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Interview mit :Golgatha:/Christoph Donarski, geführt
für NeoForm (inzwischen offline) 2006
(Dokument)
NF: Auch wenn du dies sicher schon einige Male gefragt worden
bist seit wann besteht dein Projekt und aus welcher Intention heraus wurde
es gegründet?
:G: :Golgatha: wurde im Jahre 2004 gegründet, nachdem
ich mir erstmalig die technischen Voraussetzungen geschaffen hatte und
meinem langjährigen Drang, selbst Klänge auszusenden, nachgeben
konnte. Als ich das Artwork für die :Ikonen:-Compilation "In
the Crystal Cage" entwarf, kam die Idee auf, mit dem neu gegründeten
Projekt den Intro- und Outro-Track beizusteuern, was eine wunderbare Gelegenheit
war, von mir sehr geschätzten Musikern (Inade, Herbst9, Apoptose,
Tho-So-Aa u.a.) Respekt zu erweisen. Obwohl diese Stücke sehr minimalistisch
gehalten sind, kamen sie gut an, was mich ermutigte, weiterzumachen. -
Lange Jahre schon war "The Waste Land" von T.S. Eliot eine wichtige
Inspirationsquelle für mein Leben und Denken, und die anhaltende
Aktualität von Eliots Metaphern (das sterbende Europa als das Terre
geste des Gralsmythos') führt zu der Musik auf "Waste Land".
Die Intention war also, intellektuellen Konzepten durch Klang - und auch
Bild - Ausdruck zu verleihen, die Inspiration nach außen zu tragen
und - hoffentlich - weitere kreative Funken zu schlagen. Zudem fand ich
die Mischung aus Ambient- und Folkmusik, wie man sie auf "In the
Crystal Cage" findet, sehr inspirierend, und"Waste Land"
machte auch in dieser Hinsicht erste Schritte. Mit den zugewonnenen MitstreiterInnen
Marleni, Ildìko, Sorakey etc. ist :Golgatha: weit über das
persönliche Einmann-Projekt hinausgewachsen, und bereits "Kydos"
ist ohne den zusätzlichen instrumentellen Input nicht mehr denkbar
gewesen. "Kydos" basierte auf meiner Lektüre des Buches
"Das Heilige und die Gewalt" von René Girard und Yukio
Mishimas "Sun and Steel" und wuchs durch die zusätzlichen
Einflüsse (v.a. Patrick Leagas) darüber hinaus.
NF: Mit René Girard beziehungsweise "Das Heilige
und die Gewalt" hast du dir ein komplexe Thematik gesucht. Wie stehst
du zu seiner "mimetischen Theorie" und dem sogenannten "Sündenbockmechanismus"
das besagt das die Gewaltspirale erst mit der Opferung eines Sündenbocks
endet?
:G: Girard scheint diese These bis heute konsequent zu verfolgen.
Daher begrüßte er ja auch den Film "Passion of Christ"
und zeigte einen Hang zum Christentum. Ich selbst stehe dazu sehr ambivalent,
denn meine eigenen Beobachtungen können keine Ende der Gewaltspirale
ausmachen. Die Frage müsste zunächst sein: Wer ist der Sündenbock?
In einer begrenzten Konfliktsituation scheint so ein Mechanismus eventuell
zu funktionieren, doch betrachtet man die Gewaltmechanismen gloablen Ausmaßes,
ist das zu kurz gedacht. Zu gerne würde gewisse Regierungen bestimmte
Personen als 'Sündenbock' opfern, um einen Schlussstrich zu ziehen.
Doch das will offenbar nicht funktionieren. Anfang der 1990er Jahre hatte
ja Botho Strauß mit seinem "Anschwellenden Bockgesang"
einen ähnlich zwiespältigen Zugang gewählt... - Ich denke,
man kann rituelle Strukturen vorindustrieller Gesallschaften nicht mehr
ungebrochen auf die Systeme der Moderne übertragen.
NF: Auch Mishima Yukio ist recht derbe kost, die besonders
durch eine Nihilistische Weltanschauung und Nach(Kriegsliteratur) geprägt
ist. Welche Aspekte faszinieren dich an seinen Werken oder seiner Person?
:G: Mishima ist ein Ästhet und Provokateur, der so
konsequent seinem gewählten Weg treu geblieben ist, dass er am Ende
nicht mehr anders konnte, als ein ultimatives Zeichen zu setzen. An ihm
fasziniert mich das unvermeidliche Scheitern seiner Idee - ein letztes
Ausbäumen zu monumentaler Größe, dann Nichts... Das ist
es auch, was vom vielbesungenen Bushido geblieben ist: eine Größe
im Scheitern. Wie Lawrence war Mishima ein großer Schriftsteller
und ein in seiner sexuellen Identität Zerquälter. Pier Paolo
Pasolini wäre auch in diesem Kontext zu sehen. Und vielleicht Rainer
Werner
Fassbinder.
