Xiu Xiu

Always

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Label: Bella Union (Europa), Polyvinyl Records (USA)
Format: Vinyl+CD, CD
Veröffentlichung: 27. Februar 2012

Xiu Xiu stellen erneut die Sinnfrage. „Yesterday was awful – today’s discolored“ – so lautet die letzte Zeile des Stückes „Honey-Suckle“ vom aktuellen Album „Always“. Warum also weitermachen, wenn weder Hoffnung noch Besserung in Sicht ist? Auch nach zehn Jahren Schaffensphase hat Xiu Xiu-Mastermind Jamie Stewart keine Antwort auf diese Frage gefunden. Stattdessen zelebriert er die bedingungslose Kapitulation: „If you are wasting your life say hi“. Diese eröffnende, erste Zeile des Albums ist programmatisch und voll lakonischer Verzweiflung.

Eine depressive Grundstimmung ist für Xiu Xiu nicht neu, auch das letzte Album „Dear God I Hate Myself“ (2011) antizipiert dies schon im Titel. „Always“ belässt es jedoch nicht bei der Depression, sondern steigert sich ins Suizidale. Die Zeile „if your body ist wrong and you regret residing it – jack razor blade at your throat“ kündet von dieser Radikalisierung, verweist aber auch auf die starke Körperbetonung des Albums. Der Schallplatte liegt ein DIN A1 Poster bei, das schwarz/weiß Fotografien von Xiu Xiu Fan-Tätowierungen und Einritzungen zeigt. Neben dem ästhetischen Aspekt wird der Körper so auch als Austragungsort von Konflikten problematisiert. Diese Konflikte werden mittels Modifikation, Ästhetisierung, Verletzung und Verstümmelung ausgetragen und über die kulturelle Praxis selbst zum Teil des Körpers. Sie sind bleibende Dokumentation der Auseinandersetzung und genau wie der Titel des Albums „Always“ – also für immer. Der Körper als Karte der eigenen Leidensgeschichte, dieses schon in der Passionsgeschichte präsente Bild prägt auch das Album von Xiu Xiu.

Musikalisch schließt „Always“ nahtlos an seine Vorgänger an und taumelt auf seiner Sinn-Suche quer durch alle Genres. Electro Pop, Art Pop, Punk, Experimental und Songwriter-Fragmente werden zu der für Xiu Xiu typischen Collage verschmolzen. Obgleich die seit dem letzen Album wieder zu größerer Besetzung angewachsene Gruppe einen homogenen und dichten Sound kreiert hat, bleibt dieser stets brüchig. Die einzelnen Song-Elemente lösen sich unbeständig ab, verneinen sich und scheinen sich gegenseitig zu widersprechen. Eine ruhige Pianoballade („The Oldness“) folgt auf eine harte Industrial-Attacke („I Luv Abortion“), was dem Album Unbeständigkeit und eine gewisse Schizophrenie verleiht. Stewarts gehauchte und zitternde Stimme treibt diese Tendenz bis zum Äußersten und macht „Always“ zu einer psychischen Belastungsprobe. Zeilen wie „i love abortion – you are too good for this world“, „try not to cry in the shower“ oder „you will not go to heaven – you will just go to work“ sind Zeugnisse der tiefen Enttäuschung vom Leben, die Stewart in seinen Texten verarbeitet. Im letzten Stück „Black Drum Machine“ kulminiert diese Enttäuschung dann in der Selbstverneinung „i’m sorry – i’m sorry – i’m sorry....“ die fast manisch wiederholt wird.

Genau wie „Dear God...“ ist „Always“ wieder ein großes Album geworden, das man sich nur nicht zu oft hinter einander anhören sollte. Xiu Xiu bewegen sich weiterhin mit einem Fuß über dem Abgrund, balancieren dort aber trotz aller Tristesse mit einer gewissen Leichtigkeit. Obwohl Stewart die Kapitulation besingt, tut er dies in einem Akt
' sisyphosischer’ Auflehnung – zumindest das macht Mut. Grandioses Album!

Patrick Kilian