Funkstörung
Mit ihrem neuen Album „Disconnected“ ziehen die Rosenheimer Michael Fakesch und Chris de Luca Dokmatikern den Stecker. Warfen die Meister der Dekonstruktion in der Vergangenheit höchstens einen ironischen Seitenblick auf den Pop, trieft der neue Funkstörung-Longplayer vor Emotion und Poesie. Ihr habt Euch selbst einmal als Chirurgen und Sezierer bezeichnet und seid in der Vergangenheit eher durch Abstraktion und Effektfricklerei aufgefallen. Eure Musik entwickelt sich inzwischen zunehmend zugänglicher – wie kommt’s? Chris de Luca: Das kommt aus dem einfachen Grund heraus, dass wir von rein elektronischer Musik einfach gelangweilt sind. Die haben wir Jahre lange gemacht ... Man könnte doch aber auch mit akustischen Instrumenten völlig abstrakte Musik erstellen ... Chris de Luca: Klar könnte man das machen – wir bestimmt sogar – aber wir wollten einfach einmal richtige Songs schreiben - das war unsere Herausforderung für das neue Album. Außerdem hat sich auch unser musikalischer Geschmack etwas verändert. Wir haben viele neue Sachen gehört, speziell von Radiohead – z. B. wenn Du Dir die „Kid A“ (Parlophone, Release: Okt 2000, Red.) mit ihrer Mischung als elektronischen und akustischen Instrumenten – anhörst, basiert das ganze nach wie vor auf Songstrukturen. So etwas hat uns in letzter Zeit viel mehr gekickt, als irgendein abstrakter Kram. (lacht) Für viele Leute klingen wir natürlich nach wie vor abstrakt, aber für unsere Verhältnisse ist das neue Material wahrscheinlich ziemlich brav. Da man diese Entwicklung bei vielen elektronischen Musikern beobachten kann, liegt die Vermutung nahe, es handelt sich um eine Art natürlicher „Reifeprozess“ ... Michael Fakesch: In unserem Fall war es wohl eine logische Entwicklung. In der puren Elektronik sahen wir keine Möglichkeit mehr, einen weiteren Schritt nach vorne zu machen. Wie Chris schon sagte – wir sind gelangweilt von Elektronik. Wenn wir unseren Sound so wie bisher weitergemacht hätten, wäre es wohl eher ein Schritt nach hinten geworden. Wir haben schon immer versucht, eine sehr vielschichtige Musik zu machen. Wir finden es schön die ganze Abstraktion in den Hintergrund zu stellen, und die Beautyness, das Schöne, in den Vordergrund. Die Beats sind noch immer total kompliziert programmiert – man muss sich allerdings sehr genau reinhören, um dies zu erkennen. Man soll uns aber durchaus noch erkennen können – wir wollen uns ja nicht verstecken. Für „Funkstörung-Verhältnisse“ trieft „Disconnected“ vor Emotion und steckt – wenn man es genau nimmt – voller Poesie. Michael Fakesch: Tut es auch. Wobei man die Poesie natürlich schon dem Gesang zuschreiben muss. Stammen die Texte und deren gesangliche Interpretation aus Eurer Feder oder stammen sie vom jeweiligen Interpreten? Michael Fakesch: Die sind jeweils von den Sängern. Aber es war natürlich so eine Art Pathos-Deal – wir als die Produzenten haben das letzte Wort und machen daraus was wir wollen. Sind das nicht trotzdem für Euch untypische Zugeständnisse? Schließlich prägen die Texte – und damit die Poesie – das Gesamtbild des Albums vehement. Michael Fakesch: Natürlich. Wir geben schon einiges aus der Hand, aber nicht ohne die Kontrolle zu verlieren. Als normaler Zuhörer kennt man ja die Schritte, die wir gebraucht haben, um dieses Ergebnis zu erlangen, ja nicht. Wir haben die Sänger natürlich extremst beeinflusst und ihnen gesagt, in welcher Richtung sie die Texte singen sollen. Und wenn die es nicht so hinbekommen haben, wie wir uns das vorstellten, haben wir den Gesang einfach wieder gekickt. Bei einigen Stücken ist das durchaus passiert. Durch das Album auf ein steigendes Harmoniebedürfnis bei Funkstörung zu schließen, wäre folglich eine Spekulation in die falsche Richtung? Michael Fakesch: Ach ... Ich beschreibe das am Besten als eine Herausforderung – wir wollen einen Schritt nach vorne machen. Für die meisten sähe das in unserem Fall wo so aus, dass wir noch mehr HipHop, noch mehr Abstraktion, noch mehr Programmierung, noch mehr und noch fiesere Sounds verwenden – das hätten, meiner Meinung nach, alle von uns erwartet. Das war für uns viel zu offensichtlich. Wir wollten die Leute auf alle Fälle überraschen und mussten uns auch die ganze Zeit auf die Zunge beißen, damit wir es nicht schon vorab ausplauderten, so nach dem Motto: „Ihr werdet es nicht glauben, wir machen jetzt ein richtiges Pop-Album mit Akustikinstrumenten und so.