Manfred Riepe

Bildgeschwüre
Körper und Fremdkörper im Kino David Cronenbergs

Transcript Verlag, Bielefeld 2002, ISBN: 3-89942-104-3, 221 Seiten

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CRASH

Der kanadische Regisseur David Cronenberg hat bereits einigen Filmwissenschaftlern einer jüngeren Generation konstruktives Kopfzerbrechen bereitet. So ist Manfred Riepes Buch bereits die dritte deutschsprachige Publikation und ergänzt vorangehende englischsprachige Analysen und Interviewbände. Dabei glänzen Cronenbergs Filme ja geradezu durch die Klarheit ihrer bildgewordenen Metaphern und ihrem rein cinematografischen Zugang zu ihren Themen: Entfremdung vom Körper, Krankheit, Auflösung der Realitätsreferenzen, Alpträume, alternative Sexualität. Nicht selten kommen dabei Kammerspiele heraus, THE FLY (1986) etwa, die ihre bizarren Ideen auf hermetischem Areal entfalten. Lange Jahre war es der Körperhorror, der das Cronenberg-Universum bestimmte, bis ausgerechnet mit seiner ersten Literaturverfilmung, THE DEAD ZONE (1983) nach Stephen King, auch ein psychologischer Aspekt Einzug in das Oeuvre hielt. Das Gynäkologendrama DEAD RINGERS (1988) brachte beide Ebenen zusammen, CRASH (1996) ist wohl der konsequente Endpunkt der Körperthematik. Und gerade der Psychothriller THE SPIDER (2002) treibt die psychologische Thematik in seinem – auch stilistischen – Isolationismus auf die Spitze.

Manfred Riepe untersucht also die Filme noch einmal, diesmal jedoch mit klarem Programm: „Die hier unternommene Freud/Lacansche Lektüre der Cronenbergschen Bildwelten sucht nicht nach filmischen Illustrationen psychoanalytischer Thesen. Statt dessen wird der 'organische Horror‘ des Kanadiers als filmisches Pendant zur Struktur des (Alp)Traums lesbar.“ Man könnte jetzt sagen, dass Film immer nach den Gesetzen eines „Traumtheaters“ funktioniere, doch das soll das Potential dieses einleuchtenden Zugangs nicht schmälern.

Ein Zitat erscheint hier sehr faszinierend: „Krankheit drückt die Liebe einer anders gearteten Kreatur zum Menschen aus.“ Ein Satz aus SHIVERS (1975), der Cronenbergs radikales Programm auf den Punkt bringt. Die „Freud/Lacansche Lektüre“ wird also an einem Werk erprobt, das offensichtlich selbst von Freud, Lacan, Foucault und Baudrillard etc. geprägt ist. Und die Klarheit der Modelle macht Cronenbergs eigene Perspektive – in einem konstruktiven Sinne – offensichtlich. Frappierend ist dabei die inhärente, fatale Logik dieser Modelle. Nun verfasst Riepe mit seiner bewusst reduzierten Perspektive gelegentlich Tautologien, die das Offenbare mit sich selbst erklären und mit ritueller Gelassenheit immer wieder auf die bildgewordene Metapher als stilistisches Prinzip verweisen (als Beispiel mögen die Ausführen zu THE BROOD (1978) auf S. 45-51 dienen). Über weite Teile funktioniert die Lesart gleichwohl sehr gut. So ist dieses Buch natürlich jedem Cronenberg-Fans an Herz gelegt, denn einige neue Impulse finden sich sicherlich, wenn auch die Filmbetrachtungen fast nie auf einer filmwissenschaftlichen Basis argumentieren. Analysiert werden ausschließlich Inhalt, Figurenkonzepte, Charakterpsycholgie, Metaphern. Das „Was“ ist Riepe wichtiger als das filmische „Wie“. Das ist von daher etwas problematisch, da es ja um die „Bildwerdung“ von Metaphern geht. Ein Ausnahme sind die Ausführungen zum Erzählen in der 'ersten Person‘ in VIDEODROME (1983), dem u.a. LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1960) von Alain Resnais an die Seite gestellt wird (S. 100ff.). Eine restlos überzeugende Hinführung für die zahlreichen Cronenberg-Gegner findet sich hier leider nicht. Aber einigen wir uns auf ein 'lobenswertes Unternehmen‘...

Marcus Stiglegger