8 Millionen Wege zu sterben

BESTELLEN

Regie Hal Ashby
Darsteller Jeff Bridges
Rosanna Arquette
Andy Garcia u.a.
Genre Action
Filmlänge ca. 111 min
Sprachen Deutsch, Englisch
Untertitel Deutsch
Produktion USA 1986
Tonformat Dolby Digital 2.0
Bildformat 1.85:1 (16:9)
FSK ab 16
Extras Deutscher Kinotrailer, Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
Im Handel ab 04.02.2011

Die berüchtigte Reagan-Ära der 1980er jahre war nicht nur die Hochzeit der hardbody-Actionfilme, sondern auch eine Renaissance des Polizeifilms, der seine Blüte im New Hollywood erlebt hatte - mit Filmen wie BULLITT (1968), FRENCH CONNECTION (1971) oder SERPICO (1974). Nicht von Ungefähr waren es jene Regisseure des New Hollywood, die um 1985 an ihre alten Erfolge anknüpften, seien es Michael Cimino mit IM JAHR DES DRACHEN (1985), William Friedkin mit TO LIVE AND DIE IN L.A. (1985) oder eben Hal Ashby, der nach einem jungen, wilden Drehbuch von Oliver Stone 8 MILLIONEN WEGE ZU STERBEN (1986) drehte. Während sich die beiden ersteren Beispiele längst Kultstatus erfreuen, führte Ashbys Verfilmung eines Romans von Lawrence Block stets ein Nischendasein. Koch Media bietet nun die Chance, diesen Status neu zu evaluieren...

Der Polizist Matthew Scudder (Jeff Bridges) erschießt im Dienst einen Unschuldigen. Er stürzt in eine Krise, die in einer Depression und schweren Alkoholkrankheit mündet und ihn seinen Job sowie seine Familie kostet. Als vor seinen Augen ein Callgirl (Alexandra Paul) erschossen wird, ermittelt er auf eigene Faust. Schnell findet Matthew heraus, dass hinter dem Mord der Drogenbaron Angel (Andy Garcia) steht, der alles daran setzt, ihn ebenfalls tot zu sehen. Es kommt zu einem hysterisch-blutigen Showdown in einer leeren Lagerhalle.

Wenn die Kamera zu Beginn in einer langsamen Fahrt aus dem Himmel auf L.A. blickt und zwei Cops über die 8 Millionen verschiedenen Wege zu sterben in dieser Stadt philosophieren, erinnert der pastellene Fatalismus dieser Bilder durchaus an den harten Vorgänger TO LIVE AND DIE IN L.A., der den poppigen Stil der Polizeiserie MIAMI VICE brutal in die Realität zurückholte. Auch bei Ashby pulsieren die Popbeats, flutet die Sonne den Horizont, doch sein Film schlägt einen anderen Ton an. Der übercoole Bulle wird umgehend zum tragischen Alkoholiker, verliert alles und muss am Nullpunkt anfangen. Dafür findet der Film melancholische Momente. Und doch wirkt das alles eine Spur zu schräg, einen Hauch zu schrill. Trotz der hervorragenden Besetzung mutet das Spiel von Garcia, Paul und Rosanna Arquette wie Overacting an. Und wenn Jeff Bridges zu Discobeats auf den Felgen eine Verfolgungsjagd startet, lauert der TV-Touch an jeder Ecke.

Amüsant sind die ausgesucht obszönen Dialogduelle zwischen Bridges und Garcia, die zu jener Zeit typisch für Stone waren - Anklänge an seine Bücher zu SCARFACE (1983) und IM JAHR DES DRACHEN finden sich problemlos. Alles jedoch eine Nummer kleiner in diesem Fall. Angeblich hat auch Robert Towne an diesem Buch herumgedoktert. Herausgekommen ist weder ein Ashby- noch ein Stone-Film. Und die Tragik seiner späten Rollen kündigt sich in Jeff Bridges' Spiel gerade erst an.

