Marcus Stiglegger

Das Leid der Femme fatale: Linda Fiorentino

1.
Bis ins 19. Jahrhundert hat sich eine ästhetische Auffassung gehalten, die besagt, daß zwischen Körper und Seele eine analogische Beziehung besteht. Es kann also von der physischen Erscheinung auf die Beschaffenheit des jeweiligen Charakters ein Rückschluß gezogen werden, in dem einem attraktiven Menschen ein angenehmer Charakter und einem häßlichen oder entstellten Menschen ein bösartiger Charakter zugeordnet wird. „Gesicht und Gestalt werden also von der Physiognomik als quasi natürliche Zeichen aufgefaßt, deren Bedeutung als charakterliche Eigenschaft zu beschreiben ist.“ Das erschreckende Potential der Femme fatale, wie sie sich um die Jahrhundertwende bereits als Standardfigur der Literatur etabliert hatte, ist also die Tatsache, daß sich bei ihr hinter einer Maske aus physischer Schönheit tatsächlich Grausamkeit und Destruktivität verbergen. Hans Richard Brittmacher zählte sie in seiner literaturwissenschaftlichen Analyse „Ästhetik des Horrors“ also nicht von Ungefähr zu den Vampirwesen: den Vamp, wie er sich in der romantischen und der Fin de siècle-Literatur ausgeprägt hatte und später im Stummfilm etablierte. Ihre Schönheit wird für den Betrachter zur Falle, zu einer fatalen Täuschung seiner Erwartungen.

Das Gesicht der Femme fatale ist also eine Maske bannender Schönheit. Maske auch deshalb, weil ihr Gesicht ein unbewegtes ist, selten verzerrt oder entstellt durch expressive Emotionalität wie Freude, Wut oder Trauer. „Fast unbewegt bleibt das schöne Gesicht und tendiert zu ikonischer Erstarrung.“ Ihr Stoizismus zeigt weder Sympathie noch Mitleid und erscheint bereits von daher grausam. Die Schönheit der Femme fatale ist zugleich ihr Lockmittel und ihr Kapital. Da die schöne Frau von je her „als Trophäe der Macht“ fungierte, steht ihr der Weg in die obersten Schichten des gesellschaftlichen Systems offen: Sie ist das nur scheinbar zahme Raubtier zu Füßen des Herrschers. Doch auch ihm wird sie früher oder später zum Verderben, wie es einst die biblische Judith für Holofernes wurde. So unbewegt ihr Gesicht ist, so kalkuliert sind ihre Handlungen. Sie weiß immer, was sie will: Macht, Kontrolle, Luxus, manchmal nur einen dieser Aspekte, oft jedoch alle zusammen.

Die Femme fatale wird zu Beginn der neunziger Jahre bereits Stigma und Label der jungen Schauspielerin Linda Fiorentino sein, einem ungewöhnlichen, prägnanten Gesicht des neusten Hollywood Films, in dem diese Standardfigur der Filmgeschichte sowohl ihre zeitgenössische Entsprechung wie auch ihre tragische Brechung erfährt. Obwohl Linda Fiorentino bereits den New York Film Critics Award und den British Association of Film and Television Arts Best Actress Award für die Hauptrolle in John Dahls Psychothriller The Last Seduction (Die letzte Verführung, 1992) bekommen hatte, wurde sie bis heute von Nachschlagewerken und Fachzeitschriften weitgehend übersehen. Und das, obwohl sie inzwischen auch in einem Blockbuster-Film wie Men in Black (MIB, 1997) mitwirkte, einer naiven Science-Fiction-Komödie, in der sie als sympathischer ‘Sidekick’ in der Rolle einer Ärztin auftaucht.

2.
Die am 9. März 1960 in Philadelphia, Pennsylvania, als Clorinda Fiorentino geborene Schauspielerin, die vor ihrer Filmkarriere eigentlich eine politische Laufbahn angestrebt hatte, schaffte im Jahr 1985 mit gleich drei Filmen den zunächst erfolgreichen Einstieg ins Filmgeschäft. Ihre Rolle als verliebte Künstlerin Carla neben Matthew Modine in Harold Beckers Vision Quest, der in Deutschland nach Madonnas Titelsong Crazy for You benannt wurde, ließ ihr viel Raum zur Entfaltung des ihr eigenen Charismas aus Kreativität, Intelligenz und etwas kühler Erotik und sicherte ihr die Auftritte in der Agentenkomödie Gotcha! (1985) von Jeff Kanew und in Martin Scorseses Noir-Groteske After Hours (Die Zeit nach Mitternacht, 1985). Während sie in Gotcha! eine eher konventionelle weibliche Heldenfigur darstellte, ging sie in After Hours einige Risiken ein.