NF: Golgatha so lautet der Name des Berges an dem Jesus
von Nazareth gekreuzigt worden sein soll. Weshalb dieser Name und in wie
weit beschäftigst du dich mit christlicher Religion/Mystik?
:G: Golgatha als symbolischer Ort in Jerusalem ist eine
Metapher für die Gespaltenheit einer Welt, die sich in offenbar unversöhnliche
Segmente teilte und daran leidet. :Golgatha: als Idee ist das Leiden der
Welt, ihre Zerrissenheit. - Ich beschäftigte mich ursprünglich
vor allem mit Schamanismus, nordischer Mythologie und Animismus. Erst
in den letzten Jahren wandte ich mein Augenmerk auch dem Urchristentum,
hebräischer Mythologie, aber auch dem Islam zu. Das geschah wohl
aus dem Wunsch heraus, verstehen zu wollen... Spiritualität ganz
grundsätzlich fasziniert mich, sofern sie nicht für materialistsiche
Ziele missbraucht wird. Mit :Golgatha: begebe ich mich auch auf eine mythologisch-spirituelle
Suche, wenn man so
will.
NF: Deine Internetseite liegt auf der Domain vom Ikonenmagazin,
in welcher weise bist du dort involviert?
:G: Ich bin als Autor und Layouter für :Ikonen: media
tätig und empfinde es als ein sehr passendes Forum für :Golgatha:s
Mischung aus Konzept, Idee und Klangkunst. Die Mischung aus "Kunst,
Kultur und Lebensart", die das Magazin :Ikonen: vertritt, passt damit
sehr gut zusammen. Das vermittelt sich auch in der Veröffentlichung
der mythologischen CD "Icarus" aus :Ikonen: media.
NF: In wie weit darf man Lebensart verstehen, oder welche
Lebensart möchtest du mit :Golgatha:s Klangkunst zum Ausdruck bringen?
:G: Lebensart verstehe ich selbst als Lebenshaltung oder
Einstellung. Ich strebe eine bewusste und reflektierte Lebenshaltung an,
die Kunst, Kultur und Alltag vereint, die kulturelle, religiöse und
politische Konzepte durchdenkt und abwägt. Zugleich verbinde ich
damit einen eigenen, persönlichen Stil, den es aus diesen Überlegungen
zu entwickeln und zu pflegen gilt. Für mich ist :Golgatha: zu einem
Teil dessen geworden.
NF: Als Mitarbeiter von :Ikonen: media würde mich
interessieren wie du die Entwicklung der sogenannten Subkulturen bewertest.
Viele Szenegänger aus unterschiedlichen Subkulturen beklagen sich
das "angeblich" keine/kaum Substanz vorhanden wäre. Wie
schätzt du die aktuelle Entwicklung ein?
:G: Ich habe natürlich Erfahrungen in verschiedenen
Subkulturen gesammelt und sehe durchaus eine Entwicklung, die verdeutlicht,
dass Subkulturen heute eher zu einem weithin verfügbaren Ausdruck
von Befindlichkeit und Identitätssuche geworden sind. Die Subkulturen
sind heute weniger Underground bzw. Subversion, als vielmehr Splitter
des Mainstreams ("Mainstream der Minderheiten"). Wenn man sich
mit einem T-Shirt in den Club stellt, auf dem "Neofolk", "Goth"
oder "Industrial" steht, ist jenseits dieser Etikettierung kaum
noch etwas zu vermuten. Die Gothic-Szene etwa ist rein affirmativ und
hat sich von ihren Wurzeln und Grundgedanken gelöst. Nicht, dass
vor zehn Jahren alle Gothics über die Quellen ihrer Subkultur informiert
gewesen wären, aber eine subkulturelle Tradition war damals durchaus
festzustellen. Heute geben sich neue Szenemagzin mit den oberflächlichsten
Anmerkungen zur Gothic-Fiction zufrieden. Das ist lächerlich... Insofern:
ja, die Substanz ist weitgehend verloren gegangen. Wer liest heute noch
wirklich Shelley, Baudelaire oder Trakl? Oder welcher Neofolker kann schon
erklären, was "Death of a Man" oder eine Phrase wie "Here
in the Fog of the World" bedeutet? Da muss man sich nicht wundern,
warum viele schwierige Bands un- oder missverstanden bleiben, während
dreist-plakative Phrasendrescher in allen denkbaren Subkulturen zunehmend
Erfolg haben...
NF: Demnächst kommt dein neues Album, dazu haben wir
auch ein paar Fragen. Was wird uns Musikalisch diesmal erwarten?
:G: "Seven Pillars" ist das bisher anspruchsvollste
und komplizierteste
Album, an dem wir arbeiteten. Es entstand über 10 Monate und ersetzt
die Samples aus "Kydos" durch exklusiv eingespielte Instrumente.
