Thomas Manegold

Ich war ein Grufti
Ein Pamphlet für Eltern und missratene Kinder

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Großformatiges Paperback mit 124 Seiten ISBN: 978-3-940767-05-9

"Ich war ein Grufti" - das klingt zunächst einmal nach Bekenntnisliteratur der dubiosen Sorte. "Ricarda S. - Satanspriesterin" kommt in Erinnerung. Schlimmste steretype Subkulturdiffamierung. Es sei vorweggenommen, dass Thomas Manegolds autobiografischer Essay diese Befürchtungen nicht bestätigt. Aber was hat es mit diesem Buch auf sich, das sich mit einem dubiosen Titel schmückt und bereits in dritter Auflage vorliegt?

"Grufti" war Ende der 1980er ein halb geringschätziger, halb akzeptierter Name für die schwarzromantische Subkultur, die heute als Schwarze Szene oder Gothic bekannt ist. Diese Subkultur kann als Kontinuität der Schwarzen Romantik des 19. Jahrhunderts gesehen werden (gothic fiction, Dandytum), bezieht ihre modische Form jedoch weitgehend aus der Post-Punk-Kultur der frühen 1980er Jahre. Im Gegensatz zum ursprünglich politisch motivierten Punk wird die Gothic-Kultur als eskapistisch, unpolitisch und letztlich als eine Form der ästhetischen Individualrevolte eingestuft.

Thomas Manegold hat recht, wenn er immer wieder betont, dass es sich bei der inzwischen in zahlreichen Splittergruppen präsenten Gothic-Subkultur um eine der beständigsten und einflussreichsten Subkulturen der Gegenwart handelt, die nie ganz vom Mainstream vereinnamt werden konnte. Selbst wenn Gothicmusik mitunter Charterfolge feiert (Nightwish, Rammstein, HIM), die eigentliche subkulturelle Form steht noch immer quer zum Mainstream.

Manegold (Jahrgang 1968) hat sich nach einer Heavy-Metall-Zeit in der ehemaligen DDR bald dem Gothic zugewandt, sich dort über die Jahre als DJ und Journalist etabliert. Er erzählt von der frühen Hochphase zu Beginn der 1990er Jahre, als sich das Danse Macabre-Label (Das Ich, Goethes Erben) und die Bayreuther Etage gerade etablierten. Er zitiert aus dem vielfachen musikalischen Stilen und Quellen, derer die Schwarze Szene sich bedient - vom Deprorock von Alice in Chains bis zum Neofolk von Current 93. Die extreme Differenziertheit der Szene wird deutlich, die sich bis heute fortgesetzt hat. Und ihr trägt der Autor in kollageartig eingefügten Zitaten mitten im Text Rechnung ("Das Sterben ist ästhetisch bunt"...).

Wie bei allen musikorientierten Kulturen spielt der DJ auch in der Gothicszene eine wesentliche Rolle. So ist Manegolds Innenperspektive durchaus nachvollziehbar. Dennoch bleibt seine Sicht des Ost->West-Goten natürlich beschränkt, woraus das Buch keinen Hehl macht: Die Subjektivität des Essays ist garantiert.

Interessant sind vor allem jene Ansätze, in denen der Autor auf die weltanschaulichen Aspekte der Gothicszene eingeht: Ihre Ästhetisierung des Bösen und Destruktiven, heidnische und totalitäre Bildwelten, die Idee einer alternativen Weltsicht. In mehreren Kapitel kommt er auf ein patheistisch anmutendes Urheidentum zu sprechen, das er den organisierten Religionen entgegenstellt. Er erläutert die 'Verteufelung' positiver Elemente durch die Christen (Lucifer, Ketzer=Katharer, der gehörnte Gott), ohne dabei wesentlich in die Tiefe zu gehen. Als Impuls mag das gedacht sein, doch spätestens hier fragt sich: An wen richtet sich das Buch?

"Ein Pamphlet für Eltern und missratene Kinder" heißt es im Untertitel. Tatsächlich ist es ein Pamphlet GEGEN die Elterngeneration, aber auch eine verbitterte Abrechnung mit der jungen Generation der Gegenwart, die es an Tiefe mangeln lasse und hemmungslos dem Konsum fröne. War das früher wirklich anders? Zweifellos, die Gothic-Szene hatte vor über zehn Jahren noch mehr Philosophie, doch Thomas Manegolds knapp 80-seitiger Essay tut leider nicht allzu viel, um dem konstatierten 'Verfall' entgegen zu arbeiten.

Was bleibt, ist ein sympathisches und für einen über 40-jährigen erstaunlich trotziges Traktat, das für radikale Individualität eintritt, das eine - dieser Begriff fällt allerdings nie - Individualrevolte fordert. An seine philosophischen Vorgänger, etws Denis de Rougemonts "Der Anteil des Teufels" ("Sind Gut und Böse nur Stadien des Guten wie Tod und Leben nur Stadien des Lebens sind? Sind die Menschen heute nur deshalb gottlos, weil sie nicht mehr an den Teufel glauben?"), reicht Manegold intellektuell nie heran. Er belässt es beim Einklagen, ohne das Bild fertig zu malen. Das mag dem außenstehenden Betrachter einige Augen öffnen (Eltern? missratene Kinder?), das mag sich affirmativ zur Subkultur verhalten, doch ein alternatives Weltbild findet sich hier nicht. Nun gut, das wurde auch nicht behauptet - brauchbarer wäre es dennoch.

Im Anhang des schmalen Bändchens finden sich kulturpessimistische Gedichte und das eigenartige Tagebuch eines misanthropen 'Amokläufers'. In allen Teilen des Buches muss man sich an die schräge Ironie gewöhnen, mit denen der Autor seine Bitterkeit und seinen Zynismus umkleidet. Das ist alles nicht uninteressant. Aber auch noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten.

Maria Nicoli