Martin Scorseses Fabel von der urbanen Odyssee eines arglosen Computerprogrammierers entwirft in seiner episodischen Struktur einige unvergleichlich tragikomische Momente vom Alptraum des Großstadtlebens. In einer Cafeteria lernt eben jener Büromensch Paul (Griffin Dunne) die etwas exzentrische Marcy (Rosanna Arquette) kennen. Sie gibt ihm ihre Telefonnummer, als Paul geistesgegenwärtig starkes Interesse an den Briefbeschwerern ihrer Mitbewohnerin Kiki anmeldet. Mit dem Entschluß, Marcy auf diesem Weg wieder zu treffen, beginnt die Pauls Odyssee durch eine unberechenbare, eigenartige und beängstigende Welt: Bereits auf der Taxifahrt flattert seine einzige Zwanzig-Dollar-Note aus dem Fenster, und er kann die Fahrt nicht bezahlen. Marcy schließlich ist nicht zu Hause, als er an ihrem Loft ankommt, doch die Bildhauerin Kiki wift ihm mit geradezu provoziernd eleganter Geste einen schweren Schlüsselbund entgegen.

Linda Fiorentino verkörpert als Kiki ihre erste Femme fatale-Variation. Kurze, etwas stachelig frisierte Haare, eine unbewegt coole Mimik und betont physische Kleidung - kurzer Lederrock, halb offen klaffend und ein schwarzer BH - schüchtern Paul augenblicklich ein. Ihr durchtrainierter, hochgewachsener Körper wirkt geradezu offensiv in seiner physischen Präsenz gegenüber dem schmächtigen Programmierer. Mit zaghafter Beharrlichkeit dringt der unsichere Mann in ein Reich, das er nie wirklich durchschauen wird. Kiki wird zur Personifikation dieser mysteriösen Mischung aus Kunst und Sex, allerdings einer aggressiven Sexualität, der Paul nichts entgegenzusetzen hat.

Kiki ist Bildhauerin und arbeitet gerade an einer knienden Gipsskulptur mit weit geöffnetem Mund. Paul macht ihr umgehend ein Kompliment über ihre Kunst und sagt, das Bildnis erinnere ihn „an Edvard Munchs ‘Das Kreischen’“. Mit geringschätzigem, kurzem Seitenblick berichtigt ihn Kiki („Der Schrei!“). Als sei ihm sein Unwissen peinlich, wechselt Paul das Thema: Wo Marcy sei, will er nun wissen. „In der Apotheke“, lautet die ebenso lapidare wie bedeutungsschwere Antwort. Paul ist sichtlich verwirrt. Kiki bleibt kühl und unbeteiligt und sagt beiläufig, „alles sei unter Kontrolle“. Ein geheimnisvolles Bild dieser Künstlerin entsteht: Ihr leicht punkiges Outfit, der kalkverschmierte Lederrock, ihre klassische Bildung - nichts an ihr ist berechenbar. Sie verspricht ein Potential der erotischen Verführung, das für Paul jedoch nicht faßbar wird. Als das Telefon klingelt, bittet sie ihn, in der Zwischenzeit weiter an der Skulptur zu arbeiten. Paul ist endgültig verwirrt, schließlich sei es doch ihr Kunstwerk. „Ist doch keine Kunst,“ sagt sie, „das ist kinderleicht.“ Im selben Moment, in dem sie hier ihren eigenen Status als Künstlerin in Frage stellt, überträgt sie Paul die Kontrolle über ihr Werk. Mit diesem Akt der ‘Erhöhung’ beginnt Kikis fatales Spiel der Verführung. Mit schlurfendem, nachlässigem Gang geht sie zum Telefon. Trotz der ausgestellten Lässigkeit verliert der Körper nie an physischer Präsenz: Es ist ein bewußt instrumentalisierter Körper, ein verhängnisvolles semiotisches System der Verführung, ergänzt durch freizügige aber dennoch dominante Kleidung sowie die fast schon obligatorische Zigarette. Bei ihrem Telefonat mit Marcy flüstert sie, doch wird sie nie so leise, daß Paul sie nicht mehr hören kann: „Nein, das werde ich ihm nicht sagen...“ Marcy scheint die Verabredung absagen zu wollen. Paul wird auch hier nicht schlauer. Amüsiert lächelnd betrachtet Kiki schließlich Pauls Versuch, ihr Werk adäquat fortzusetzen. Hier beginnt die zweite Stufe der Verführung: Sie überredet Paul, sein beschmutztes Hemd auszuziehen, um es zu waschen. Sein weichlicher nackter Oberkörper bietet in einer Einstellung mit ihrer selbstbewußt ausgestellten Physis einen fast bemitleidenswerten Anblick seiner Ausgeliefertheit.