Dennoch ist es schön, dieses Zeitdokument in ansprechender Qualität (mit deutschen Trailer und galerie) nun neue sehen zu können. Ein Wiederbegegnung, die einigen Freunden birgt - und zugleich bewusst macht, wie lange 1986 bereits zurückliegt.

Marcus Stiglegger

*

Hier noch ein älterer Text zum Film:

L.A. hat acht Millionen Einwohner. Auf jeden wartet ein eigener, ganz persönlicher Tod. So erzählt es uns eine Stimme aus dem Off, während wir senkrecht auf die verzweigten Highways der Stadt hinunterblicken. Acht Millionen Wege in den Tod - einige von ihnen werden wir miterleben.

L.A. in den 'coolen’ achtziger Jahren: Die Sondereinheit einer Polizei durchstreift die Gärten und Hinterhöfe verkommener Wohnhäuser mit gezogenen Waffen. Langsam ziehen sie ihr Netz um das Haus eines Latinoamerikaners zusammen, der gerade mit seiner Familie zu Tisch sitzt. Die Polizisten dringen in das Haus. In Panik greift der Mann am Tisch nach einem Baseballschläger. Matthew Scudder (Jeff Bridges) drückt ab und erschießt den Mann vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder. Zurück bleiben Schock und Verzweiflung. Und ein Verfahren gegen den voreiligen Detective, der umgehend seines Amtes enthoben wird.

Regisseur Hal Ashby ist mit seinen Komödien Harold and Maude (1971) und Shampoo (1974) zu einer Legende des New Hollywood der späten sechziger und siebziger Jahre geworden. Mit Being There (1980, Willkommen, Mr. Chance) gelang ihm eine Fortsetzung dieser Spezialisierung auf gesellschaftskritische Satiren. Einige Jahre später war die Überraschung groß, dass sich gerade der berüchtigte ‚Althippie’ Ashby mit dem aufstrebenden enfant terrible Oliver Stone zusammentat, um den preisgekrönten New-York-Roman von Lawrence Block zu verfilmen. Und zugleich fiel der Jubel gering aus, als das Ergebnis das Licht der Leinwände erblickte: Nicht nur waren Schauplatz und Handlungschronologie geändert worden, vielmehr schienen hier gegenläufige Interessen aufeinander zu prallen, die den Film unter Genregesichtspunkten äußerst problematisch gestalteten. Ein Fiasko war vorprogrammiert, inklusive schlechter Kritiken und ausbleibender Zuschauer. Zumal Ashbys 8 Million ways to Die zunächst im Schatten von William Friedkins in den USA sehr erfolgreichem Cop-Drama To Live and Die in L.A. (1986, Leben und Sterben in L. A.) stand, mit dem er aufgrund des Titel oft verwechselt wird. Aus der Distanz von fast zwanzig Jahren erstrahlt dieser düstere Blick auf die karge Westküstenmetropole jedoch in ungeahntem Glanz. Deutlich schließt er an die subversiven Tendenzen des fruchtbaren New Hollywood an, das sich bekannte Genrestrukturen zu nutze machte, um ganz persönliche Anliegen zu vermitteln. Aus der Distanz wird ein stellenweise mutiger, leichtsinniger und zugleich leidenschaftlicher Film sichtbar, dessen dramaturgische Fehler irritieren mögen, ihn jedoch nicht ruinieren.

Unter den Titeleinblendungen sehen wir eine geschickt montierte Collage der Ereignisse, die auf Scudders Versagen im Dienst folgen: sein Verhör, die Suspendierung, seine Trunksucht schließlich, die ihn Familie und Heim kostet. In erschütternden Bildern und verfremdeten Klängen blicken wir einem verfallenden Menschen ins Gesicht, der wie ein Zombie auf seine Frau zustolpert. Erst der völlige Zusammenbruch reißt sein Schicksal herum. Er tritt den Anonymen Alkoholikern bei, ergreift einen neuen Beruf als Privatdetektiv und hat sein Leben weitgehend wieder im Griff. Bereits in diesen fragmentarischen Momenten bekommt Jeff Bridges viel schauspielerischen Freiraum, den er intensiv nutzt. Er verkörpert diese fragile Figur mit expressiver Gestik (etwa bei den unwillkürlichen Spasmen des Alkoholkranken) und unberechenbarer Mimik.

