Norbert Grob / Bernd Kiefer / Thomas Klein / Marcus Stiglegger (Hrsg.)

Nouvelle Vague
Genres/Stile: Band 1

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224 Seiten, mit Abb., Paperback, 12,90 EUR, ISBN: 3-936497-12-5, Erscheint: Juli 2006

Als Epochalstil markiert die französische Nouvelle Vague den Einzug der Moderne im Kino. Ihr Einfluss auf den Arthouse-, aber auch den Genre-Film kann bis heute kaum überschätzt werden – man betrachte nur das Episodische, das Persönliche, das Zitatreiche bei Jim Jarmusch, Wong Kar-wai oder auch Quentin Tarantino. Und doch nimmt sich die Literaturlage zur Nouvelle Vague sehr überschaubar aus. Vor allem in deutscher Sprache existieren neben den schönen Regisseurmonografien im Münchener Hanser-Verlag nur zwei essayistische Textsammlungen, beide verfasst von Frieda Grafe, welche wie niemand sonst in Deutschland die Entwicklung der Nouvelle Vague reflexiv begleitet hat. Der von den Filmwissenschaftlern Norbert Grob, Bernd Kiefer, Thomas Klein und Marcus Stiglegger neu im Bender-Verlag herausgegebene Band leistet nun als erste systematische Studie eine akademische Einführung in den Themenkomplex Nouvelle Vague.

Er würdigt zum einen die einzelnen Protagonisten der Nouvelle Vague. Kurze Schauspielerportraits zu Jean-Pierre Léaud (von Thomas Klein), Stéphane Audran (Marcus Stiglegger), Jean-Claude-Brialy (Andreas Rauscher), Bernadette Lafont (Thomas Klein), Anna Karina (Josef Rauscher), Jeanne Moreau (Norbert Grob), Jean Seberg (Norbert Grob), Juliet Berto (Norbert Grob). Bulle Ogier (Karlheinz Oplustil), Jean Pierre Belmono (Bernd Kiefer), Delphine Seyrig (Norbert Grob) und Brigitte Bardot (Bernd Kiefer) stehen neben analytisch fundierten Texten zu den einzelnen Regisseuren: Rainer Gansera über François Truffaut, Thomas Klein/Marcus Stiglegger über Claude Chabrol, Bernd Kiefer über Jean-Luc Godard, Thomas Klein über Eric Rohmer, Karlheinz Oplustil über Jacques Rivette, Marcus Stiglegger über Alain Resnais, Josef Rauscher über Jean Eustache und Miriam Fuchs/Norbert Grob über all jene, die nicht zum engen Kreis der Bewegung gehörten, Agnès Varda, Louis Malle und Jacques Demy.

Zum anderen bietet der Band aber auch übergreifende Untersuchungen zum Phänomen der Nouvelle Vague. Bernd Kiefer und Norbert Grob versuchen sich an einer Definition der Terminologie und leisten diese sehr überzeugend anhand der zahlreichen Schriften der einzelnen Filmemacher. Ähnlich eindrucksvoll nimmt sich der Text von Norbert Grob zum Autorenkino aus. Grob, einer der profundesten Nouvelle Vague-Kenner Deutschlands, exemplifiziert an verschiedenen Sequenzen unterschiedlicher Filme, was es bedeutet, auch mit der Kamera vorbehaltlos „Ich“ zu sagen. Fritz Göttler von der Süddeutschen Zeitung schließt an Grobs essayistische Reflexionen an und formuliert eine der schönsten Beobachtungen des Bandes: „Eine kleine Springflut ist die Nouvelle Vague gewesen, und man hat ihn als filmischen Sturm und Drang in Erinnerung, eine Bewegung mit Vehemenz und Gewalt. […] In der Erinnerung scheinen diese Filme manchmal aus lauter Ab- und Aufblenden und schnellen Schwenks zu bestehen, junge Leute, die durch die Straßen eilen, auf der Jagd oder auf der Flucht, und andere dabei mitreißen“ (S. 72). Etwas weniger impressionistisch gestalten sich dann die Ausführungen des Medienwissenschaftlers Karl Prümm zur Bildlichkeit der Nouvelle Vague. Prümm widmet sich der Arbeit von Kameraleuten wie Nestor Almendros oder Raoul Coutard und kann zeigen, wie diese zu Beginn der 1960er Jahre durch Improvisation und Entdramatisierung eine neue Unmittelbarkeit konstituiert.
Der Band zur Nouvelle Vague stellt den Auftakt einer neuen Reihe im Mainzer Bender-Verlag dar. Betreut von Norbert Grob sollen kontinuierlich Veröffentlichungen zu spezifischen Genres respektive Stilen folgen. Neben einem zeitgleich erscheinenden Reader zum Phänomen des Road Movies sind bereits Bände zum Politthriller, zum Noir-Kino, zum Gefängnisfilm und zum Neuen Deutschen Film angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass die folgenden Publikationen das durchweg hohe Niveau des Nouvelle Vague-Bandes halten können und sich als vergleichbar makellose Standardwerke erweisen.

Ivo Ritzer