In einer dritten Stufe der Verführung streicht sich Kiki über die Schultern, fixiert Paul frontal mit ihren kajal-geschwärzten Augen und deutet den Wunsch nach einer Nackenmassage an, worauf Paul spontan eingeht. Hier scheint er sich für Momente sicher zu fühlen, doch wieder gelingt es Kiki, ihn zu irritieren: „Du mußt mir nur ein bißchen weh tun, dann ist es richtig,“ fordert sie, „ich steh drauf.“ Die Femme fatale des aktuellen Films ist eine Sadomasochistin. Anders als im komplex verschlüsselten erotischen Balzspiel des Film noir verleiht sie nun ihren Absichten eine konkrete sexuelle Form von Dominanz und Unterwerfung, nicht selten durch die ständige Transformation von Verhaltenscodices, die einem Mann wie Paul selbstverständlich nicht vertraut sein können. Doch seine Sehnsucht nach grenzüberschreitender Sinnlichkeit zeigt sich nicht nur in der Lektüre eines Henry-Miller-Romans im Bistro, sondern auch in der bedingungslosen Folgsamkeit gegenüber Kikis Wünschen.

Kiki wird schließlich unter Paul schüchterner Massage einschlafen und ihn zumindest in einer zweideutigen Situation erscheinen lassen, als Marcy die Wohnung betritt, doch die coole Künstlerin wird nicht sein einziges Verhängnis im Laufe dieses Films bleiben. Der sadomasochistische Vamp, den Linda Fiorentino hier darstellt, kann sich in After Hours noch sicher wägen in seinem Spiel von Verführung und Kontrolle.

3.
The Last Seduction (Die letzte Verführung, 1992) von John Dahl ist der Film, mit dem der Name Linda Fiorentino am ehesten verbunden wird. Amerikanische Kritiker bedauerten, daß dieser Film vor seiner Kinoauswertung im Kabelfernsehen gezeigt wurde und somit bei den Academy-Award-Nominierungen nicht berücksichigt werden konnte. Die amoralische, manipulative Protagonistin namens Bridget Gregory kann geradezu als Femme fatale-Ikone betrachtet werden, entworfen für einen Film, der die Standardsituationen des Film noir immer wieder an den Rand des Absurden treibt. „Most people have a dark side. She had nothing else“, wirbt der amerikanische Verleih. Sie ist eigentlich leitende Angestellte eines New Yorker Versicherungsunternehmens, doch zusammen mit ihrem Mann Clay (Bill Pullman) überschreitet sie hemmungslos die Grenzen der Illegalität, um sich zu bereichern. Zu Beginn überredete sie ihren Mann, einen Arzt, Drogen aus dem Krankenhaus zu verdealen. Seiner Frau in deutlicher Haßliebe verfallen, merkt Clay nicht, daß sie ihn nur benutzt, um umgehend mit dem Geld zu verschwinden und in Chicago ein neues Leben zu beginnen. In einer Kleinstadt auf dem Weg lernt sie in einer Bar den etwas naiven Cowboy-Macho Mike (Peter Berg) kennen, den sie mit einem One-Night-Stand ködert. Von ihrem Anwalt gewarnt, verweilt sie in den Stadt, bis ein Detektiv auftaucht. Sie entledigt sich des Eindringlings bald, doch auch Clay ist ihr auf der Spur. Durch eine komplexe Intrige macht sie Mike zum Mörder ihres Mannes und kann sich am Ende unbeschadet in Chicago niederlassen.

