Sixth Comm

Like Stukas Angels Fall
Retrospective 1984-1990

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(Hagshadow/Kenaz 2008) CD 16 Tracks

Sixth Comm, das Elektro-Ritual-Projekt von Patrick Leagas (Ex-Death in June, Runners from 84), feiert derzeit zweifellos eines der erstaunlichsten Comebacks im Undergroundbereich. Dabei kann man nicht gerade sagen, dass Sixth Comm-Alben Mangelware wären. Und auch eine Best-Of-Compilation wäre keine bewegende Neuigkeit, enthalten doch die meisten Alben von Sixth Comm traditionell Neuaufnahmen oder Remixe bekannter Stücke. "Like Stukas Angels Fall" (der provokativ-martialische Titel ist zweifellos beabsichtigt) ist dennoch anders.

Neben dem grandiosen Doppelalbum "Headless" (2006) kann man diese sehr bewusst gestaltete CD durchaus als einen Neustart werten. Wer die vorangegangenen Veröffentlichung kennt, wird bemerkt haben, dass Patricks Leagas' Stimme wohltuend gereift ist. In der Zusammenarbeit mit :Golgatha: ("Kydos", Athanor 2005) klingt er fast 'gothic', rauh und düster. Nun hat er seine bekannten Klassiker, die fast alle bereits auf "Content With Blood" (1987) vertreten waren (auch diese CD ist gerade neu wiederveröffentlicht worden), sich noch einmal gründlich vorgenommen.

Was hier "Retrospektive" heißt, ist letztlich eine Revision. Es beginnt mit "Kirato e Sonfelte" (usprünglich "Sonfelte"), das nun klassischer und düsterer klingt. "The Winter Sadness", einer der schönsten Sixth Comm-Texte, wurde nur klangtechnisch modernisiert. Der Höhepunkt des Albums und vermutlich eines der bislang besten Sixth Comm-Stücke ist "Nothing Life" vom gleichnamigen Debüt-Tape, das hier mit einer neuen Akustikgitarre untermalt vorliegt. Ein nihilistisches Meisterwerk apokalyptischer Folkmusik.

"Together in Neiflheim" greift den Dancefloor-Klassiker der frühen 1990er Jahre wieder auf - mit Drum'n'Bass-artigem Uptempo-Beat und pathetischem neuem Gesang. Ein weiterer Höhepunkt ist dann "Will to War", das eigentlich "Torture Garden" heißt und auf "Nada!" von Death in June veröffentlicht war. David Tibet wird auch nicht vermutet haben, dass er als gegenwärtiger Alternative-Popstar nochmal auf einer CD beteiligt ist, die den Begriff "Stukas" im Titel trägt (das geschieht ihm natürlich recht, dem passionierten Revisionisten). "The Will to Power / And the Will to War / In the Torture Garden" - dieser Song von 1984 hatte einst dem Londoner Torture Garden-Club den Namen (und die Hymne) verliehen. Nie klang er so gut wie heute. Streitbar wird für viele wohl der neue, extrem humanistische Epilog sein, der den Sieg der Liebe beschwört. Dem Musiker scheint es gut zu gehen dieser Tage...

"Salerno Carousel" ist ebenfalls ein Death in June-Song, entstanden unter Mithilfe von Douglas P. (an den Sleigh Bells, wie man liest). Auch dieses Stück wirkt hier komplexer arrangiert als früher. Mit "Pipes of Gold", einer Version des Hits "The Calling" (auch von "Nada!") geht es weiter. Erstaunlich, die Taktik, die eigenen Hits umzubenennen, aber so kann man sie wenigstens neu entdecken. "Fortell the Blood flows" war einst "Fortold". Auch hier kann man im Titel bereits den resignativen, zynischen Charakter erkennen, den Leagas' ganze Arbeit angenommen hat. Man sollte nicht vergessen, dass der martialische und oft kritisierte Aspekt von Death in June ursprünglich auf ihn zurückging. Zeitweise hatte er sich davon distanziert - momentan sieht man ihn jedoch auch wieder mit Tarnkleidung und Stahlhelm auf der Bühne.

