. Ein wacher, kontrollierter und angemessen distanzierter Charakter wird immer in einer überlegenen und – was wichtig ist – verantwortungsbewußten Position sein.

Bewußtseinsverändernde Substanzen und Rauschzustände machen eine Einschätzung der nötigen Distanz unmöglich und sollten daher nicht im unvertrauten Umfeld konsumiert werden. Auch promiskuitive Sexualität birgt in ihrer radikal hedonistischen Form ausschließlich Gefahren, die den billigen Kitzel des Moments nicht wert sind. Die Einhaltung der angemessenen Distanz bewahrt zudem den Respekt der Individuen voreinander.
Ein von Individuen, die nach Bewußtsein streben, häufig benutztes Mittel ist die Ironie, eine Form der uneigentlichen Rede, die eine intellektuelle Distanz zum Geschehen sucht. Dieses Mittel kann hilfreich sein, schließt es doch das Verständnis seitens eines nicht bewußten Zuhörers aus – er wird den ironischen Dreh, die Überspitzung, nicht zuordnen können und verwirrt sein –, doch führt die ironische Position, sofern sie zu einer Lebenshaltung wird, zu einem Leben im Uneigentlichen. Die ironische Lebenshaltung schließt durch ihre permanente Distanz tiefes emotionales Empfinden und den Akt der Transgression letztlich aus.

Symbol und Ritual
Symbole sind prinzipiell 'unschuldig‘. Kein Symbol kann an eine spezifische Konnotation gekettet werden. Das gilt insbesondere für sehr alte Symbole, die in zahlreichen Kulturen auftauchen – oft in unterschiedlichster Bedeutung –, z.B. der Blitz, das Herz, der Kelch, die Sonne, das Auge, das Ei, das Schwert usw. All diese Symbole können in Form ihrer diversen Pictogramme individuelle Bedeutung erlangen. Sie können also – gleich dem magischen Sigill – immer wieder mit spezifischer Energie aufgeladen werden oder immer neue Assoziationen binden. Es scheint naheliegend, sich aus dem Symbolsystem des eigenen kulturellen Erbes zu bedienen; diese Entscheidung setzt natürlich eine eingehende Beschäftigung mit dem auseinander, was 'kulturelles Erbe‘ für das jeweilige Individuum bedeutet. Gleiches gilt für bewußt entworfene Rituale, die dem Aufladen der spirituellen und körperlichen Energien dienen. Diese Rituale, also Handlungsweisen, die nach festgelegten, wiederholbaren Mustern erfolgen, müssen nicht notwendigerweise okkulte Form annehmen – ebenso kann ein Waldspaziergang zum nützlichen Ritual werden. Wichtig ist es, Symbole und Rituale zu entwickeln, die den persönlichen Bedürfnissen entsprechen und nicht gesellschaftlich determiniert sind. Es ist sehr schwierig, Menschen zu finden, deren rituelle Bedürfnisse den eigenen Vorstellung nahe genug kommen. Das Gemeinschaftsritual ist deshalb im Rahmen unserer Konsumgesellschaft eine Utopie und bleibt allenfalls kleinen Lebensgemeinschaften vorbehalten.

Wie der Bereich der Sexualität gehört auch der Bereich des rituellen Agierens strikt der persönlichen Entfaltungsfreiheit an und wird oft von der gesellschaftlichen Exekutive als suspekt und bedrohlich betrachtet, da zumindest eine Einsicht in die Kraft von Symbol und Ritual verbreitet ist. Insofern ist das Ritual wie die Sexualität ein wesentliches Element des Widerstandes gegen die entindividualisierende Konsumgesellschaft. Beide Elemente sind zudem derartig eng mit dem Ausübenden verknüpft, daß sie ihm selbst in der Extremsituation der Gefangenschaft nicht genommen werden könne. Da sich die individuelle Entfaltung im Zustand umfassender Repression jedoch im Leerlauf befindet, kann sie nur zu einem führen: in den Wahnsinn der absoluten Einsamkeit (wobei ich mit Foucault und Bataille davon ausgehe, daß das Phänomen des Wahnsinns nur aus der Sicht des verständnislosen 'Außen‘ zu definieren ist). Es bleibt also der Kampf um die absolute Freiheit in einer Gesellschaft, die auf banale Bedürfnisbefriedigung, eine Simulation der 'Leichtigkeit‘, und das Funktionieren ihrer Vertreter ausgerichtet ist.

