Philipp Münch & Loss

Transcontinental Desperation

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Label: Ant-Zen Records
Format: CD
Veröffentlichung: 20. Februar 2014
Laufzeit: 65:13min

Der Albumtitel kündigt es bereits an: Die Kollaboration von Philipp Münch und Dan Fox alias Loss steht unter dem Signum der Verzweiflung. Diese zirkuliert zwischen den Kontinenten hin und her, überträgt sich mittels Hochgeschwindigkeits-Unterseekabel über den Atlantik hinweg und wird in Form von Soundfiles zwischen den Künstlern ausgetauscht. Die global gewordene Gesellschaft bzw. das McLuhan’sche 'globale Dorf’ synchronisiert nicht nur Emotionen auf der ganzen Welt im Sekundentakt, seine medialen Kanäle machen diese auch materialisierbar und in Gestalt von Musikdateien bearbeitbar und zum Gegenstand mehrfacher Überschreibungsprozesse.

„Transcontinental Desperation“ ist eine komplexe Klangcollage, in der die Verzweiflung der postindustriellen Gesellschaft tief in die akustische DNA eingeschrieben wurde. Schon in den einfarbig gefilterten gelb-schwarzen Fotografien des Artworks, die in einem nuklearen Nebel zu versinken scheinen, ist dies angelegt: Eingerissene Gebäuderuinen, verrostete und liegenlasse Artefakte der industriellen Kultur (Schutz-Handschuhe, Stahlbolzen, Muttern) sowie verlassene Industrieanlagen erzählen von Produktionsformen, die nicht mehr gebraucht werden und Praktiken, die aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Innerhalb dieser Kulissen verorten sich die Komposition auf „Transcontinental Desperation“, mit denen Philipp Münch an sein gelungenes Werk „Mondo Obscura“ (Ant-Zen 2012), und Loss an dessen ebenfalls sehr hörenswertes „I Am But the Sum of My Conditions“ (Ant-Zen 2013) anschließen. Die Stücke schwanken zwischen Dark-Ambient Collagen, druckvoll und definierten elektronischen Beats und treibenden Synthesizer-Linien. Obwohl der verzerrte und verfremdete Gesang zwischen den rhythmischen Noise-Versatzstücken entfernt an Aphex Twin’s „Comme to Daddy“ erinnert, weisen die Kompositionen des Albums dennoch in eine andere Richtung. Die repetitiven Rhythmen – zum Beispiel im Stück „Whatever Happened in the Dark“ – scheinen Zeremonien post-apokalyptischer Urban Tribes in den Ruinen einzuleiten. In diesem Sinne weist das Album Parallelen zu dem ebenfalls als Kollaborations-Projekt entwickelten Album „My Life in The Bush of Ghosts“ (E.G. 1981) von Brian Eno und David Byrne auf. Auch das experimentelle und eigenwillige „Flowers of Romance“ der Wave-Ikone Public Image Ltd. (Virgin 1981) kann als assoziative Referenz des Albums angeführt werden. Genau wie diese beiden Alben ist „Transcontinental Desperation“ trotz seines modernen Sounddesign und seiner progressiven Ästhetik im eigentlichen Sinne nicht modern, sondern eine Kritik an der Moderne. Auch hier beschwören die Rhythmen einen Umbruch, der aus der Verzweiflung, Desillusion und einer tiefen Sehnsucht heraus geboren zu sein scheint.

Philipp Münch und Loss liefern den Soundtrack zum Rückbau der Moderne. Dekonstruktion und Destruktion sind hierbei ebenso Elemente wie nukleare Apokalypse und Endzeitatmosphäre. Über den Atlantik hinweg ausgetauscht und miteinander kurzgeschlossen reflektiert diese Stimmung nicht nur gegenwärtige – meist ökonomisch codierte – Angstszenarien von ruinierten Städten, sondern ist ein Rauschen von Diskursen, die bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreichen und einen großen Teil unseres kulturellen Symbolreservoirs ausmachen. Es lohnt sich zuzuhören.

Patrick Kilian