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"Nichts bereuen!": 2 X Wiener Aktionismus
Ilsa Gold
Regretten? Rien!
(Mego 2003) DCD 22 Tracks
Der Blutharsch
Time is thee enemy!
(WKN / Tesco 2003) CD enhanced, LP mit Poster
Die satirische oder ironische Koketterie mit der Naziästhetik
hat in Österreich Traditionen - selbstredend, nachdem mit Jörg
Haider ein waschechter Ultra-Reaktionäre ins Parlament eingezogen
war. Frakturschrift, dekadente Sexualität ("After Aua"),
Uniformen, Namensvariationen ("dj küss.el, dj a.dolphin")
und eine Rock'n'Roll-Geste, die sich gewaschen hat, findet man quer durch
die Szenen. Nun liegen mit Ilsa Golds "Regretten?
Rien!" (in Anlehnung an die französische 'Collaborateuse' Edith
Piaf) und der neuen CD des berüchtigten Blutharsch
zwei Tonträger vor, die auf den ersten Blick nicht das Geringste
gemeinsam haben. Ilsa Gold als Lieblingsbuben
der österreichischen Rave-Szene mit Blödelhouse und -techno
("Silke", "Sonnenpenis") und die Militarpopper
Der Blutharsch mit einer eingängigen Weiterentwicklung ihrer
gruftigen Marsch- und Feierhymnen...
Was meint eigentlich Peter Cornelius zu Ilsa
Gold? "I' mog Unfug, un' vor all'm Bu'am-Unfug!" Und
genau das findet sich auf den beiden pompöse aufgemachten Best-Of-CDs
von Ilsa Gold im goldenen DVD-Digipak: gewollt
obszöne und pubertäre Verbalakrobatik, dazwischen Radiointerviews
aus dem legendären fm4 (Gruß an Christian Fuchs!), Beleidigungen
und betroffene Wortlosigkeit - natürlich nur für Momente. Und
bevor es langweilig wird: Ein neuer Rave-Kracher, "vienna hartcore"
eben. Dabei sieht die frakturbeschriftete Edelbox aus wie eine Collector's
Edition der berüchtigten ILSA-Filme. Und bereut wird nichts: Im Booklet
böse Verweise auf die Infantilisierung der Raveszene ("Gabbagabba")
und den politischen Rechtsruck Österreichs. Am Ende ein First-Love-Report
der beiden DJ-Buben... Wiener Aktionismus mal anders. Schlüssel zum
Werk sei ohnehin der erste Kuss mit Silke im Kino bei LA BOUM - eine Melodie,
die allen ca. 30ern noch im Ohr sein dürfte...
After Aua (Booklet Ilsa Gold)
Auf Track 7 hören wir bei Ilsa
Gold eine dekonstruierte Version des Schlagers "Flieger (grüß
mir die Sonne)", und dann fällt einem ein: Gab es da nicht auch
eine non-PC-Version? Genau: Albin von Der Blutharsch
hatte sie vor Jahren mit den mindestens genauso berüchtigten Death
in June als "Flieger (Shooting from behind into the Black
Sun") remade... Wobei die Black Sun eher an "After aua"
als an 'alte Zeiten' erinnerte (man erinnere sich daran, das DIJ eingestandenermaßen
eine schwule Band ist). "Piloten ist" eben "nichts verboten".
A propos alte Zeiten: Der BH Albin erinnert sich natürlich lieber
an sein erstes Laibach-Konzert als an LA
BOUM, aber mit der aktuellen Platte ist das Konzept endlich geoutet: Es
war immer Rock'n'Roll! Alles verwursten, bis es passt, lustig marschieren,
lustig maskieren, lustig besaufen und viel Spaß haben - z.B. bei
dem Videodreh zu "In the Hand of the Master..." - ach ja, Titel
gibt es eigentlich wieder nicht. Das macht sich natürlich schlecht
im Musik-TV, wenn jedes Video nur den Bandnamen trägt: aber keine
Angst, so richtig TV-kompatibel ist das Werk (CD-enhanced!) ja doch nicht.