Einsamkeit
„Jeder auserlesene Mensch trachtet instinktiv nach seiner Burg und Heimlichkeit, wo er von der Menge, den Vielen, den Allermeisten erlöst ist, wo er die Regel 'Mensch‘ vergessen darf, als deren Ausnahme,“ schreibt Nietzsche in Jenseits von Gut und Böse. Die Kapitulation vor der sozialen Realität ist sicher nicht das Ziel dieser Überlegungen, und doch ist die Einsamkeit des „freien Geistes“ bedenkenswert. Nie sollte diese selbst gewählte und gewünschte Einsamkeit mit dem schlichten Alleinsein eines sozial nicht kompatiblen Neurotikers verwechselt werden, dessen tragische Egozentrik jeder Bemühung um Entfaltung im Wege steht. Um Nietzsches Begriff des „auserlesenen Menschen“ hier nicht mißverständlich erscheinen zu lassen: Diese „Auslese“ ist wertfrei zu begreifen, erhöht weder den Einsamen, noch degradiert sie seine Mitmenschen. Vielmehr ergibt sich aus dem fortschreitenden Streben nach Tiefe notwendig eine Isolation, ein Potential zum Mißverständnis, das die Kommunikation erschwert. Es ist insofern wichtig, immer auch einen kleinen Bereich der Intimität zu sichern, der die selbst gewählte Einsamkeit nicht in der Isolation erschöpft. Dieser Hort der Freiheit ist jenseits der Moral, jenseits der Zeitgenossenschaft anzusiedeln, wo man „die Regel 'Mensch‘ vergessen kann“. Egozentrik ist im Gegensatz zur Einsamkeit ein Negativ-Definition des 'Ichs‘: Durch die Fixierung auf die eigene Person wird die Position innerhalb der Gesellschaft behauptet und demonstriert, zugleich aber auch die Gesellschaft bestätigt in ihrer Degradierung zur 'Masse der Anderen‘. Die Einsamkeit des „freien Geistes“ dagegen ruht ganz in sich, bietet die Basis zur Meditation und Konzentration, schafft eine Selbst-Sicherheit, die nicht in egozentrische Arroganz und Eitelkeit münden muß. Um selbst zu sein, bedarf es letztlich nicht der Bestätigung. Die 'Heimlichkeit‘ der 'einsamen Burg‘ ist nichts weiter als das Zuhause in Toleranz, Akzeptanz, Vertrauen, Freundschaft und Liebe.

Paranoia
Die fatalste Eigenschaft von Paranoia und Verschwörungstheorien ist, dass es sich bei diesem Phänomenen um selbsterfüllende Prophezeiungen handelt: Je tiefer sich der Paranoiker in seine Theorien verstrickt, um so mehr scheinen sie sich zu bestätigen, um so überzeugender werden sie für ihn. Das ergibt sich aus der immer selektiver werdenden Wahrnehmung des Paranoikers, der sich aus seiner Alltagswahrnehmung nur die Elemente herausfiltert, die in sein Bild einer von Verschwörungen fremder, undurchschaubarer Mächte gelenkten Welt passen.

Tatsächlich konnte sich die Popularität von Verschwörungstheorien in den letzten Jahrzehnten noch steigern, da sie für viele an die Stelle einer politischen Weltsicht getreten ist. In der gegenwärtigen Gesellschaft ist Politik nahezu ersetzt worden durch höchst variable Vorstellungen von Moral. Jede Gruppierung kann die eigene Moral für das „erhaltenswerte Gute“ erklären und sich letztlich über die sich selbst ergebenden Feindbilder definieren. Dabei ist jede Moral zunächst gleichwertig, sei sie nun religiös, ethisch oder politisch konnotiert. Doch letztlich bleibt Moral immer behauptet, ein Dogma. Sich selbst für das „Gute“, das „Erstrebenswerte“ zu erklären, heißt jedoch am Ende nichts weiter, als die Macht an sich zu reißen, dominieren zu wollen, den eigenen Begriff der Moral allgemeingültig machen zu wollen.

