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Dieses Interview entstand 1996 und wurde in der lange
eingestellten Musikzeitschrift Aeterna zum ersten Mal veröffentlicht.
Noddy talks
Ein Interview mit David Tibet (CURRENT 93)
Es ist wohl bekannt, um wen es hier geht: Einen englischen
Ausnahmekünstler, der es sich zur Mission gemacht hat, nicht nur
seine Platten, sondern auch seine physische Präsenz zu limitieren.
Die nicht anhaltende Flut neuer Veröffentlichungen resultierte 1996
in der Trilogie THE INMOST LIGHT, deren Herzstück, ALL THE PRETTY
LITTLE HORSES, wohl problemlos an früheren Meisterwerke wie EARTH
COVERS EARTH oder THUNDER PERFECT MIND anschließen kann. Der Publicityscheue
Mystiker fand sich auf sehr privater Ebene dennoch bereit, einige Fragen
zu beantworten...
Wie kam es zu der musikalischen Veränderung
von den düsteren Atmosphären der frühen Werke zu den einfacher
zugänglichen Folkstücken, die in den letzten Jahren herauskamen?
Tibet: Ich denke, der Wendepunkt war die „Happy Birthday...“-Maxi...es
war ohnehin eine merkwürdige Zeit. Das hatte mit mehreren Dingen
zu tun: in der erster Linie mit dem früheren Material... Meine Grundidee
war immer: „Ich habe 2 Seiten Platz, jeweils zwanzig Minuten - also
zwei lange Stücke.“ Das war die Musik, die ich seinerzeit mochte
- lange, atmosphärische Klangbilder, aber mit Dynamik - kein Wischi-waschi,
wie es für Filme produziert wird - doch es sollte ja keine Filmmusik
sein. Es wurde mit der Zeit immer einfacher, und als wir DAWN machten
- von deren „Great Black Time“ einige denken, es sei unser
bestes Stück - hielt ich es für grauenvoll: zu einfach, zu simpel.
Auch die Musik, die ich hörte, wechselte. Zu Beginn war ich von Steven
Spapletons Plattensammlung beeinflußt - er hat zwischen 3000 und
4000 Stück. Da CURRENT immer eine Reflektion meiner musikalischen,
literarischen und religiösen Einflüsse war, änderte sich
die Musik mit dem späteren Wechsel meines Geschmacks. Ich glaube
nicht, CURRENT hat etwas mit Phil Spector gemeinsam, aber ich mag solche
Sachen wie die RONETTES wirklich gerne. Ich begann, mehr Folk- und Popsongs
zu hören, also änderte sich die Musik. Außerdem begann
ich, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die ihre Instrumente beherrschten
- ich meine Douglas P. von DEATH IN JUNE - und das war etwas anderes als
meine Arbeit mit Steven von NURSE WITH WOUND, der nur mit Geräuschen
arbeiten kann. Ich kann nichts spielen - ich denke nur in Begriffen wie
Stimmung, Gefühl und Bild. Ich versuche, die Musik dieser Vorstellung
jeweils anzunähern. Als ich mit Douglas zu arbeiten begann, setzte
er diese Dinge für mich um... Manchmal spielte er mir auch etwas
vor... So entsatnd schließlich SWASTIKAS FOR NODDY: wir lebten zusammen,
betranken uns die ganze Zeit und hatten viele „Jam“-Sessions.
SWASTIKAS kam erst so spät heraus, weil LAYLAH die vereinbarte Vorauszahlung
nicht einhielten...so kam IMPERIUM vorher heraus, obwohl es später
eingespielt wurde. IMPERIUM war eine Mixtur der Stile. Es gibt aber auch
andere Gründe: Ich begann, englische Märchen zu lesen und mich
für Menstruation zu interessieren (eine wahre Obsession zu jener
Zeit). Das war faszinierend.
Gibt es neben SINCE YESTERDAY noch andere Videos von
CURRENT 93?
