Magic Zyks
Selbst(er)findung
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(U-Books 2011) 141 Seiten, zahlr. Abb. sw
Modern Primitives – so nannte sich eine Körperkultbewegung
in den 1990er Jahren, die zwischen S&M-Szene und alternativen Subkulturen
an der Rückeroberung des eigenen Körpers in einer Zeit der Virtualisierung
des Lebens arbeitete. Neben Piercings und Tattoos wurden zunächst
marginalisierte Techniken wie Scarification, Splitting und Splicing (etwas
der Zunge), Zieramputationen oder Hautimplantate bekannt und populär.
Dazu kam die Modifikation des Körpers durch Mode (Korsettierung)
oder andere Manipulationen (Dreddlocks). Nach der Jahrtausendwende wurde
es weitgehend ruhig um diese Strömung, während die Körpertechniken
selbst zu einem Teil jener Subkulturen wurden, die dafür offen waren:
Von Punk über Gothic zur S&M- und Fetischszene. Die Behauptung
einer eigenen Utopie geriet in Vergessenheit.
Das bei U-Books vorliegende Buch 'Selbst(er)findung' von
Magic Zyks erkundet anhand teilweise intimer Porträts in Bildern
und Statements, wie es um die utopischen Qualitäten der Körpermodifikation
heute steht. Dabei kommt Erstaunliches zutage: die jungen Frauen (dazu
ein Transsexueller und ein - biologischer - Mann) hier betrachten die
Veränderung des eigenen Körpers als legitimes und wirkungsvolles
Mittel, sich dem persönlichen Kern und dem eigenen Körper zugleich
zu nähern und diesen zu erschließen. Narben erscheinen so nicht
mehr als therapiewürdiger Ausdruck mentaler Verstörung, sondern
selbst als Therapie. Die chirurgische Brustvergrößerung erscheint
nicht weniger radikal (und nachvollziehbar) wie die temporäre Veränderung
mittels Kochsalzunterspritzung der Haut. Und auch sadomasochistische Praktiken
von Bondage bis zum befohlenen Exhibitionsmus haben hier nicht den Ruch
des Pathologischen oder genderpolitisch Bedenklichen, sondern erscheinen
als das, was sie idealerweise sein sollten: als radikales Behaupten der
individuellen Freiheit.
So bietet das in stimmungsvollem Schwarzweiß reproduzierte
Fotobändchen 'Selbst(er)findung' ebenso intime wie respektvoll-erotische
Bilderreihen und in vielen Fällen auch aufschlussreiche Selbstaussagen,
die eine Einordnung der jeweiligen Selbstdarstellung erleichtern. Wer
nach körperlicher Gestaltung sucht oder sich seit Jahren in seinen
Bedürfnissen alleine fühlte, wird hier einen erfreuliche Begleiter
finden.
Auf das endlich verstanden werde: Ein Körper will
immer (auch) gelesen werden…
Christoph Donarski
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