Dietmar Dath

Die salzweißen Augen
Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit

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Suhrkamp 2005, 216 Seiten, ISBN 3-518-41707-X

Dietmar Dath, seines Zeichens Popjournalist und inzwischen auch Romanautor, schenkt uns mit Die salzweißen Augen einen essayistischen Briefroman, der von der letzten großen Intensität der Postmoderne erzählt: der Drastik – und von ihrer letzten Utopie: der bedingungslosen Liebe.

D. schreibt hier Briefe an eine frühere Schulkameradin, die er liebte, mit der er aber eigentlich keinen Kontakt mehr hat. Er will ihr von früher erzählen, sich selbst rückblickend eine Kontur geben – und zugleich von der Kultur seiner Zeit berichten. Den Schlüssel zu den Filmen, Bands und Büchern seines Lebens findet er in der 'Drastik’, jener Überdeutlichkeit, die im genauen, oft zeitlich gedehnten Blick auf Unangenehmes eine ganz eigene Intensität erzeugt, wie sie der Postmoderne eigentlich abhanden gekommen war – zu sehr hat das Uneigentliche, das Ironische, die Gefühlswelt relativiert. Erst in der Drastik finden wir auf die Erde und zum Körper zurück. D. – offenbar nicht / und gerade doch mit dem Autor D. identisch – findet diese Drastik in den surrealen Splatterfilmen von Lucio Fulci (ÜBER DEM JENSEITS), in den fast kindlich grausamen Gonzo-Pornos von Rocco Siffredi, dem satanistischen Metal von Cradle of Filth und den Romanen von Bret Easton Ellis. Es geht ihm nicht um die gepflegte Gewalt des Mainstreams, wie sie Quentin Tarantino und Stephen King etabliert haben – ihre ironischen Gesten und narrativen Ausflüchte gleichen eher einer Entschuldigung. Dath geht es um das vermeintlich 'Selbstzweckhafte’, das sich der rationalen Zuschreibung entzieht, das den destruktiven Akt selbst feiert: Drastik als selbstverweisende Transgression. Dabei steckt sein Buch voller Verweise und amüsanter Entdeckungen. So bietet er den grandiosesten Verriss, den die überschätzte MATRIX-Trilogie je erleben musste. Und einige großartige Argumente gegen die Zensur.

"Was ist Drastik? Der ästhetische Rest der Aufklärung nach ihrer politischen Niederlage." Am Ende jedoch steht jener letzte Hort des selbstverweisenden Authentischen: die Liebe, unzeitgemäß und gar nicht postmodern 'warm’.

Marcus Stiglegger