John Dahls Film lebt geradezu von dem Bewußtsein, welches Charisma sich aus bösartigen, grausamen Figuren schöpfen läßt, und diese Frau ist böse von der ersten bis zur letzten Sequenz. Der Film entwirft diese diabolischen, taktierenden Charakter und betrachtet ihn konzentriert mit ungerührter Aufmerksamkeit, während alle anderen Personen zu passiven Versuchstieren werden. Bridget Gregory verändert sich nie, immer sind ihre Ziele von Gier und Gewinn bestimmt. Alles, was die Individualität ihres Charakters ausmachen könnte, wird zur Maske, die sie wechselt wie ihre Namen. Die Männer, deren sie sich bedient, sind entweder bereits naiv und triebgeleitet wie Mike oder werden im Lauf der Handlung zum Sklaven ihrer Begierden. Wie Barbara Stanwyck in Billy Wilders klassischem Film noir Double Indemnity (Frau ohne Gewissen, 1944) schlägt sie diese Männer mit ihren eigenen Waffen. Und der Film gibt sich an keiner Stelle Mühe, diese Figur in einen Kontext zu stellen, eine anrührende Begründung für das Böse zu finden. Sie ist, wie sie ist: Ein deutlich aus der Balance geratener Charakter. Sie ermangelt jeglicher Reue und versucht nicht einmal, humane Absichten vor zu heucheln. Um ihre Ziele zu erreichen, eignet sie sich die unterschiedlichsten Masken an: die kämpferische Feministin, die Yuppie-Karrieristin, das brave Hausweibchen oder die schmollige Halbwüchsige, und letztlich: die geschändete Braut. Und wo sie auch hinkommt, bringt sie den Kapitalismus mit...

Bereits in der ersten Sequenz des Films wird sie als gnadenlose, profitfixierte Geschäftsfrau eingeführt: Während ihre hauptsächlich männliche Belegschaft Telefongeschäfte abwickelt, läuft sie mit der Stopuhr in der Hand im Raum auf und ab. Die Verlierer werden mit herb-kühler Stimme verbal gedemütigt, die Gewinner mit Hundert-Dollar-Noten belohnt: ‘Zuckerbrot und Peitsche’. Eine schwarzweiße Welt schwebt ihr vor, Basis eines inhumanen Sozialdarwinismus’.

Über die Straße bewegt sich Bridget ebenfalls mit festem, zielstrebigem Schritt und wehendem, schwarzem Mantel. Erst in ihrer Wohnung angekommen verändert sich ihr Verhalten: Als sie den Anrufbeantworter abhört, verharrt sie kurz, doch ihre Finger bewegen sich unruhig. Vor dem Fernsehen ist sie sogar sichtlich nervös: Sie kaut an ihrem Zeigefinger, ihr Blick wirkt für Momente etwas unsicher. Erst mit dem Öffnen der Tür - Clay kommt von seinem Coup zurück - findet sie ihre Fassung - also ihre Maske - wieder. Der Sadomasochismus dieser Femme fatale wird in The Last Seduction weniger explizit präsentiert wie in After Hours, wo tatsächlich auch eine Bondageszene mit Kiki vorkommt, sondern bricht eher unterschwellig aus dem Geschehen hervor: Bridget betrachtet den durchaus lächerlich wirkenden Clay, der die Geldbündel notdürftig unter seine Kleidung gestopft hat. „You walk the streets like that? - You’re an idiot!“ Mit dem Handrücken schlägt der Mann seiner Ehefrau ins Gesicht. Darauf war sie nicht gefaßt; schmollend zieht sie sich zurück, wieder mit dem Finger am Mund. Des ersten Annäherungsversuches von Clay erwehrt sie sich heftig, doch ihr Mann weiß, wie er sie besänftigt: „You can hit me anywhere - hard!“, haucht er ihr von hinten ins Ohr. Ein Geldbündel, das er ihr unter die Nase hält, tut ein Übriges: Gierig riecht sie am illegal erworbenen Reichtum. Später wird sie sogar anzüglich daran lecken...

„Her quick changes are funny. So is her chilly single-mindedness. And so is the eagerness of males, stupefied by lust, to be taken in by her. [...] She is after the humor of humorlessness, the nuttiness of self-interest untrammeled by sentiment [...]“ schreibt der Time-Kritiker Richard Schickel. Linda Fiorentino spielt diese Rolle mit einem Sinn für trockenen Humor, auch „wenn man sie niemals beim ironischen Lächeln ertappen wird“, wie Roger Ebert anmerkt. Auf intensive Weise trägt sie den gesamten Film, indem sie es immer wieder schafft, den ihr unterworfenen Männern stellvertretend für das Publikum einen ungläubigen Blick zu entlocken: Wozu ist sie noch fähig? Ist das wirklich ihr Ernst? Für jeden kommt es letztlich schlimmer als erwartet.