Wir haben nun eine Viola-Spielerin (Anna-Maria K.), und wie gewohnt wurden
Drums, Flöte und Gitarre eingespielt. Dazu kommen Vocals von Tony
Wakeford, einer arabischen Freundin, von S.Marleni und mir selbst. Das
Ergebnis ist eine Mischung aus martialischen Instrumentalparts, orientalischer
Ritualmusik, Folksongs und Darkambient - also eine Weiterentwicklung der
Klangwelt von
"Kydos", ein Wechselbad zwischen Melancholie, Wut, Angst und
Pathos. "Seven Pillars" basiert auf dem Buch "Die sieben
Säulen der Weisheit" von T.E. Lawrence, von daher ist auch eine
Mischung orientaler und okzidentaler Musik zu erwarten...
NF: Du arbeitest dort mit Tony Wakeford zusammen wie kam
es zu dieser Kooperation?
:G: Der Kontakt entstand durch einen gemeinsamen Freund,
und Tony konnte wohl nicht wiederstehen, ein Gedicht seines Lieblingsdichters
zu rezitieren. Er klingt auf "Seven Pillars" übrigens anders
als bei Sol Invictus, was uns wichtig war. Mich hat das sehr berührt.
Es wäre unmöglich gewesen, diese Worte selbst vorzutragen...
- Des weiteren kannte Tony :Golgatha: wohl bereits, ein amerikanischer
Radio-DJ namens Nocturne hatte ihm unsere Musik bereits wohlwollend nahegebracht.
NF: das neue Album beschäftigt sich mit Thomas Edward
Lawrence, bekannt als Lawrence of Arabia, was hat dich zu dieser Thematik
angeregt?
:G: T.E. Lawrence war eine der großen ambivalenten
Schlüsselfiguren des 20. Jahrhunderts. Er erforschte als Archäologe
die Kreuzritterburgen des Orients, wurde Verbindungsoffizier zwischen
den Briten und den arabischen Stämmen, wurde später zum Kriegshelden
(v)erklärt, tauchte als einfacher Soldat unter und starb schließlich
unter mysteriösen Umständen bei einem Motorradunfall. Viele
Aspekt seines Lebens werden heute neu bewertet: Es gab eine großartige
Ausstellung im Imperial War Museum in London (2005) und eine aktuelle
Biografie von Jeremy Wilson. Lawrence war Künstler, Philosoph, Schriftsteller,
Soldat, Biker, Asket und zudem sehr wahrscheinlich ein schwuler Sadomasochist.
In einigen Aspekten ähnelt er Yukio Mishima; die
literarische Bedeutung, die Lawrence mit seinen beiden Büchern "Die
sieben Säulen der Weisheit" und "Unter dem Prägestock"
erreicht hat, ist unbestritten. Und natürlich gibt es einen großen
Film "Lawrence von Arabien", der vieles verklärt und verschweigt
- aber dennoch wunderschön ist. Kurz: Es ist schwer, nicht über
Lawrence zu stolpern, zumal er sich mitten in einem Konflikt befand, der
in den jüngsten Kriegshandlungen seine beklemmende Fortsetzung findet.
"Seven Pillars" nähert sich dem Mythos Lawrence von verschiedenen
Perspektiven her. Die einzelnen Stücke sind mit Daten aus seinem
Leben benannt, man kann also problemlos nachvollziehen, worum es in den
Stücken geht, wenn man will. Zugleich haben wir diesmal auf
ausführliche Linernotes verzichtet, denn jeder soll sich seine Quelle
auswählen und weiterforschen. Oder einfach die Musik genießen,
die etwas wie ein Hörspiel oder ein Filmsoundtrack funktioniert.
Dazu empfehle ich den scharfen Pfefferminztee der Tuareg...
NF: Die stetig wachsende zahl von mit Musikern drängt
sich mir die Frage auf ob es schon Liveauftritte gab oder möglicherweise
in Zukunft geben wird?
:G: Es gab diesbezüglich Anfragen, und wir würden
grundsätzlich gerne auftreten. Aber es wird schwer, unser Konzept
komplett auf die Bühne zu übertragen, denn nicht alle MitarbeiterInnen
sind verfügbar. Was wir uns vorstellen könnten, wäre ein
speziell entwickeltes rituelles Livekonzept, das bekannte und neue Elemente
verbindet. Eine schwere Aufgabe, die wir sicherlich irgendwann angehen
müssen...
NF: Wo wir eben schon Literatur ansprachen, welche Bücher
liest du zur Zeit oder würdest du als Empfehlung geben?
:G: Gerade habe ich "Das Glück der Gleichgültigen"
von Manfred Geier gelesen, wo es um Stoizismus und eine Philosophie der
Gleichgültigkeit geht. Von Geier ist eigentlich alles zu empfehlen.
Dann lese ich gerade "Baal Babylon", die Autobiografie des Surrealisten
Fernando Arrabal über seine Kindheit unter Franco. Danach wollte
ich mir nochmal Antonin Artauds "Schluss mit dem Gottesgericht"
und Jessie L. Westons Gralsbuch "From Ritual to Romance" vornehmen.
Mythologische und philosophische Literatur also, meist leider nur noch
antiquarisch zu erwerben. Artaud und Weston werden mit Sicherheit für
zukünftige :Golgatha:-Konzepte wichtig werden...
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