Porträt der Salzgeber & Co. Medien GmbH

Mit dem unleugbaren Siegeszug der DVD durch die internationale Medienlandschaft schweift der neidische Blick des Sammlers nicht selten gerade ins nahe und ferne Ausland: Nicht nur haben die USA mit der Criterion Collection und Anchor Bay und Großbritannien mit BFI Video hervorragende Labels mit Schwerpunkt auf anspruchsvollen Filmen jenseits des Mainstreams, gerade auch das Werk bedeutender deutscher Filmemacher wie Wim Wenders und Werner Herzog ist dort oft präsenter als im eigenen Land. Herzog etwa lässt sich mühelos über Anchor Bay in den USA (und neuerdings aus GB) beziehen. Andererseits gibt es natürlich auch hierzulande eine kleine aber feine Tradition von Labels, die sich dem schwierigen, anspruchsvollen oder auch Nischenfilm verschrieben haben: Absolut Medien etwa oder eben Salzgeber & Co. Medien GmbH aus Berlin. Dem Salzgeber Label ist es zu verdanken, dass sperrige Werke wie Derek Jarmans Filmgedicht BLUE oder John Mayburys Künstlerfilm LOVE IS THE DEVIL dem offenen Publikum zur Verfügung stehen. Und auch Neuentdeckungen sind hier zu verzeichnen, aber dazu später...

Mit BUDDIES von Arthur Jr. Bresson, dem ersten Spielfilm zum Thema AIDS, gründete Manfred Salzgeber im Jahre 1985 seine ‘Edition Salzgeber‘, einen kleinen unabhängigen Filmverleih. Innerhalb weniger Jahre avancierte die Privatunternehmung zu einem anerkannten deutschen Kleinverleih mit hervorragendem dokumentarischem und schwullesbischem Verleihprogramm. Nach dem Tod von Manfred Salzgeber im Jahre 1994 wurde die Edition Salzgeber zur Salzgeber & Co. Medien GmbH umgewandelt. Geschäftsführende Gesellschafter sind heute Björn Koll und Kurt Kupferschmid.
In der nunmehr 16jährigen Verleihergeschichte und auf dem langen Weg vom Kleinstverleih zum mittleren Unternehmen gelang es, sich durch die kontinuierliche Präsenz von qualitativ herausragenden und besonderen Filmen außerhalb des Mainstreams, als festen Bestandteil der Verleiherszene in Deutschland zu etablieren. Heute werden die meisten der Kinotitel auch als VHS Kaufvideo bzw. als DVD herausgegeben. Zum festen Verleihprogramm gehören heute mittlerweile über 250 Titel, darunter nahezu alle Filme aus der Edition Salzgeber: Filme mit schwul/lesbischer Thematik, abendfüllende Spielfilme, und Dokumentarfilme. Zum festen Repertoire gehören Regisseure wie Derek Jarman, Daniel Schmid, Mike Leigh, Monika Treut, Paulus Manker, Helke Sander, Thomas Mitscherlich, Andres Veiel oder Volker Koepp. Auch Verleih von Dokumentarfilmen hat bei Salzgeber eine lange Tradition, seien es nun Dokumentationen über Gay Rights wie § 175 (Kinostart Frühjahr 2002), Künstlerportraits wie LOVE IS THE DEVIL oder gesellschaftspolitische Analysen wie LOST SONS über den Neonazi-Aussteigen Ingo Hasselbach und seinen sozialistischen Vater.
Die Salzgeber & Co. Medien GmbH ist zudem zweimal, in den Jahren 1994 und 1999, mit dem Verleiherpreis des Bundesministers des Inneren ausgezeichnet worden.