“ Habt ihr diese Herausforderung mit leichter Hand gemeistert, oder gab es beim Entstehungsprozess durchaus Hürden zu überwinden? Chris de Luca: Ich muss schon zugeben, dass es ein sehr schwieriger Prozess war. Wir haben anderthalb Jahre wirklich konsequent an dem Album gearbeitet. Sehr schwierig war es erst einmal den Weg zu finden, den wir gehen wollten, wie das Ganze überhaupt klingen soll. Und dann die richtigen Leute dafür zu finden. Ihr hattet Euch von vorne herein vorgenommen, mit vielen unterschiedlichen Leuten das Album zu machen, oder kamen im Entstehungsprozess zunehmend Leute hinzu? Chris de Luca: Es sind immer mehr Leute dazugekommen, wobei wir schon eigentlich geplant hatten, mit vielen Leuten zu arbeiten. Schon allein durch die vielen Kontakte, die wir durch Remixe und Tourneen, geknüpft haben. Man merkt da schon, mit wem man eventuell zusammenarbeiten könnte. Und im Endeffekt haben wir das alles auf dem Album realisieren können. Aber um noch einmal auf die Schwierigkeiten zurückzukommen: Die Entstehung einiger Tracks war absolut heftig. Wir sind z. B. erst einmal in München ins Studio gegangen und haben eine Bassline aufgenommen – also verschiedene Jamming-Sessions mit dem Bassisten gemacht – und hatten danach ewig viel Material. Anschließend haben wir im Studio das ganze zerschnipselt, uns die besten Parts herausgesucht, teilweise Melodien wieder neu zusammengestellt, den Bassisten quasi wie einen Sampler benutzt. Wie viel „fundierte Wissenschaft“ steckt denn in Eurer Produktionsweise? Haben sich schon bestimmte Strukturen und „Formeln“ in Euer Arbeitsweise herauskristallisiert, die Euch zu einem vorgedachten Ergebnis führen – oder produziert ihr ins blaue ... Chris de Luca: Eine konkrete Vorstellung von einem Track
gibt es vor dessen Entstehung nicht wirklich. Es ist nicht so, dass wir
z. B. einen Song im Kopf haben und der soll dann genau so entstehen. Oft
ist es so, dass wir vielleicht einen Song im Kopf haben, aber es kommt
etwas völlig anderes beim Produzieren heraus. Es ist schon vorgekommen,
dass wir einen HipHop-Track machen wollten und am Ende hatten wir den
schönsten Pop-Song produziert. Der Hauptaspekt bei diesem Album war
sicherlich das ständige „Hin und her“ mit den Musikern.
Um an dem Beispiel der Bassline anzusetzen. Wir sind dann anschließend
noch einmal zum Bassisten und haben das ganze noch einmal einspielen lassen,
damit auch ein besserer Flow entsteht, oder die Bassline in einigen Variationen
gespielt wird, etc. ... im Grunde also eigentlich eine Herangehensweise, wie bei euren Remixen? Chris de Luca: Ja, eigentlich schon. Nur das man es bei Remixen viel einfacher hat. Da bekommt man ja schon das ganze Songmaterial, hat eine bestimmte Songstruktur und muss dieses nur weiterverfolgen und etwas dazubasteln. Diesmal mussten wir die Songs quasi selber schreiben. Und diese Struktur, die einen Song ausmacht, erst einmal kapieren. Wir waren es doch eher gewöhnt, trackorientiert zu arbeiten. Für „Techno“-Leute wie wir es waren, war es ein definitiv komplizierter Weg. Im Gegensatz dazu dürfte es für einen Pop-Song-Schreiber doch sehr einfach sein, so ein Techno-Ding zu machen, da man diese Struktur sehr schnell durchschaut. Aber z. B. mit einer wunderschönen Melodie anzufangen, diese dann noch einmal zu variieren, so dass sie noch schöner wird, dann durch irgendeine Bridge noch eine Spannung einzubringen, dann ein Refrain und anschließend die Melodie total aufgehen lassen, diese Melodie wie abbrechen lassen, um eine erneute Spannung aufzubauen, usw. – ich schwöre, dass hat uns unendlich Zeit und Nerven gekostet. Findet dabei auch gelegentlich eine Diskussion mit euren „Zulieferern“ statt? Chris de Luca: Eigentlich überhaupt nicht. Die wissen ja, wie wir sind. Der 23jährigen Münchener Enik wirkte gleich bei 4 Tracks der neuen Platte mit. Eine „Funkstörung“-Entdeckung auf die ihr besonders stolz seid? Michael Fakesch: Auf Enik sind wir durch einen Münchener Clubbetreiber gekommen, mit dem Chris irgendwann darüber getratscht hatte, dass wir mit einigen Sängern unzufrieden waren und noch nach einer Alternative suchen. Der meinte dann gleich, dass einer seine Freunde ein super Sänger wäre und wir den unbedingt mal auschecken sollten. Das war dann eben Enik – und mit dem hat es einfach „Klick“ gemacht. Wir haben uns gleich super