Neue Filmliteratur Juli 2004

Bernd Kiefer / Marcus Stiglegger (Hrsg.)

Pop & Kino
Von Elvis zu Eminem

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Bender Verlag 2004, 285 Seiten, sw Fotos

Bernd Kiefer und Marcus Stiglegger haben bereits zusammen hervorragende Bücher über das Western-Gernre (Reclam) sowie über Abel Ferrara (Schüren Verlag) veröffentlicht. Für den vorliegenden Band haben sie einige namhafte und einige aufstrebende FilmwissenschaftlerInnen versammelt, um die Wechselwirkung zwischen Popkultur und Film seit den 1950er Jahren (Elvis) bis in die unmittelbare Gegenwart (Eminem) zu verfolgen. Dabei kommen nicht nur die hinreichend bekannten Phänomene zu Sprache - Woodstock, Bob Dylan, die Beatles, die Doors, David Bowie, Rock-Musicals, Hiphop etc. -, sondern auch ausgesprochene Undergroundphänomene wie Punk, der New Yorker Underground (Lydia Lunch), Gothic (The Crow, Batman, Marilyn Manson).

Die Herausgeber vertrauten dabei auf die unterschiedlichen Generationenerfahrungen ihrer AutorInnen, die teilweise noch die Sechziger selbst miterlebten bzw. sich in anderen Fällen noch heute aktiv in der Popkultur bewegen. Den Texten merkt man die Freude am Sujet an, selbst wenn Autoren wie Jan Distelmeyer und Manfred Riepe durchaus analytische Töne anschlagen. Der sorgfältig layoutete und sehr gut lesbare Band schließt eine Lücke in gegenwärtigen Film- und Popkulturforschung und lädt immer wieder zum blättern und entdecken ein.

Alexander Dvorak

 

Fabienne Liptay

Wunder Welten
Märchen im Film

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Gardez Verlag 2004, 496 Seiten, sw Fotos

In ihrer formal fast schon pompös gestalteten Doktorarbeit widmet sich die Mainzer Filmwissenschaftlerin Fabienne Liptay einem Thema, das auf den ersten Blick aktueller nicht sein könnte: dem Märchen im Film. Wessen Erwartungshaltung nun in Richtung Tolkien und Harry Potter schielt, wird jedoch enttäuscht - die Autorin bezieht sich in ihrer umfangreichen Untersuchung nicht auf populäre Mythologien, sondern bereitet zunächst einmal die klassische Märchentheorie und -motivik auf. Analog zu Blumenbergs "Arbeit am Mythos" untersucht sie in ihrer "Arbeit am Märchen" den komplexen Wandlungsprozess, den die klassischen Märchenmotive im Medienwechsel von Orallitaratur bis hin zum Kinofilm durchlaufen haben. Als Leitlinien dienen ihr dabei "Held und Heldin", die "Tierbräutigamme" (ausführliche Referenz natürlich DIE SCHÖNE UND DAS BIEST, aber auch der sexualpsychologische Film DIE ZEIT DER WÖLFE) und der Komplex "Tod und Unsterblichkeit". Am Ende kommt sie zu dem Schluss, dass sich das Märchen keinesfalls überholt hat: Nicht nur Kinder brauchen Märchen.

Für die oft unausgeglichene Qualität, mit der der wissenschaftliche Gardez-Verlag seine Bände präsentiert, ist dieses gebundene und fadengeheftete Buch ungewöhnlich gelungen. Der Mittelteil präsentiert in guter Reproduktion teils seltenes Fotomaterial, das treffend die Untersuchungen illustriert. Mit 70 Seiten ist der Anmerkungenteil vielleicht etwas massiv, verweist aber auch auf den Forschergestus dieser Arbeit. Immerhin findet sich im Anhang eine Filmografie aller behandelter Filme (36 Seiten!). An einem größeren Leserpublikum wird das leider vorbeigehen, da es erstens sehr kostspielig ist und zweitens zwar Bezug auf aktuelle Tendenzen (DER HERR DER RINGE etc.) nimmt, seinen Hauptteil jedoch an längst etablierten und aufgearbeiteten Klassikern (Cocteau, DER DIEB VON BAGDAD) bestreitet - wie es Titel und Coverfoto auch nicht verleugnen. In jedem Fall ein vielversprechender Start für eine junge Filmwissenschaftlerin, die auch in dem oben rezensierten "Pop & Kino" vertreten ist.

Alexander Dvorak

 

Sandra Schuppach

Tom Tykwer

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Bender Verlag 2004, 254 Seiten, sw Fotos

"LOLA RENNT ist ja zum Beispiel nicht so märchenhaft..." (Tom Tykwer)

Im Jahr 2000 empfahl sich die Frankfurterin Sandra Schuppach mit einem Text in über den damals trendsetzenden Filmemacher Tom Tykwer (LOLA RENNT) in Marcus Stigleggers Kompendium "Splitter im Gewebe" (auch Bender Verlag). Auf ihrer knappen Motivgeschichtlichen Untersuchung entwickelte sie über mehrere Jahre und in engem Kontakt zu Tykwer selbst ein Buch, das seine Arbeitsweise beleuchtet, seine Liebeslingsthemen aufschlüsselt und - ergänzt um hervorragend reproduzierte Fotos - auf alle Filme analytisch eingeht. Der Aufbau ist dabei recht pragmatisch: biografischer Abriss, Filmbeschreibungen, Leitmotive (Liebe, Träume, Räume, Märchen, Formalia) und am Ende zwei längere Interviews. Wer sich also eingehend über Tykwers Werk informieren will, wird dieses Buch zu schätzen wissen!

