Butz Peters

Der letzte Mythos der RAF.
Das Desaster von Bad Kleinen – Wer erschoss Wolfgang Grams?

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Berlin: Ullstein 2006.

Butz Peters schickt sich an, Stefan Aust als journalistischen Interpreten der RAF zu ersetzen. Vor zwei Jahren legte er mit „Tödlicher Irrtum“ eine Überarbeitung seiner RAF-Geschichte von 1991/93 vor. Nun folgt mit „Der letzte Mythos der RAF – Das Desaster von Bad Kleinen“ seine Version der Geschehnisse in Bad Kleinen (1993). Doch das „Wer erschoss Wolfgang Grams“ – so der zweite Untertitel des Buches – ist für Peters keine offene Frage. Wer also eine investigative Aufbereitung der Ereignisse erwartet, wird von dem Buch enttäuscht sein.

Von Anfang an ist für Peters klar: erschossen hat Grams sich selbst. Damit ist aber schon das größte Problem des Bandes benannt. Da für Peters die Frage zu keinem Zeitpunkt offen ist, wirken seine Auflösungen tatsächlicher und/oder vermeintlicher Widersprüche einseitig und allzu gefällig. Und der Eindruck entsteht, dass er lediglich beweist, was er ohnehin schon weiß.
Das ganze garniert Peters mit den für ihn typischen Redundanzen (eine Formulierungen finden sich bis zu viermal wortwörtlich auf wenigen Seiten wieder!) und bläht das Buch durch einen – dem Thema in der Länge nicht angemessenen – zeithistorischen Abriss auf. Der Schreibstil ist zudem oft sehr selbstgefällig.

Den vielen offenen Fragen zur so genannten Dritten Generation der RAF und/oder den Geschehnissen in Bad Kleinen stellt Peters jedoch keine überzeugenden neuen Rechercheergebnisse entgegen. Stattdessen lässt er sich lieber auf 12 Seiten über künstlerische und mediale Aufarbeitungen des RAF-Komplexes aus. Dabei verkennt er die Funktion solchen Auseinandersetzungen. So kritisiert er z.B., dass der Fernsehfilm MORD AM MEER (2005) eine rein fiktive Geschichte erzählt. Dies taten bereits die ersten Filme zu diesem Thema wie DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM (1975), MESSER IM KOPF (1978) oder DIE DRITTE GENERATION (1979). Sie stellen dennoch eine intensivere Auseinandersetzung mit der Gesellschaft (die die RAF mit ihren Bomben erschuf) dar, als z.B. Christopher Roths halb-authentischer Film BAADER (2002). Wenn Peters Spielfilmen vorwirft, sie haben mit „der Wirklichkeit [...] so viel zu tun wie Jules Vernes Roman 'Von der Erde zum Mond’ aus dem Jahr 1865 mit den damaligen Versuchen der Menschheit, vom Erdboden abzuheben“ (233), dann ist es nicht nur vereinfachend, hier von einer „Verklärung“ (233) der RAF zu sprechen (dies kann man Filmen wie DIE INNERE SICHERHEIT [2000] sicherlich nicht vorwerfen). Schaut man sich z.B. Fernsehfilme wie ALMA MATER (1969) und KENNEN SIE GEORG LINKE? (1971) an, so findet sich dort bereits eine sehr kritische Haltung gegenüber der Studentenbewegung und der „Baader-Meinhof-Bande“. Filme sind aber – und das verkennt er – ein Beitrag für die gesellschaftliche und kulturelle Verarbeitung resp. Interpretation von Terrorismus und Gewalt. So schreiben z.B. Ronald Hitzler und Jo Reichertz bezüglich der Anschläge am 11. September 2001:

„Terror bringt in der Regel die symbolische Ordnung einer Gesellschaft und manchmal auch deren Ordnung der Symbole (Twin Towers) handgreiflich zum Einsturz. Terror zerstört so die – relative Verhaltens- und Erwartungssicherheit konstituierende und sichernde – Erfahrung alltäglicher Normalität. Deshalb muss nach dem Terror der Terror selbst gedeutet und in die symbolische Ordnung einer Gesellschaft eingearbeitet und eine neue Ordnung der Symbole errichtet werden.“ (In Ronald Hitzler, Jo Reichertz (Hrsg.), 2003: Irritierte Ordnung. Die gesellschaftliche Verarbeitung von Terror. Konstanz. UVK, S. 8.)

In diesem Sinne deuten und verarbeiten Filme Zeitgeschichte.
Butz Peters setzt sich vor allem mit den beiden Quellen für die meisten Verschwörungstheorien (einem Beitrag im Monitor und einem Spiegel-Bericht) auseinander. Er zeigt hier überzeugend auf, dass die Zeugen unglaubwürdig sind. Viele Andere Widersprüchlichkeiten blendet er in seiner Argumentation jedoch aus. So wirft auch Peters – anders als er suggeriert – mehr Fragen auf, als er beantwortet.

Christian Hißnauer