Jede Gruppierung, die sich über ihr Feindbild definiert ist totalitär, gewaltbereit und somit äußerst gefährlich. Da unterscheiden sich rassistische Nationalisten und fundamentalistische Moslems nicht von der linksextremen Aktion: Alle haben ein polares Denken angenommen, das ihnen die Sicht der Welt vereinfacht, alle denken im abstrakten Sinne „rassistisch“. Auf dem Weg der Schwere stellen alle polarisierenden, totalitären Gruppierungen eine Gefahr, mitunter sogar eine physische Bedrohung dar, denn sie können in keinem Fall die Freiheit individueller Gedanken und Entfaltung tolerieren. Durchschaubar wird das vor allem im reaktionären Gedankengut von Neonazi-Gruppierungen: Ihr erklärtes, wenn auch diffuses, Ideal sehnt sich nach einer Welt der Einfachheit durch Annäherung an eine Gleichschaltung: Alle störenden Elemente müssten dann entweder domestiziert (sprich: ghettoisiert), vertrieben oder im schlimmsten Falle ausgerottet werden.

Dabei bewegen sich die Anhänger dieser Gruppierungen in einer Welt, die tatsächlich nicht mit ihnen gleichgeschaltet werden will. Neonazistisches Gedankengut, das sich angesichts seiner völlig irrealen, im Endeffekt auf Genozid ausgerichteten Programmatik kaum als „Utopie“ bezeichnen läßt, trägt der gesellschaftlichen Gegenwart, die in ihrer kosmopolitischen, multikulturellen Mixtur auf diese Weise nicht polar begreifbar ist, niemals Rechnung. Auch die gewaltbereite linksextreme Aktion strebt eine Gleichschaltung an, nur dass ihr tatsächlich eine multikulturelle, im Endeffekt wohl friedliche, „Utopie“ vorschwebt. „Rassismus“ im Sinne der Neonazis spielt hier auf den ersten Blick keine Rolle, im Gegenteil... Diese „Befriedung“ der multikulturellen Gesellschaft kann jedoch – und hier ist die Gleichung – nur in der Ausschaltung nicht konformer Gedanken und Gruppierungen stattfinden, und zwar in einem präventiven Akt. Auch diese totalitär ausgerichtete Gruppierung kann also „querdenkende“ Individuen nicht akzeptieren, würde sich gar durch diese bedroht fühlen, wie ihr jede Unberechenbarkeit suspekt ist.

Paranoia gründet also auf Angst und tiefem Mißtrauen: Angst vor einer undurchschaubaren, heterogenen Welt voller „blinder Flecken“, Angst vor einem Entzug an Information, Angst letztlich vor den Gedanken anderer Individuen. Tatsächlich ist diese Paranoia ein Resultat des Materialismus, der ein umfassendes Konsumsystem an die Stelle praktizierbarer Politik gesetzt hat. Politiker erscheinen in diesem System als Marionetten, die allenfalls hinter den Kulissen der Weltpolitik undurchschaubare Ziele verfolgen. Wird ein solches Komplott aufgedeckt, entlarvt sich das Handeln der betroffenen Politiker nicht selten als ein banaler Spiegel des Konsumsystems: Wer die Macht hat, möchte vor allem das Geld.

In diesem Kontext sollte man sich Jean Baudrillards Kritik an Michel Foucaults Machttheorie ins Gedächtnis rufen: Die Macht ist nach Baudrillard nicht wirklich existent, sondern existiert nur dort, wo an sie „geglaubt“ wird. Die Macht sei ein „Simulacrum“, das jederzeit zusammenstürzt, wenn sich die selbsterklärten Sklaven dem System entziehen. Die totalitäre Macht, die von den Neonazis und im Endeffekt auch von den Linksextremisten angestrebt wird, ist nach Friedrich Nietzsche dagegen die „Macht der Sklaven, die zu den Waffen gegriffen haben“. „Der Wille zur Macht“, den Nietzsche umschreibt, ist jedoch nie von Waffengewalt abhängig, sondern von der wahren Freiheit des „freien Geistes“, also des vor allem spirituell souveränen Menschen. „Jeder Mensch von einer geringeren Freiheit ist für die Freiheit der anderen eine Gefahr, denn er ordnet die Lösung der materiellen Schwierigkeiten moralischen Fesseln unter,“ schreibt Bataille 1944 dazu in seinem „Nietzsche-Memorandum“. – Insofern ist ein Leben in Angst, wie es dem Paranoiker entspricht, nichts weiter als ein Hindernis auf dem Weg der Schwere.