Es gibt ein Livevideo zu „Hitler as Kalki“,
in dem ich meine Brust entblöße... Außerdem gibt es ein
Video zu einem Kindertanzlied, das von dem belgischen Regisseur stammt,
der SINCE YESTERDAY gedreht hat. Es ist schwierig, das alles unter einen
Hut zu bringen. Das Problem ist, daß „Hitler as Kalki“
von einem Jahre zurückliegenden Album stammt, es wäre besser
gewesen, es direkt herauszubringen. Es gibt immer eine Menge Dinge, die
es zu „beenden“ gilt, aber es ist zu viel zu tun... Ein reines
Livevideo interessiert vielleicht die Leute, die dort waren, oder die
Band mögen - jedoch nicht mich. Und CURRENT ist ein sehr selbstbezogenes
Projekt.
War das NODDY APOCALYPSE-Comic eine einmalige Sache?
Es wurde in langer Arbeit von James Mannox, unserem damaligen
Drummer, gemacht. Eigentlich war es nur ein Comic, doch Steve und ich
überlegten, ein ganzes Heft daraus zu machen. Jetzt will natürlich
aus World Serpent mehr von James... Nächstes Mal solltes um NWW gehen;
DEATH IN JUNES wäre wohl zu traurig (lacht). Es sollte eines jedes
Jahr geben, aber alles hängt von James ab, der sich auch um seinen
Sohn (mit Joolie Woods, d.A.) kümmern muß und kaum Zeit hat.
Wir haben etwa 3000 Stück verkauft, was gut ist. Ich meine: „Merkwürdige
Gruppe gibt Comic über sich heraus“, wer konnte wissen wie
das Publikum darauf reagiert? Ich denke, es sollte noch eines geben. Hängt
von James ab...
Wie geht es mit Deinem Verlag Ghost Story Press voran?
Naja, einige CURRENT-Fans haben die Bücher gekauft,
es scheint jedoch keine großes Interesse daran zu geben. John Blance,
Steve und ich arbeiten auch schon einige Zeit an einem Buch über
uns. Gott weiß, wann das herauskommt. Es wird auch ein komplettes
Textbuch geben, mit einem Bild von mir auf dem Cover, wie ich eine Zigarette
rauche...oder sowas (lacht). Außerdem gibt es einen Roman, an dem
ich arbeite. Das ist sehr schwierig, ich kann Gedichte und Lieder schreiben,
aber einen zuammenhängenden Text...
Hoffst Du, die letzten Platten könnten eine
neue Hörerschaft für CURRENT erschlossen haben?
Nein. Es ist schön, genug zum Leben zu verkaufen, doch
ich denke, ich werde keine neue Hörerschaft erschließen. Ursprünglich
war CURRENT ein sehr kleiner Kult, mit 1000 bis 2000 verkauften Einheiten.
Es werden immer mehr verkauft, vielleicht übertrifft das nächste
Album das letzte, doch das sind keine großen Zahlen. CURRENT sollte
niemals eine große Gruppe werden. Ich möchte nicht mehr verkaufen.
Manche wollen, daß ich mehr Promos verteile, mehr Interviews gebe,
doch der Grund, warum viele Hörer an uns glauben, an mich, DIJ und
NWW, ist, daß wir uns niemals ausverkauft haben. Was man sieht,
ist was man hat. Wir waren nie auf der Suche nach einem größeren
Label. Als ich nach London kam, plante ich sowieso nicht, eine Band zu
gründen; was auch immer geschah, geschah im Namen...wasauchimmer:
Gottes, meines Karmas, meines Schicksals, Mr.Bean... Aber ich war immer
ehrlich. Es gibt viele Dinge, die ich hätte veröffentlichen
können wegen des Geldes, was ich jedoch nie tat, da das nicht auf
unserem Niveau gewesen wäre.
Hast Du inzwischen all Deine musikalischen Ziele
erreicht, wenn es je welche gab?
Ich denke, ja und nein, da meine Ziel immer war, die Musik
zu machen, die ich selbst gerne höre. Was mich wirklich beunruhigt,
ist die langsam ablaufende Zeit. Ich habe einiges getan, doch es gibt
soviel mehr, das ich tun möchte, von dem ich fürchte, daß
ich es nicht schaffe...
Vielen Dank für Deine Geduld.
Das Interview führt Alan K. in London 1996,
Übersetzung M.S.
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