Andererseits... kann man Tykwer zwar nicht den Verrat seines exzentrischen Autorenstatus' vorwerfen, doch den Erfolg von LOLA RENNT konnte er bis heute nicht wiederholen. Zu kyptisch blieben die kuriosen Charaktere seine späteren Filme DER KRIEGER UND DIE KAISERIN und HEAVEN, zu sehr hatten sich die manirierten Stilismen verselbstständigt. Wohlgemerkt: Tykwer wäre nicht der erste Filmauteur, dessen bizarre Visionen nur einmal die Erwartungen eines großen Publikums streifen. Und im Grunde belegt auch Schuppachs Untersuchung, dass LOLA eher aus dem Werk herausfällt - angesichts jener lastenden Melancholie, die Tykwers Kino von WINTERSCHLÄFER bis HEAVEN prägt. Letztlich ist es auch nicht die Schuld der Autorin, dass dieses Buch nun vermutlich einige Jahre zu spät kommt, wenn der Name Tom Tykwer längst hinter seinen Kollegen Wolfgang Becker (GOODBYE LENIN) und vor allem Fatih Akin (GEGEN DIE WAND) zurücksteht...

Ein anderes Problem des Buches ist, dass die Autorin ihren früheren Ausführungen in "Splitter" nicht allzuviel hinzuzufügen hat. Sie ergeht sich zwar in sehr ausführlichen Beschreibungen, hält die gewonnenen Erkenntnis leider dagegen etwas knapp. Ein kritische Perspektive bleibt ebenfalls im Hintergrund - wobei Tykwers Bezüge zu Godard, Lynch und Hitchcock tatsächlich eine aufschlussreiche Untersuchung ergeben hätten. So ähnelt das vorliegende Buch etwas jenen angelsächsischen Regiemonografien, die gerne den singulären Status ihrer Sujets um jeden Preis beschreien, um eine eigene Forschungsposition zu markieren. Im schlimmsten Fall tritt man dabei auf der Stelle.

Aber es gilt nicht zu klagen: Der Bender-Verlag hat das Wagnis unternommen, einen zweifellos einzigartigen deutschen Filmemacher zu würdigen, und so sei das Buch jedem Fan und Interessierten ans Herz gelegt. PS: Inzwischen hat das Buch ein neues, leicht variiertes Coverdesign gegenüber der Abb. oben.

Christoph Donarski

 

Thomas Klein

Ernst und Spiel
Grenzgänge zwischen Bühne und Leben im Film

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Bender Verlag 2004, 267 Seiten, sw Fotos

Ebenfalls im Bender Verlag erscheint die Doktorarbeit des Film- und Theaterwissenschaftlers Thomas Klein, der sich in "Ernst und Spiel" mit "Grenzgängen zwischen Bühne und Leben in Film" auseinandersetzt. Er analysiert mit Hilfe von Erving Goffmans "Rahmenanalyse" jene Filme, die entweder im Theatermilieu spielen bzw. deren Geschehen in engem Zusammenhang mit Bühneninszenierung steht. Das sind namentlich: DER BLAUE ENGEL, DIE GOLDENE KAROSSE, DIE REISE DES CAPTAN FRACASSA, DIE SPIELEREGEL, SEIN ODER NICHT SEIN, DIE LETZTE METRO, MEPHISTO, DIE LETZTE VORSTELLUNG, UNDERGROUND und - daher das Titelbild - DAS WUNDER VON MACON.

Klein differenziert hier zwischen Darstellungen des Bühnenmilieus einerseits und trügerischen Inszenierungen von Realität - Realität als Schein und Spiel quasi. In seinen nah an den einzelnen Filmbeispielen durchgeführten Analysen geht er immer wieder auf verwandte theoretische Konzepte ein und ermöglich so einen umfassenden Einblick in einen medienübergreifenden kulturphilosophischen Ansatz, wie er in der Filmwissenschaft der Universität Mainz verbreitet ist. Neben Goffmans Vergleich von Bühnendrama und sozialem Drama kommt so die Sprache auf das Wandertheater, das barocke Welttheater, das Fest, Film und Theater als Spielsituation, totalitäres politisches Theater, Ritual und Existenz sowie das Körperkonzept nach Michel Foucault. Es gilt also, eine Menge zu entdecken und nachzuvollziehen.

Die gezielt eingebrachten Illustrationen sind jeweils auf eigenen Fotoseiten zusammengestellt und dokumentieren meist Montagefolgen analysierter Sequenzen, was sehr brauchbar ist.

Am weitesten geht die vorliegende Analyse am Beispiel von Peter Greenaways radikalem WUNDER VON MACON, in dem zwar der Rahmen zwischen Theater, Leben und Film mehrfach gebrochen wird, der sich aber zielsicher einem "Theater der Grausamkeit" annähere, wie es Antonin Artaud vertrat.

Einziges Manko des Buches ist die völlig Aussparung des Metafilms, also der selben Konzepte im Rahmen von Film-im-Film-Inszenierungen. Ein kleiner Abschnitt etwa über Abel Ferraras SNAKE EYES wäre hier durchaus produktiv gewesen und hätte die Übertragbarkeit von Klein Konzept belegt.

Wer sich mit den genannten Themen der Grenzgänge zwischen Theater und Film beschäftigt, wird um dieses Buch kaum herumkommen.

PS: Momentan arbeitet Thomas Klein an einem Genrelexikon zum Kriegsfilm (Reclam Verlag), das er mit Bodo Traber und Marcus Stiglegger herausbringen wird.

Christoph Donarski