Christoph Ernst / Petra Gropp / Karl Anton Sprengard (Hrsg.)

Perspektiven interdisziplinärer Medienphilosophie

Transcript Verlag 2003

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„Perspektiven interdisziplinärer Medienphilosophie“ versprechen die Herausgeber des gleichnamigen Bandes, der in der Reihe „Kultur- und Medientheorie“ im transcript-Verlag (Bielefeld) erschienen ist. Die Literaturwissenschaftler und Philosophen Christoph Ernst, Petra Gropp und Karl Anton Sprengard öffnen den Blick auf die „methodische wie inhaltliche Umorientierung der Geisteswissenschaften zu Medien- und Kulturwissenschaften“, wobei v.a. der bisher weitgehend ungeklärte Begriff der „Medienphilosophie“, wie er seit Mitte der 90er Jahre umhergeistert, problematisiert wird. Dabei steht nicht die Debatte im Vordergrund, ob es „Medienphilosophie“ überhaupt gibt, sondern „was Medienphilosophie ist, ob sich also eine spezifisch philosophische Perspektive auf die Medien hin etablieren lässt.“

Der formale Ansatz der Herausgeber und Autoren, dieses „Was“ zu fassen bzw. zu umreißen, ist sowohl überzeugend wie erhellend für den Leser: anstatt zu versuchen, das Thema monologisch in den Griff zu bekommen, trägt der Band in seiner Struktur der bereits in der kulturwissenschaftlichen Praxis etablierten „interdisziplinären Vernetzung des Gegenstandes“ Rechnung und präsentiert sich als fruchtbarer Dialog zwischen Philosophie und den sich mittlerweile immer verstärkt kulturwissenschaftlich verstehenden Disziplinen der Literatur-, Film-, Theater- und Buchwissenschaft. So entsteht ein „Panorama der Praxis“, das nicht auf ein einheitliches Konzept einer Medienphilosophie hinzielt, trotzdem gerade durch die gewinnbringende Offenheit und Heterogenität der Perspektiven eben jene Vernetzung im Denken über die Medien und die Medialität selbst zur Darstellung bringt.

So gliedert sich der Band in 5 Hauptabteilungen, beginnend mit „Philosophie“, gefolgt von Literatur-, Film-, Theater-, und schließlich der „Buchwissenschaft und New Media Studies“. Durch diese in sich präsentierten Teile hat der Leser die Möglichkeit, die Disziplinen transkursiv durchzugehen, ohne jedoch die Orientierung in Einzelansätzen zu verlieren, denn jeder Teil ist durch eine eigene überblickende und zusammenfassenden Einleitung vor der sonst sich schnell einstellenden Pluralität der Themen bewahrt. So kann der Leser in seinem Durchgang durch die medienphilosophischen Betrachtungen einen zeitlichen wie diskursiven Bogen schlagen vom Parmenides-Schüler und „Performancekünstler“ Gorgias (ca. 484-376 v. Chr.,) (Josef Rauschers Einleitung) bis zur „Internet Performance als site-specific art“ (Julia Glesner). Einzelanalysen und Überblicksangebote wechseln sich ab und bieten dem Leser eine reichhaltige Informationsquelle, deren Vielfältigkeit hier nur angedeutet werden kann. Man merkt diesem Band an, dass er Produkt von tatsächlichen interdisziplinären Dialogen ist, die an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in den Jahren 2002-2003 geführt worden sind.

Im Teil Philosophie beschäftigt sich Josef Rauscher mit der Klärung der Begriffe „Medialität und Medien“, wobei einerseits der „Mensch als das konstitutionell medialisierende und in seiner Bestimmung durch die Medien, mediatisierte Wesen“ im Zentrum der Medialitäts-Diskurse steht, und andererseits die „Konstitution von Welt“. Die von Rauscher vorgeschlagene „Theorie der Neuen Medien“ besteht in der Reflexion der Medialität im „phänomenologischen Blick auf die einzelnen Neuen Medien“, womit sein Beitrag direkt als Überleitung gelten kann für die Beiträge der Einzeldisziplinen, denn der mehr oder weniger deutlichere Rückbezug auf eine phänomenologische Zugangsweise ist allen Teilen gemeinsam. Vorher bietet Christoph Ernst noch eine medienphilosophische Lesart des Dekonstruktivismus und Andreas Hütig zeigt das „Verschwinden des Menschen“ als „medienethisches Problem“.

Der Teil „Literaturwissenschaft“ knüpft direkt an die von Rauscher attestierte Thematik der „Operationen medialer Welterzeugung“ an. Die Germanistin Petra Gropp erweitet diese Perspektive fachspezifisch um die „performative und pragmatische Dimension des Schreibens“, die sie in ihrem Beitrag zu „Perspektiven einer Ästhetik der Schrift“ in Anlehnung an Roland Barthes „écriture“-Begriff entwickelt. In diesem Kontext medial-ästhetischer Praxis der Schrift ist auch Christian Schärfs Untersuchung zu „Nietzsches Schreiben“ zu sehen, die Nietzsche als „einen an das Schreiben körperlich Ausgelieferten“ interpretierbar macht.

