Slaughterhouse of the Rising Sun

3 / 5 Sterne

Von einer Agonie des Realen hat der Philosoph Jean Baudrillard gesprochen, schon 1977, in seinem berühmt gewordenen Aufsatz „Geschichte: Ein Rétro-Szenario“. Der verlorenen Geschichte gegenüber situiert Baudrillard das Hyperreale: „Da brillieren die Objekte in einer Art von Hyperähnlichkeit […], derart daß sie im Grunde überhaupt nichts mehr ähneln, es sei denn der leeren Figur der Ähnlichkeit, der leeren Form der Repräsentation“.

Symptom für diesen totalen Verlust des Realen ist auch Vin Creases SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN (USA 2004), ein Fake-Splatter-Film, der als verschollene Exploitation-Perle aus dem Jahre 1972 vermarktet wird. Differente ästhetische Strategien suggerieren Authentizität: Das Filmmaterial ist ausgebleicht und grießig, der Schnitt holprig und rau, die Kameraführung wackelig und voller Zooms, der Soundtrack billig und minimalistisch, die Farben grell und kitschig. Analog zu Wes Cravens THE LAST HOUSE ON THE LEFT (USA 1972) und THE HILLS HAVE EYES (USA1977), oder auch Tobe Hoopers THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE (USA 1974) hält SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN sich stark zurück, was graphische Wundinszenierung betrifft. Darin differiert der Film wohltuend von reaktionärem Horror-Porn wie Nick Palumbos MURDER SET PIECES (USA 2004), Eli Roths HOSTEL (USA 2005) und Darren Lynn Bousmans SAW III (USA 2006).

Als Rétro-Phänomen aber versäumt es SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN, Stellung zu beziehen, seine Zitate über den Status Quo der Gegenwart zu definieren. Vietnam - Irak, damals wie heute befindet Amerika sich in einem sinnlosen Krieg, der rational kaum noch zu erklären ist. In den großen Horror-Filmen der 1970er Jahre fusionierten auf der Leinwand die Erfahrungen des Krieges mit der alternierten Wahrnehmung durch psychosomatische Bewusstseinstrips. Nichts davon findet sich in SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN, nur eine selbstironische Hippie-Hommage, unverbindlich im Zeigen, unverbindlich im Gezeigten. Rob Zombie hat mit seinem Meisterwerk THE DEVIL’S REJECTS (USA 2005) demonstriert, wie sich heute politisches Engagement mit liebevollem Rétro-Szenario verbinden kann – von Zombies inszenatorischer Virtuosität trennen SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN freilich ohnehin Welten.
„Wir“, schreibt Jean Baudrillard, „treten ein in ein Zeitalter von Filmen, die eigentlich keinen Sinn mehr haben, die große Synthese-Maschinen sind, mit variabler Geometrie“.

SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN stellt seine suggestiven Gestaltungsmittel anders als THE DEVIL’S REJECTS nicht in den Dienst eines Sinns, eines Sinns, den das Kino einst selbst mitgeholfen hat zu liquidieren. Bei Rob Zombie wird das Rétro-Szenario wieder zur Wirkung von Kunst, deshalb, weil es radikal Partei ergreift; Partei für das marginalisierte Amerika der Schlitzer und Kannibalen, der Freaks und Outlaws, der Spinner und Träumer. SLAUGHTERHOUSE OF THE RISING SUN dagegen evoziert nichts als Phantome – und darin verliert der Film sich selbst.

Ivo Ritzer

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