Phil Powrie

Jean-Jacques Beineix

Manchester University Press: Manchester 2001,
240 Seiten, sw Abb., ISBN 0-7190-5533-4

Drei Filmemacher sind unmittelbar mit dem in den achtziger Jahren geprägten Begriff des franzöischen cinéma du look verknüpft: Luc Besson, Leos Carax und Jean-Jacques Beineix. Während sich Besson im kommerziellen Mainstream etablieren konnte, müssen sowohl Carax als auch Beineix inzwischen um jedes ihrer meist langgehegten Projekte fürchten. War Carax‘ existenzielles Drama Pola X (1999) ein weltweit umstrittenes, wenn auch in seiner Konsequenz oft missverstandenes Werk, das nichtsdestotrotz den Ausnahmestatus des Filmemachers sicherte, brauchte Beineix nahezu zehn Jahre, um mit Mortal Transfert (2001) an seine letzten Kinofilme anzuknüpfen. Und er tat es auf erstaunlich gefällige Weise. Doch seine Filme atmeten schon immer den Geist jugendlichen Widerstandes, eine luftige Energie, die Filme wie Diva (1982) und Betty Blue (1986) noch heute zeitlos erscheinen lässt.
Der englische Romanist Phil Powrie bekennt sich zu dieser Zeitlosigkeit und ungebrochenen Faszination, die ihm Beineix‘ Filme von jeher bescherten, und er untersucht das Werk dieses Filmemachers nach streng autorentheoretischen Maßstäben, nicht ohne natürlich auf postmoderne Theoretiker wie Jameson und Deleuze zu verweisen, die ihrerseits Einfluss auf Beineix‘ Schaffen zu haben scheinen (S. 6-27). In diesem Zusammenhang erläutert der Autor die oft zitierte ‚Werbeästhetik‘ sowie den Deleuzeschen Begriff des ‚neo-baroque‘, den er sehr produktiv auf Beineix‘ Oeuvre anwendet. Den Hauptteil des Buches macht die Diskussion der einzelnen Filme aus, wobei Powrie eher schematisch vorgeht, was der Übersichtlichkeit dient und dem Lesevergnügen manchmal abträglich ist: Synopsis, Background, Adaption, Reception, Critical Work und dann ein jeweils eigener Ansatz, z.B. Towards a New Approach, bauen jeweils aufeinander auf und präsentieren in oft großer Ausführlichkeit bisherige Forschungspositionen und Interpretationen. Großen Raum nimmt dabei die Diskussion von Diva ein (S. 28-70), einem vielseitig rezipierten Film, dem auch Powrie neue Aspekte abzugewinnen vermag. Das bis heute oft übersehene expressive Melodrama La Lune dans le caniveau (1983) (S.75-107) wird hier einer lange überfälligen aufwertenden Betrachtung unterzogen, die den visuellen Exzess der Gestaltung in Schutz nimmt und als einen filmischen Ausdruck des Unterbewußten einschätzt. Interessant wäre auch der Verweis auf die Filme Dario Argentos gewesen, an deren Kameraführung sich Beineix in der Verwendung des Louma-Kamerakrans hier orientiert. In seinen Ausführungen über Betty Blue geht Powrie (S. 108-151) auch ausführlich auf die fast eine Stunde längere Version des Films ein, die leider in Deutschland nie zu sehen war (Interessenten sollten sich die australische DVD besorgen). Rosleyne (1989) und IP5 (1992) werden als schwächere Nebenwerke nicht ganz so ausführlich gewürdigt, und ich würde mich dieser Einschätzung anschließen. Erst im Nachwort kommt die Sprache auch auf die interessanten Dokumentar- und Essayfilme des Regisseurs (z.B. Otaku, 1993), doch leider wird ihnen vergleichsweise wenig Raum eingeplant. Aus zeitlichen Gründen konnte hier leider auch nicht Beineix‘ Dokumentation über die französische Big-Brother-Variante Loft Story berücksichtigt werden, ergänzt diese doch zahlreiche Motive, die Powrie so treffend herausarbeitete: „imprisonment and solitariness (S. 218). Eine Überarbeitung dieses zunächst einmal grundlegenden, sehr textlastigen Werkes steht also in naher Zukunft an, dann bitte aber mit treffenderen und hochwertigeren Illustrationen.

Marcus Stiglegger