Der Verschwörungsparanoiker ist weit jenseits einer gedanklichen Freiheit, er ist der Sklave seiner Angst: Er würde dem Nichtparanoiker jederzeit vorhalten: Dem Verschwörer ist es egal, ob Du an ihn glaubst oder nicht, er wird trotzdem hinter Dir lauern. Dies ist die Angst des selbst-eingestandenen „Sklaven“ in Nietzsches Sinn, eines Menschen, der sich grundsätzlich unterlegen fühlt, den Mächten ausgeliefert. Auf dieser Basis ist ein „waches Leben“ mit „freiem Geist“ unmöglich.

Macht
Für den „freien Geist“ ist die Macht im politischen Sinne entweder Gewaltmacht oder Simulation. Michel Foucault hat im Rahmen seiner Machtanalyse versucht, aufgrund strukturalistischer Prinzipien eine Ordnung des menschlichen Wirkens zu analysieren. „Sein gesamtes Werk, von der Geschichte des Wahnsinns über die Ordnung der Dinge bis hin zur Archäologie des Wissens und der Geschichte der Sexualität, erscheint [...] als der groß angelegte Versuch, das menschliche Subjekt in seiner historischen Praxis in den allmächtigen, alles steuernden, alles regulierenden Strukturen völlig aufzulösen, alle Subjektivität und somit jegliche Subjekt-Objekt-Dialektik auszuscheiden, die sich angeblich aus ihrem eigenen wissenschaftlichen Grundlagen selbst konstituieren, gelten zu lassen und als Objekt, losgelöst vom historischen Prozeß, der Übermacht des Systems auszuliefern. Eine durch nichts erschütterbare Ordnung, deren Mechanismus einer von außen unbeeinflußbaren Selbstregulierung unterworfen sind, hält alles zusammen.

Wie bekannt ist, hat Foucault später selbst diesen Irrtum durch die eigene engagierte Praxis korrigiert,“ schreibt Arno Münster in Pariser philosphisches Journal (Frankfurt am Main 1987, S. 34-35). Man musste nicht erst auf Jean Baudrillards Vortrag Oublier Foucault (1977, dt. 1978/1983) warten, wo er Foucaults Omnipräsenz der Macht letztlich als sich gegenseitig bedingendes Simulakrum beschreibt: „Die Macht hat sich nicht immer für die Macht gehalten, und das Geheimnis der großen Politiker war zu wissen, daß es die Macht nicht gibt, daß sie nur ein Simulationsraum ist wie der perspektivische Raum in der Renaissancemalerei“ (S. 72f.). Natürlich ist Baudrillards Ausschließlichkeit ebenfalls zu einfach gedacht, allenfalls als belebende Provokation tauglich – wie die meisten seiner Thesen –, denn – ob simuliert oder nicht –, die körperlichen Auswirkung der Machtausübung – die Gewaltmacht der Exekutive – sind mitunter unbestreitbar.

Foucaults Einsicht in die Fehlbarkeit seines ursprünglichen Machtmodells – so einleuchtend es zunächst sein mag, vor allem was Überwachen und Strafen betrifft – führte zu anderweitigen Überlegungen, die er in im ersten Band von Sexualität und Wahrheit entfaltete. Diesen Überlegungen zufolge kann die Macht am effektivsten an der Sexualität ansetzten: Basierend auf seinen früheren Aufzeichnungen zu George Batailles entwickelte Foucault im ersten Band die These, daß die westliche Kultur die Sexualität nicht kontinuierlich befreit habe, sondern durch ihren „Willen zum Wissen“ – daher der Titel – ein vor allem verbalisiertes Objekt hervorgebracht hätten, das sich zur Überprüfung der eigenen Existenz eignet. Er setzt sich in diesem Zusammenhang mit der Repressionshypothese auseinander, wie sie von Wilhelm Reich und Herbert Marcuse vertreten wird, bestreitet dabei jedoch, dass es über die Jahrhunderte zu einer einseitigen Unterdrückung der Sexualität gekommen sein. Vielmehr habe der „Wille zum Wissen“, eine Art professionalisierte Neugier, auf den unterschiedlichsten Ebenen das oft erzwungene Geständnis oder die Beichte bedingt, in der Sexualität in Wort gebannt und aufgezeichnet wurde.