Zu den bemerkenswertesten europäischen Filmentdeckungen des letzten Jahres zählt ein Film, den Salzgeber sowohl im Kino wie jüngst auch als DVD präsentiert: Agustí Villarongas EL MAR – DAS MEER. Der spanische Filmemacher ist weltweit legendär geworden durch seinen kompromisslosen Psychothriller TRAS EL CRISTAL, in dem bereits eine fatale Lust am Tode in betörenden, ebenso düsteren wie blutigen Bildern gefeiert wurde. Nach einigen Auftragsarbeiten, u.a. für ARTE, ist Villaronga mit EL MAR ein reifer Höhepunkt seines Schaffens gelungen. Im vom Frankismus erschütterten Mallorca des Jahres 1936 erleben die Kinder Ramallo, Manuel und Francisca die Exekution von Menschen, Feinden des Regimes. Unfähig, mit diesen Erfahrungen umzugehen, töten sie ihrerseits einen Jungen, den Sohn eines regimetreuen Henkers. Auf Gewalt gründet eben nur noch mehr Gewalt, und dieses Blutband wird die beiden Jungen und das Mädchen zwölf Jahre später erneut zusammenführen: in einem Lungensanatorium, das viele Patienten nicht mehr lebend verlassen. Manuel ist inzwischen besessen vom Martyrium der katholizistischen Mystik, Ramallo dagegen hangelt sich am Rande der Legalität entlang, verdingt sich zeitweise auch als Stricher. Francisca dagegen ist Nonne und wird zur Mittlerin zwischen den langsam zerbrechenden Welten. Während Manuel sich immer mehr in Selbstkasteiung ergeht, sinkt Ramallo – das Objekt seiner Begierde – immer tiefer in einen Morast von Verbrechen und Mord. Mit dieser Talfahrt in die destruktive Kraft sexueller Triebe schafft Villaronga eine poetisch inszenierte, beklemmend vertonte Fabel, der wie auch seinen anderen Filmen eine fatale Logik anhaftet, die vom ersten Bild an fesselt. Salzgeber präsentiert diesen Film in einer ungekürzten, technisch sauberen DVD-Ausgabe, versehen mit einem schönen Kinotrailer. Wer die Filme von Andrzej Zulawski, Fernando Arrabal oder Pier Paolo Pasolini schätzt, wird dieses leidenschaftliche, faszinierende Werk lieben – und verzweifelt nach Villarongas anderen Werken suchen...
Ein stilistisch noch radikalerer Film ist John Mayburys LOVE IS THE DEVIL, ein von Liebe, Besessenheit und Betrug erzählendes Seelenpanorama über den Amour fou zwischen dem Maler Francis Bacon und seiner (männlichen) Muse. Der konsequent fragmentierte Film schafft zu den dezenten Klängen des japanischen Popkünstlers Ryuichi Sakamoto ein beklemmendes Bild des Malers zwischen Vision, Alptraum und Begehren. Auch hier ist der audiovisuelle Transfer auf DVD äußerst gelungen und lobenswerterweise die englische Tonspur mit all ihren kleinen Nuancen beibehalten worden, wenn auch die deutschen Untertitel etwas klein ausgefallen sind. – Fast zur selben Zeit kam auch Verfilmung des Theaterstückes BENT in England ins Kino. Gerade das New British Cinema hat eine starke Tradition kritischen schwulen Kinos aufzuweisen (siehe hierzu auch das neue Buch von Kerstin Gutberlet: „The State of the Nation“, St. Augustin 2002). Dass sich in diesem Kontext gerade auch Derek Jarmans Klassiker THE ANGELIC CONVERSATION (zur Musik von Coil) und BLUE finden, sei nur am Rande erwähnt.
Zum Schluss dieses kleinen Labelprogrammeinblicks möchte ich noch auf einen faszinierenden Dokumentar- bzw. Essayfilm verweisen: NICO ICON von Susanne Ofteringer ist auch für jene interessant, die mit der Kunst der 1988 verstorbenen frühen Gothic-Performerin Nico nicht unmittelbar vertraut sind. Was sich hier an Einblick in die Warhol Factory und die Musikszene der siebziger Jahre ausbreitet ist immer neu verstörend, amüsant und auch unterhaltsam. Selbstredend kommt auch der Blick dieses Films nicht über die ‘Ikone Nico‘ hinaus, es bleibt jedoch ein moderner Klassiker der filmischen Künstlerbiografie. Ein Blick in Salzgebers Zukunftplanung lässt weitere Entdeckungen und Archivleistungen erwarten. Bleibt es auf seiten des Filmpublikums, diese Bemühungen auch zu würdigen...

Marcus Stiglegger