Leo Bersani & Ulysse Dutoit

Forms of Being
Cinema, Aesthetics, Subjectivity

bfi Publishing, London 2004, Harcover oder Softcover, 185 Seiten, zahlreiche farb- und SW-Abb., ISBN (Softcover) 1-84457-016-9

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Gerade in der deutschsprachigen Filmliteratur gibt es eine Scheu, sich den tatsächlich genuinen Qualitäten des Mediums Film analytisch zuzuwenden. Noch immer erzeugt die filmische Projektion offenbar ein Misstrauen, dass zu einer konsequenten Reduktion auf die 'literarischen' Aspekte des Films führt: Dramaturgie, Inhalte, allenfalls Schauspielkunst. Seltener finden wir Darstellungen von Kamera- oder gar Ton-Gestaltung. Das filmische Bild ist flüchtig, muss also erst mühsam im Text fixiert werden, um dann als Stillleben zur Verfügung zu stehen. Und doch bleibt ein schwer definierbarer Rest, der sich dem Filmbetrachter zu entziehen scheint. Diesen Rest zu thematisieren, bleibt die eigentliche Herausforderung der Filmliteratur.

Jean Baudrillard hat im Rahmen seiner Seduktions-Theorie davon gesprochen, dass sich das verführerische Objekt der Begierde im letzten Moment entziehen muss. Die Erfüllung des Begehrens in einer letzten Instanz wird somit verweigert. Das Begehren selbst bleibt als latente Energie erhalten und konzentriert sich auf eine Wiederholung... Das Medium Film als flüchtige Projektion, als Lichtspiel auf der Leinwand, ist prädestiniert als ein solches Medium der Seduktion ("Verführung"), das mit dem Begehren des Betrachters spielt, sich dem Zugriff immer wieder entzieht und somit neue Rezeption bedingt. Film als sich entziehendes Phänomen, das 'zwischen' den Bild zugleich mehr ausdrückt, als sich durch eine Zusammenfasung der äußeren Handlung vermitteln lässt, entpuppt sich als ein philosophisches Problem. Film erscheint als eine phantomhafte 'Form des Seins' ("Form of being"). Lange waren Gilles Deleuzes "Kino"-Bücher der einzige groß angelegte Versuch, eine derart orientierte "Filmphilosophie" zu verfassen. Erst in den letzten Jahren machen sich Film- und Kulturwissenschaftler auf, an dieses offene System anzuknüpfen.

Leo Bersani und Ulysse Dutoit, die bereits ein bekanntes Werk über Derek Jarmans CARAVAGGIO verfasst haben, widmen sich in dem nun bei BFI erschienenen Band "Forms of Being. Cinema, Aesthetics, Subjectivity" jenem nur philosophisch auslotbaren 'Rest' des filmischen Werkes. Sie nehmen das Medium ernst als eine eigenständige Vermittlung von "Forms of Being", wobei ihnen das dreifache Spannungsfeld Kino - Ästhetik - Subjektivität als Arbeitsfläche dient. Ihrer fast 'rituellen' - sehr literarisch-essayistischen - Textstruktur folgend sehen sie sich zu diesem Zweck drei Film genau an: Jean-Luc Godards LE MÉPRIS (Die Verachtung, 1963), Pedro Almodóvars TODO SOBRE MI MADRE (Alles über meine Mutter, 1999) und Terrence Malicks THIN RED LINE (Der schmale Grat, 1998). In allen drei Werken untersuchen sie gerade jene Aspekte, die sich einer genauen Beschreibung zu entziehen scheinen, die 'jenseits' des Bildes stattfinden und doch der Schlüssel zum Verständnis dieser Filme sind.

Dieses 'Außergewöhnliche' in LE MÈPRIS liegt bereits im Titel selbst: "Die Verachtung" keimt langsam im Herzen der Beziehung zwischen Brigitte Bardot und Michel Piccoli und zerfrisst sie von innen heraus. Godard wählt als mythischen Spiegel dieser sterbend Liebe die Heimkehr des Odysseus, die von Fritz Lang in diesem Film inszeniert wird (eine metareflexive Konstruktion also). Nun weisen die Autoren nach, dass sich Godard hier gerade nicht der Mittel des psychologischen 'Kammerspiels' bedient, um die Tragik der vergehenden Liebe zu vermitteln, sondern er schafft Projektionsflächen, Bilder einer naturgegebenen Leere: vor allem vom Meer. Wenn wir am Ende eigentlich Odysseus' subjektiven Blick auf das wiedergefundene Ithaka nachvollziehen sollen, sehen wir nichts als karges blaues Meer. Die Wahrheit liegt jenseits dieses Bildes...

TODO SOBRE geht einen anderen Weg: Almodóvar konstruiert ein Geflecht von Täuschungen, die mehr und mehr in die Auflösung verlässlicher Geschlechtlichkeit münden. Entgegen dem Titel geht es hier um eine Suche nach dem Vater, und entgegen der Erwartung ist dieser Vater bereits auf dem Weg, sich in eine Frau umwandeln zu lassen. Doch diese Transformationen bleiben nicht eindeutig, sie werden immer wieder in Frage gestellt und aufgelöst. Almodóvar findet hierfür auch Bilder der Verflüssigung, der Auflösung. Und zugleich wahrt er zu seinen Charakteren einen respektvollen Abstand, "as if his characters were about to speak of things that he, Almodóvar, hat not yet been able to imagine." (S. 122).

Neben die Dekonstruktion der romantischen Verflechtung und die Auflösung der gender-Grenzen stellen die Autoren ein drittes Kapitel: Anhand des philosophischen Kriegsfilms THIN RED LINE zeigen sie, wie ein Film mittels Ton-Bild-Scheren den eigenen Diskurs transzendieren kann. Während auf der Tonspur über die Natur des Bösen reflektiert wird, sehen wird Bilder (Tableaus fast) einer unabhängig von menschlichem Geist existierenden Natur. Diese Natur löst Hierarchien und Begehren auf und existiert einfach 'für sich' - als existenzielles "Nichts". Rüdiger Safranski wies einmal darauf hin, dass Kurtz in Joseph Conrads Novelle "Herz der Finsternis" genau diese Entdeckung im Dschungel gemacht haben könnte, die ihm am Ende die Worte "das Grauen!" abnötigt: Die Erkenntnis der absoluten Sinnfreiheit der Existenz. Die Autoren Bersani und Dutoit sehen in den zahlreichen Nahaufnahmen menschlicher Gesichter, die der Film mit dem Blick auf die Natur kombiniert, eine Auflösung der Bezüge zwischen dem Menschen und Welt. Malicks Film erstrebe somit einen 'neutralen Blick', der das Phänomen des Krieges in einem völlig neuen Licht erscheinen lässt. Malick beschwört eine "Allheit" ("all-ness") der Welt und befähigt den Zuschauer, dies im Rahmen (ausgerechnet) eines Kriegsfilms zu erfahren.

Die gedankliche Reife und Stringenz dieser Überlegungen aus "Forms of Being" ist in einem sehr weitgehenden Sinne inspirierend und sollte als Vorbild dienen für eine weitere Beschäftigung mit Film als einem 'philosophischen Medium'. Denn nur so lässt sich die von Klaus Theweleit konstatierte Tragik überwinden: dass Film nicht erkannt worden sei als die Kunstform des 20. Jahrhunderts, die sie tatsächlich ist.

Marcus Stiglegger