4.
Der von William Friedkin inszenierte Erotik-Thriller Jade (1995) scheint auf den ersten Blick nichts weiter zu sein, als ein modischer Trendsetter jener erotischen Spielart des Thrillers, die Mitte der neunziger Jahre ein kurzes Hoch erlebte. In San Francisco wird ein einflußreicher Politiker brutal mit einer afrikanischen Axt erschlagen. Spontan verdächtig für den etwas melancholischen Detective Corelli (David Caruso) ist die Psychologin Trina Gavin (Linda Fiorentino), die das Opfer als Letzte lebend gesehen hat. Ihr Mann, der bekannte Rechtsanwalt Matt Gavin (Chazz Palminteri), nimmt sie jedoch bedingungslos in Schutz. Während die Spuren des Verbrechens bis zu dem Gouverneur Kaliforniens (Richard Crenna) führen, der vom Opfer mit Sexfotos erpreßt worden war, machen sich langsam die Tücken der Personenkonstellation bemerkbar: Trina war früher Corellis Geliebte, entschied sich jedoch letztlich für seinen besten Freund Matt. Corelli ist Trina immer noch erlegen und sucht insgeheim nach Indizien ihrer Unschuld... Trina jedoch ist die Prostituierte Jade, die für den Toten in dessen Küstenhaus hohen Politikern für Sexdienste zur Verfügung stand. Corelli bemerkt, daß seine Ermittlungen aus den eigenen Reihen sabotiert werden; eine Zeugin wird ermordet und es wird deutlich, daß Trina als Sündenbock herhalten soll. Natürlich ist es der Gouverneur, der sich Verdachtsmomente vom Hals halten und auch Trina ermorden lassen will. Corelli kann das verhindern. In der letzten Sequenz gesteht Matt seiner Ehefrau Trina das Verbrechen. Sein letzter Satz ist: „Wenn wir uns das nächste Mal lieben, möchte ich, daß du mir Jade vorstellst!“

Was den häufig unterschätzten Thriller-Spezialisten William Friedkin an diesem gewollt komplexen Stoff gereizt haben dürfte, sind neben äußerlichen Versatzstücken die eigentlichen Themen: die umfassende Korruption und das Herausbrechen unterdrückter Leidenschaften in einem System sozialer Masken. Wie in The Last Seduction sind in der Welt von Jade die Protagonisten ihren Begierden und Träumen nahezu wehrlos ausgeliefert. Sie driften zwischen Lüge und Geheimnis. Es ist ihnen kaum noch möglich, ihre destruktiven Energien konstruktiv zu nutzen oder im Exzeß abzubauen, wie es Georges Batailles in seiner Verschwendungstheorie vorschlägt. Folglich ist es auch eine eigenartige Jagd, die in Jade stattfindet: Die Jagd im Kreis. Hier spiegelt sich ein eruptives „Aufbegehren“ angestauter Energie.

Gegen Ende des Films, als jeder Charakter beginnt, dem anderen zu mißtrauen, sucht Trina ihren früheren Geliebten Corelli auf. Es ist ein verbotenes Treffen, da sich der Ermittler nicht mit einer mordverdächtigen Zeugin treffen darf. Bereits an der Tür, als Trina unvermittelt an ihm vorbeigeht, stellt Corelli die wesentliche Frage: „Wer bist du wirklich?“ Sie fleht ihn um Hilfe an, ihr Blick spiegelt Verzweiflung: „Ich weiß zuviel.“ Die Femme fatale, in diesem Film zudem eine Intellektuelle mit sadomasochistischem Doppelleben, macht sie selbst zum Opfer. Doch auch die zunächst ausgestellte Schwäche wird umgehend zur Taktik: „Ich weiß, daß du mich liebst.“ Corelli ist der einzige Mensch, dem sie noch vertrauen kann. Mit physischem Nachdruck versucht sie ihn zu verführen („Nichts hat sich geändert.“), doch Corelli ruiniert die intime Situation, indem er sich dem Spiel widersetzt: Alles habe sich verändert, denn sie sei die Mörderin. Abrupt steht Trina auf, kehrt aber noch einmal zurück, um ihn ins Gesicht zu schlagen. Mit verletzt gesenktem Kopf verläßt sie die Wohnung.