Die zweite Hälfte des Albums stellt nun neues Material vor. Mit "Shake the Fear" hören wir ein Alptraum-Rezitativ mit irritierenden Beats und melancholischer Harmonikamelodie. Anklänge an späte Coil-Stücke bleiben nicht aus. Mit "Sow the Wind" geht die pessismistische Reflexion weiter. Zu dezenten Harfenklängen fabuliert Leagas mit sonorem Sprechgesang. Hier wären Lyrics hilfreich gewesen.

Von Sixth Comms erstem Soloauftritt 2008 in Halle zusammen mit Anti Child League und :Golgatha: kennt man das chillige und ideologisch ebenfalls sehr gutartige "Wake up the World", das Leagas als Liedermacher adelt. Ist der Eco-Terrorist wieder erwacht? "Death Illusion" setzt diese Assoziationen fort und greift die orientalischen Melodien aus "Headless" wieder auf. Düster und ruhig entfaltet dann "Swayling Illusion" eine fast sakrale Stimmung, die sich in Harmonium-Akzenten auflöst.

"Tentofimblessmothers" schließlich ist ein faszinierendes orientalisches Instrumental, sehr filmmusikartig und eingängig. Spätestens hier dürfte auch der letzte eurozentrische Neofolk-Purist ausgesteigen sein. Und gerade hier zeigt sich Sixth Comms ungebrochene Aktualität. Wie bestellt kommt "Shame on You", eine trancige Fabulation, die etwas sehr unspektakulär dagegen abfällt. Abschließend eine weitere Überraschung: Das Titelstück des Albums wirkt ebenfalls kurz und unspektakulär - hier hätte man sich etwas mehr Elan gewünscht.

Insgesamt ist "Like Stukas" durchaus ein eigenständiges neues Sixth Comm-Album, das einen zeitgenössisches Gewand sucht und teilweise zweifellos auch findet. Der neue, sperrigere Patrick Leagas weiß zu gefallen, wenn er auch - wie stets - seine Alben nur schwer zugänglich macht (man kann "Like Stukas" bei Hagshadow in London beziehen).

Es ist zudem erfreulich zu sehen, dass nach Death in June ("The Rule of Thirds") nun auch Sixth Comm zur alten Form zurück gefunden haben. Ein neues Sol-Invictus-Album steht noch aus - dann wäre das Erbe von Death in June vorerst gesichert. Nachdem Douglas P. dem rechtsextremen Teil seines Publikums auf der Farewell-Tour eine deutliche Absage erteilt hatte und Tony Wakeford seit Jahren daran arbeitet, endlich als Künstler - nicht als Ideologe - ernstgenommen zu werden, zeigt Patrick Leagas, dass er eine durchaus komplexe und noch immer ambivalente Weltsicht in seiner Musik präsentieren kann - zerrissen zwischen reaktionärem Kulturpessimismus und utopisch-humanem Neopaganismus, voller Fallen und Ambivalenzen. Wahrhaftig und uneindeutig wie das Leben selbst... Darum war es bereits in den Anfängen dieser Musik gegangen. Und so steht Sixth Comm mit dieser "Retrospektive" als unsterbliches Mahnmal gegen die Flut der dümmlich-affirmativen Stimmungsmache, die viele neuere Projekte des apokalyptischen Undergrounds infiziert hat.

Trotz kleiner Schwächen gegen Ende ist "Like Stukas Angels Fall" eines der stärksten Alben der letzten Monate und für jeden Fan kulturpessimistischer, apokalyptischer Ritualmusik eine wahre Freude. Es bleibt zu hoffen, dass weiteres Material folgt. Aber zunächst kommt eine Zusammenarbeit mit Der Blutharsch auf deren neuem Album "Flying High".

MaNic, 24.5.2009