verstanden, hatten von vorneherein die gleiche Auffassung von der Musik. Wie kam die Auswahl der anderen Künstler, die auf „Disconnected“ verteten sind, zustande? Michael Fakesch: Es gibt zu jedem Sänger auf dem Album eine gewisse Vorgeschichte. Mit Lou Rhodes, um den bekanntesten Namen mal zuerst zu nennen, waren wir mal auf einer Mini-Tour, bei der wir uns super verstanden haben und sie meinte, wir müssten unbedingt mal einen Lamb-Remix machen. Ein Jahr später ist das dann zustanden gekommen und anstatt einer Bezahlung, wollten wir lieber, dass Lou Rhodes für uns singt. Wieder zwei Jahre später ist das dann auch passiert. Tes haben wir während einer Tournee getroffen. Bei einem Gig in New York ist er einfach auf die Bühne gehüpft und hat mit uns „herumgejammed“. Sarah Jay haben wir, ebenfalls während einer Tournee, über ihren besten Freund kennengelernt. Der meinte „Du suchst eine Sängerin? Eine gute Freundin von mir hat übrigens auch schon für Massive Attack gesungen...“ Auf Rob Sonic sind wir gekommen, als wir zuhause mal Platten von Sonicsum hörten, den Rapper supergeil fanden und uns überlegt haben, wie wir an den rankommen. Bei einem Blick auf’s Plattencover stellte sich heraus, das er bei einem befreundeten Management war. Also riefen wir einfach dort an, und eine Woche später hatten wir das Material. Durch die Kontakten ist alles also recht easy entstanden. Euer Ziel war es ja auch mit dem Album zu überraschen. Wie sehr wart ihr selbst überrascht, beim ersten Hören des fertigen Longplayers? Michael Fakesch: Im ersten Moment war wir durchaus überrascht. Wir dachten: „Huiuiuiuiu – das ist ja echt ein Pop-Album geworden..“ Aber der größte Überraschungsmoment für uns selbst war wohl, als es nach anderthalb Jahren, in denen wir so vor uns hingearbeitet hatten, endlich fertig und dazu auch noch so „rund“ war. Bei manchen Tracks, die wir uns davon anhören, denken wir aber auch „Hey, was sind das denn für Schnulzer, der Wahnsinn, aber geil.“ Kann man sagen, ihr seid mit „Disconnected“ über euch selbst hinausgewachsen? Chris de Luca: (lacht) Nein. Der Prozess war zwar Hardcore, aber wir haben das ganz gut hinbekommen. Michael Fakesch: (lacht) Es ist besser geworden, als wir dachten. Wieviel „Altes Ehepaar“-Feeling entwickelt man eigentlich nach 13 Jahren Zusammenarbeit? Chris de Luca: Wir müssen tatsächlich nicht oft irgendwelche Sachen besprechen. Es ist zwischen uns von vorneherein meist alles klar. Im Studio wird nicht viel zerredet, es wird „gemacht“ und beide finden wir was dabei heraus kommt auch gut ... Hin und wieder gibt es doch sicherlich mal Differenzen? Chris de Luca: Natürlich, charakterlich gesehen sind wir schon extremst verschieden. Michael ist eher der Kopf-, ich bin eher der Bauchmensch. Also doch wieder die perfekte Ergänzung ... Chris de Luca: Ying und Yang. Lasst ihr euch mehr oder weniger „treiben“, oder gibt es noch feste Ziele, die ihr mit Funkstörung verfolgt? Chris de Luca: Wir wollen eigentlich nur nicht stehen bleiben und musikalisch immer wieder neue Sachen ausprobieren und vor allem keine Grenzen haben. Das ist uns das allerwichtigste. Für manchen „Funkstörung“-Fan kann es also noch schwer werden euch zu folgen? Chris de Luca: Wir machen schon immer das, was wir machen wollten. So halten wir das auch in Zukunft. Wir werden nie Kompromisse eingehen, nur weil irgendwelche Fans eine bestimmte Vorstellung von unserem Sound haben. Ist es schwer den Leuten das „Schubladen“-Denken abzugewöhnen? Oder bewältigt ihr diese Aufgabe zunehmend leichter? Michael Fakesch: Ich finde es gerade in unserer Szene, in dieser „IDM“-Ecke, ist es schwieriger geworden, weil auch dieser Begriff schon wieder zur Schublade geworden ist. Früher war „IDM“ (Intelligent Dance Music, Red.) eine Art niedliche elektronische Musik, die einfach ... Chris de Luca: ... anspruchsvoller ... Michael Fakesch: ... ist, als das herkömmliche Techno-Gebretter. Da konnten Einflüsse aus HipHop, Funk, Jazz oder was auch immer darin sein. Auf einmal hat es aber Klick gemacht und „IDM“ war nur noch Programmierung und Mathematik. Das finde ich sehr schade. Eine Sparte in der es nur um Freiheit ging, ist auf einmal zur Schublade geworden. „Disconnected“ erscheint am 29.3. bei !K7 / Rough Trade. Das Gespräch führte
Thomas Lux | info@krassewelt.net | www.krassewelt.net |
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