Als Einleitung in den Teil „Filmwissenschaft“ (von Bernd Kiefer und Marcus Stiglegger) erhält der Leser einen wichtigen wie absolut brauchbaren Überblick über die Geschichte der Filmtheorie, ihre wichtigsten Vertreter und Positionen – von Münsterberg, Benjamin, Kracauer und Arnheim bis zu Mulvey, Mitry, Metz, Bordwell und Deleuze. Kiefer vertieft diesen Einblick noch in seinem Beitrag „Film und politischer Modernismus“, wo er die Entwicklung von der neomarxistischen Medientheorie der Frankfurter Schule zum postmodernen Spätmarxismus Frederic Jamesons ausführlich darstellt und die internen theoretischen Divergenzen von Adorno, Benjamin und Kracauer transparent macht.

Marcus Stiglegger begibt sich dann auf eine „filmarchäologische Suche“ nach Strategien und Ritualen, die das Medium Film ausgebildet hat, um beim Rezipienten emotionale Reaktionen provozieren zu können. Stiglegger sieht im Film als Surrogat und Simulation „seduktive Strategien“ verankert: das Publikum soll verführt werden von und zur filmischen Vision. Solche filmische Verführungsstrategien macht Stiglegger an zwei sehr unterschiedlichen Filmen fest, die selbst „Verführung“ in doppelter Hinsicht als filmisches Thema inszenieren: Alain Resnais paradigmatisches Projekt über die filmische Form selbst, Letztes Jahr in Marienbad (1960), und Akira Kurosawas Klassiker über narrative Ver-führungen Rashomon – Das Lustwäldchen (1950). Beide Filme sind Beispiele für die doppelte Verführung: der diegetischen auf der Leinwand und der des Zuschauers „sein Verhältnis zur Realität zu überprüfen“. Verführung wird damit praktikabel gemacht als operativer Begriff sowohl in Bezug auf die Binnenebene der Filme als auch auf die Rezeptionsebene.

Die Aufsätze zur Theaterwissenschaft beschäftigen sich weitgehend geschlossen mit dem Phänomen der Wahrnehmung im Theater, sowohl von der phänomenologischen als auch von der semiotischen Seite her. Zwei Problemkreise stehen damit im Mittelpunkt: „die beiden Entitäten Korporalität und Visualität in ihrer wechselseitigen Beziehungsvielfalt“ (so die Einleitung von Christopher Balme). Medientheorie wird damit zur Wahrnehmungstheorie, und das Theater repräsentiert in seinen intermedialen Möglichkeit (alle anderen Medien „zur Aufführung“ zu bringen, wie Balme es pointiert umschreibt) einen multidimensionalen Seh-Raum.

So geht es einerseits um „Medienphilosophische Grundlagen intermedialer Theaterpraxis und Theoriebildung“ (Petra Maria Meyer), um das im Sehraum Bühne inszeniert Bild „Ab der Schwelle zum Sichtbaren“ (Alexander Jackob und Kati Röttger) sowie um „Fremde Körper“, wo Meike Wagner vom besonderen performativen Akt des Figurentheaters ausgehend „Das mediale Blickgeschehen im Theater“ untersucht. Dass sich ein Analogon zum Theaterraum selbst in der virtuellen Dimension der vielfältigen Übertragungstechnologien des Internets manifestieren kann, sowohl in der aktiven Textherstellung als Aufführungsereignis („chat-room“) als auch via Videokonferenztechnologie, eröffnen für Julia Glessner („Internet Performances als site-specific art“) neue Fragestellungen in Bezug auf die Körperlichkeit der Darsteller und ihrer theatralen Präsenz im (virtuellen) Raum.

Schließlich ist es die letzte Disziplin des Bandes, die uns zurückführt zum Ausgangspunkt: zum im digitalen Zeitalter immer wieder totgesagte Medium Buch, dem – vormals als „blinder Fleck der Mediendebatten“ weitgehend ausgespart – eine wichtige Bedeutung zukommt in der Bewertung der sog. „Neuen Medien“. „Medienphilosophie in buchwissenschaftlicher Sicht“ (Ernst Fischer) wird notwendig in der Diskussion um das Verständnis von den „Neuen Medien“ und ihren jeweilige spezifische Sinnvermittlungen. So endet dieser Reigen durch die vielfältigen medienphilosophisch-phänomenologischen Ansätze in einer Reflexion um „Wirklichkeit und Neue Medien“ von Christian Rabanus, der zwar noch von den „verstaubten Geisteswissenschaft“ spricht, deren vermeintliche „Verstaubtheit“ aber von und durch diesen Band eindrucksvoll und auf höchstem Niveau widerlegt wird.

Martin Lindwedel