Während der Roman die in New York angesiedelte Handlung in Gang setzt, als Scudder von dem Zuhälter eines ermordeten Callgirls (Alexandra Paul) angeheuert wird, deren Mörder zu finden und auf einen kolumbianischen Killer stößt, verwickelt sich der Detektiv im Film in ein Drogenkomplott um den Latino-Dealer Angel Maldonado (Andy Garcia) und dessen Love-Interest Sarah (Rosanna Arquette), ebenfalls eine Prostituierte. Der Film nimmt sich also einiges vor: Prostitution, Rassismus, enttäuschte Liebe, berufliches Scheitern, eskalierende Gewalt, Drogenverbindungen nach Lateinamerika – hier schimmert die engagierte Handschrift Oliver Stones durch, der Angel Maldonado ganz wie den ‚kleinen Bruder’ von Scarface Tony Montana (Al Pacino) anlegt, mit dem Unterschied, dass Andy Garcia nie Pacinos vulgäres Format erreicht. So zielen einige der betont obszönen Wortgefechte durchaus ins Leere und erscheinen unfreiwillig komisch, was den Charakteren zusätzlich Tragik verleiht.

Jeff Bridges’ Interpretation der Scudder-Figur baut ganz auf die Verschmelzung mit den moralisch und charakterlich undurchschaubaren Menschen, auf die er im Lauf der Handlung trifft. Nicht ganz neu geboren nach seinem selbstzerstörerischen Exzess, ist sein Interesse für die naive Prostituierte Sunny, über der von Beginn an ein dunkler Schatten zu liegen scheint, nachvollziehbar. Wie Angel Maldonado ist Scudder voll von peinlichem Machismo, der ihn als prädestinierten Bullying-Partner für den hysterischen Gegenspieler erscheinen lassen. Ihre Wortgefechte nehmen einige Momente Tarantinoscher Dialogkunst vorweg. Der finale Showdown in einer Lagerhalle, in dem ein Leibwächter Angels die flüchtige Geliebte (Arquette) mit einer festgeklebten Pumpgun bedroht, baut eine fast exzessive Dramatik auf. Da lässt sich die gelegentliche Leere in Rosanna Arquettes Rollengestaltung verzeihen, die hier den ohnehin undankbaren Part der 'Hure mit goldenem Herzen’ übernehmen musste. 8 Million Ways to Die mag sich nur noch rudimentär auf die Vorlage von Lawrence Block beziehen, es gelingt dem Film jedoch mühelos, eine ganz eigene Qualität zu erringen: mit dem orange-goldenen Licht L.A.s, mit erotischen Spannungen, blutigen Shoot-Outs und dramatischen Schauspielerduellen.

Über die Produktionsgeschichte von 8 Million Ways to Die kursieren zahlreiche Gerüchte. Einige besagen, dass unter anderem Robert Towne (Chinatown) an dem Drehbuch mitgeschrieben hat, andere, dass die Produktionsfirma PSO (Producer Sales Organization) Ashby nach den Dreharbeiten entlassen habe, um den Film mehr zum Actionfilm umzuscheiden. Bridges und Ashby (der bald darauf verstarb) betonten in Interviews gelegentlich, der Film hätte ursprünglich mehr Wert auf Charakterisierungen gelegt, was durch die Montage nun ruiniert sei. Zudem ließ Ashby die Schauspieler über lange Strecken improvisieren, was nicht unbedingt das Tempo steigert, aber die eigentlichen Höhepunkte ausmacht. Man kann es kaum bestreiten, denn ungeachtet der Mängel weist der Film Intensitäten auf, die vielen gegenwärtigen Genrefilmen fehlen. Aber insgesamt bleibt 8 Million Ways to Die ein tragisches, wenn auch spannendes Monument.

Marcus Stiglegger