Nachdem Trina von Corelli zurückgestoßen wurde, lebt sie ihr frustriertes Verlangen mit einem No-Name-Dressman aus. Friedkin montiert das Geschehen mit harten Kontrasten und endet mit der verzweifelten Trina, die schließlich hemmungslos weinend alles von sich stoßen möchte. Mit rhythmischen Weißblenden, subliminalen Zwischenschnitten und expressivem Schattenspiel erzeugt diese Sequenz einen nahezu physisch spürbaren, ekstatischen Sog. Loreena McKennitts Lied „The Mystic’s Dream“ erzählt dazu die traurige Geschichte einer orientalischen Hure. War Trina schon in der vorangehenden Sequenz eine ihrer Sache nicht mehr allzu sichere Frau, bricht hier eine weitere Irritation durch: Die Kontrolle über die Situation ist ihr entglitten - der Alptraum der Femme fatale ist wahr geworden. Erst teilt ihr Corelli während einer heftigen Vorspiels mit, er halte sie tatsächlich für die Täterin, dann kann ihr nicht einmal die sexuelle Begegnung mit einem namenlosen Kunden die ersehnte Erlösung bringen. Auch diese sexuelle Begegnung spielt eine Reihe ritueller Akte von Dominanz und Unterwerfung durch: Beim Cunilingus zeiht Trina den Partner an den Haaren, danach penetriert sie ihn mit ihrem Stilettabsatz anal. Meist bleibt sie in der aufrecht-dominanten Position und ist im Gegensatz zu seiner kompletten Nacktheit mit einem schwarzen Hemdchen bekleidet. Als sie sich von ihm von hinten penetrieren läßt, verbirgt sie ihre Persönlichkeit mit einer Strumpfmaske. Erst der Blick in den Spiegel ruiniert diese Maske. Hastig zieht sie den Strumpf vom Kopf, prügelt kurz auf den Mann ein und flüchtet vom Bett auf einen Stuhl. Als der Mann zögernd nach ihren Fuß greift, zieht sie ihn fast ängstlich zurück; als er sich ihr in seinem Unverständnis noch einmal nähern will, zuckt sie erschreckt zurück und geht in Abwehrposition. Torkelnd verläßt sie das Zimmer. Sie ist zum Opfer ihrer selbstgeschaffenen Umstände geworden, hat die Kontrolle über ihre Bedürfnisse und Liebhaber verloren. An diesem Punkt des Umschlages ist die Femme fatale kurz davor, selbst zum Opfer, zur Femme fragile, zu werden...

5.
Linda Fiorentino hat sich ihre jetzt etwa fünfzehnjährige Rollengeschichte hindurch immer wieder auf Variationen des Femme fatale-Typus eingelassen, ohne daß von ihren zahlreichen anderen Rollen Notiz genommen wurde. Unglücklicherweise ist es ihr auch mit dem Programmkinohit The Last Seduction nicht gelungen, als Schauspielerin mit Starqualitäten wahrgenommen zu werden, zu radikal ist diese Rolle, zu dominant ihr Auftreten. Daß sie ihren Stil komplett ändern kann und auch als weniger herbe Frauenfigur überzeugt, zeigt sie in John Dahls Psychothriller Unforgettable (1996), in dem sie die Ärztin Dr. Martha Briggs spielt, die an einem Erinnerungsserum arbeitet, durch das Verbrechen rekonstruiert werden können. Hier ist ihr Auftreten von einer großen Schüchternheit und Unsicherheit geprägt, motiviert durch Vorsicht und Angst. Auch dieser kleine, düstere Film wurde weitgehend übersehen und ließ ihre Karriere weiter in schmalen, unauffälligen Bahnen verlaufen. Die Legende will es, daß sie ihre Rolle in der Science-Fiction-Klamotte M.I.B. beim Pokerspiel mit Barry Sonnenfeld gewonnen hat. Doch auch hier, wo sie in kurzen Ansätzen als Komödiantin gefordert ist, ist ihr Humor derart trocken, daß sie wiederum ihren ebenso außergewöhnlichen wie sperrigen Status bestätigte.

Auch wenn es Linda Fiorentino nach 27 Filmen in fünfzehn Jahren nicht gelungen ist, zum Star zu avancieren, so hat sie doch ihren Ruf als Inkarnation eines Frauentyps gefestigt, der den Film seit der Stummfilmzeit begleitet: Sie ist das Gesicht der Femme fatale, mit all ihrer Gier, ihrer Grausamkeit, ihrer Verführungskraft und schließlich ihrem Leid; dem Leid der ewigen Einsamkeit im selbstgeschaffenen Dschungel von Trieb und Erfolg.