Die Text gewordene Sexualität entwickelte sich so zu einer „scientia sexualis“, einer Sexualwissenschaft, die im Gegensatz zu der „ars erotica“ anderer Kulturen steht, jedoch eine ähnliche Funktion erfüllt, nämlich die Kanalisierung sexueller Energien (Der Wille zum Wissen, S. 90ff). Foucault geht bei diesem Ansatz so weit, eine „Alleinherrschaft des Sexes“ in unserer Kultur zu entdecken, die sich jedoch weniger in der Tat als im Wort äußert. Er bestreitet nicht, dass Politik und Religion die Absicht gehabt hätten, die Sexualität zu unterdrücken – immerhin ist sie im Idealfall der zutiefst persönliche und somit unkontrollierbare Bereich menschlichen Wirkens –, doch die Institutionen seien dabei vom „Willen zum Wissen“ gebannt worden. Dieses Wissen sollte den Institutionen jedoch letztlich die ersehnte Macht auch über den Intimbereich bringen. Foucaults deutlichster Verweis zeigt, wie die christliche Seelsorge durch Moralunterricht und Beichte ausführliche Beschreibungen sexueller Phantasien und Erlebnisse provozierte. Bereits im 18. Jahrhundert wurde das Interesse auf pädagogischer, ökonomischer, politischer und juristischer Ebene professionalisiert, um im 19. Jahrhundert das Entstehen der „Geständniswissenschaften“ wie Psychiatrie, Pädagogik und Medizin zu begünstigen. Die „Lust an der Wahrheit“ wurde zur Motivation der Forschenden. In der Mediengesellschaft hat diese „Lust an der Wahrheit“ längst exhibitionistische Züge angenommen, die jede Intimität ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Die 'Lust am Outing‘ simuliert die Alltäglichkeit jeder Randerscheinung und zerstört letztlich George Batailles Forderung nach einer 'Grenzsetzung‘, die eine lustvolle Transgression erst möglich macht. Wenn es keinen Bereich des sinnlich Diffusen, des Unbekannten und Unheimlichen, mehr gibt, muss Batailles Modell letztlich scheitern.

Michel Foucault zeigt schließlich das Entstehen einer neuen Machtform auf Basis der scientia sexualis: die „Bio-Macht“. Sie macht sich die Familie nutzbar, um über diese 'Schaltstelle‘ Sexualität zu steuern, zu unterdrücken, aber auch zu motivieren. Intimität und eigentlich unkontrollierbare Lebensmechanismen werden über die Familie verwaltet und beobachtet. Über dieses Mechanismen von Geburtenkontrolle und Körperpolitik erklärt Foucault dann den Weg zum biologistischen Rassenwahn seit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert. – Macht kann also tatsächlich physisch wirksam werden, und es ist ratsam, sich dieses erdrückenden Simulacrums immer bewußt zu sein, um nicht verschlungen zu werden in der Bemühung, das Gesonderte zu leben.

Nischengesellschaft und soziale Konsensdemokratie
Eine Philosophie der Schwere auf dem Pfad der Freiheit ist der Weg des reflektierten Widerstandes – zunächst gegen eine rein materielle Konsumgesellschaft sowie gegen Intoleranz, Dogmatismus und Totalitarismus. Das Ziel dieses Weges ist ein System der friedlichen Koexistenz, der unbedingten Toleranz gegenüber anderen Positionen und Emotionen, sofern sie nicht aktiv auf den Bruch dieser Toleranz ausgerichtet sind. Einzig mögliche Verwaltungsform der angestrebten Nischengesellschaft ist eine soziale Konsensdemokratie, die notwendig den Kompromiß zwischen u.U. polarisierten Positionen vermittelt, jedoch auch Splittergruppen anteilig berücksichtigt. Es geht nicht um das Versprechen umfassenden Glücks, sondern eher um die unbedingte Vermeidung des individuellen Unglücks. Ein Konsens ist erreichbar, wenn er an sorgfältig ermitteltem Maß gemessen wird und auf umfassender Aufgeklärtheit und Information basiert. Nimmt man Theodor W. Adornos Anmerkung, es gäbe „kein richtiges Leben im falschen“, ernst, ist es also wichtig, mit der persönlichen Entwicklung auch die gesellschaftliche Entwicklung im Blick zu behalten und voran zu treiben. Am Ende jedoch muß wohl Montaigne stehen mit seiner tiefen Einsicht in die 'Differenz‘, in die gleichberechtigte Verschiedenartigkeit der Menschen.