Wer sich bereits über Ralf Möllers Auftritt mit E
Nomine im Video zu "Schwarze Sonne" ("After-aua"?)
erregt hat, könnte natürlich auch hier unruhig werden: quasi
historisch kostümierte Bu'am und Maderln, die sich so richtig dekadent
den Kuchen in die Fresse schieben. Wieder wird klar: Der echte Military-Popper
will eigentlich nur seinen Bierkrug (mit Eisernem Kreuz drauf versteht
sich) leeren und dann von einer fiesen Ilsa (schon wieder) den Arsch verdroschen
bekommen... (Auf Viva-TV soll das Video dann doch schon zu später
Stunde gesichtet worden sein.)
Und hatte nicht Der Blutharsch
mal einen Live-Auftritt auf der Loveparade in Berlin? - Dem rückwärtsgewandten
Reaktionär wird hier zumindest die kalte Schulter geboten: "Time
is thee enemy - for we are the future and the past should beware."
Zugleich trägt die Platte die Kennzeichnung "451", eine
Zahl, die aus Ray Bradburys Roman "Fahrenheit 451" abgeleitet
wurde und jene Temparatur bezeichnet, bei der Papier (also auch Bücher)
zu brennen beginnen. Diese Zahl kann als deutliche Absage an jene Stimmen
der letzten Jahre gewertet werden, die ihnen unliebsame Kulturgüter
(bzw. Tonträger) am Liebesten verbrennen würden... Auch die
verwendete Fraktur-Schrift, die so oft der Nazi-Ästhetik zugeordnet
wird, war im Dritten Reich tatsächlich verboten.
Bleibt die äußerst unterhaltsame und abwechslungsreiche
Musik: rhythmisch gesampelte Neoklassik, mittelalterliche Akzente, euphorische
Gothic-Marschmusik und Militarypop mit geflüstertem und proklamiertem
Männer- und Frauengesang in mehreren Sprachen (gelegentlich etwas
schräg), Gastauftritte befreundeter Musiker. Vieles bleibt beim Alten,
auch wenn die Stücke hier nicht durchweg zu einem klaren Konzept
zusammenfließen. Aber wer wird denn schon immer ein Konzeptalbum
verlangen?! Der beharrliche Verzicht auf nachlesbare Texte und Songtitel
bewahrt den diffusen Charakter, der mit enormem Bombast allenfalls ein
unheimliches Raunen produziert und gegen Ende deutlich destruktive Züge
trägt, die eine martialische Klangwelt in ein atonales Inferno münden
lassen. Das sehr ernsthafte - von Marco Deplano vorgetragene - letzte
Stück holt den geneigten Hörer aus der militaristisch-fetischistischen
Traumwelt unsanft in die Realität zurück...
Stellt sich die Frage, ob es sich bei BH um 'faschistische'
Musik handelt... Bedenkt man die Mischung aus mittelalterlicher Melodik,
monotonen Loops, atonalen Industrialpassagen, Samples, mehrsprachigen
Texten usw. entsteht daraus eher das Bild einer synkretistischen Subkultur-Formation,
die ihr geneigtes Minderheitenpublikum gut bedient, jedoch in keiner Weise
massenkompatibel ist (ungeachtet der poppigen Auflockerungen)- Ilsa Gold
dürften da erfolgreicher sein. Marschmusik-Elemente werden hier eher
musikalisch dekonstruiert, Soldatenlieder als Zerrbild präsentiert.
Bereits die früheren Veröffentlichung ließen sich so nahezu
als Abrechnung mit dumpf-folkloristischer oder - militaristischer Musik
rezipieren. Die Gesamtstimmung ist augenzwinkernd-apokalyptisch, nur manchmal
euphorisch. In der Tat findet man Elemente, die vom 'Leben als Kampf'
künden, doch wofür? Und in wessen Namen? Von nachvollziehbarer
Programmatik (die einige Kritiker hier immer wieder konstatieren) keine
Spur. Der BH löst sich letztlich in seinen selbstproduzierten Widersprüchen
auf. Und so passt er hervorragend in unsere Welt der Simulakren...
Also: zweimal Wiener Aktionismus, einmal im Raver-, einmal
im Marschierer-Outfit. Enjoy! Or leave it.
cd
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